US-Behörden treiben Antragsteller in den Wahnsinn
Notiert in New York
Von wegen Bürokratieabbau
Von Alex Wehnert
Die mühsam gezügelte Wut der Wartenden auf der Kfz-Zulassungsstelle in Midtown Manhattan ist förmlich greifbar. „Erst haben wir gesessen und gewartet, jetzt stehen wir und warten“, grummelt ein älterer Herr in einer der vielen Schlangen, in die Mitarbeiter des Department of Motor Vehicles (DMV) ihre unliebsam empfangenen, vorher noch über zahlreiche unbequeme Sitzreihen verstreuten „Gäste“ eingeteilt haben – im lachhaft durchschaubaren Versuch, Organisation vorzutäuschen, wo blankes Chaos und Inkompetenz regieren.
Foto-Termine in Endlosschleife
„Das ist jetzt schon das dritte Mal heute, dass ihr mich zum Fotografieren holt“, ruft eine Dame, die ihren Führerschein erneuern will, ungläubig. Mit dieser Erfahrung ist sie nicht allein: Denn wer in welcher Angelegenheit auch immer auf das DMV kommt, muss trotz vereinbarten Termins eine Wartemarke ziehen und zunächst einmal darauf harren, abgelichtet zu werden – ob die Behörde schon aktuelle Bilder von ihm hat oder nicht. Anschließend wartet er dann gefühlte Äonen darauf, für sein eigentliches Anliegen an einen der Schalter gebeten zu werden.
Der Aufruf der Wartenummern über Lautsprecher und Bildschirm liefert dabei nur die Begleitmusik zu den übergewichtigen, griesgrämigen Mitarbeiterinnen, die zwischen den Antragstellern umherwatscheln und willkürlich immer wieder Reihen an Nummern aufrufen, deren glückliche Besitzer ihnen sofort zu folgen haben – um sich dann in eine andere Schlange einreihen zu lassen als jene, in der sie vorher um Geduld gerungen haben. Wer sich nach Sinn und Unsinn dieses Wirrwarrs erkundigt, muss sich im Kasernenhofton anfahren lassen, auf Fragen reagieren die seelenlosen Erfüllungsgehilfen der Bürokratie nämlich grundsätzlich allergisch.
Mit Vorwänden abgewimmelt
Kommt der große Moment und dringt der Antragsteller tatsächlich zu einem Sachbearbeiter vor, findet dieser – lustlos, schlecht ausgebildet und der Rechtslage des eigenen Landes unkundig – sicher einen Vorwand, um dem „Gast“ nicht weiterhelfen zu müssen. Irgendein Formular, das es angeblich noch auszufüllen gelte und mit dem der Behördenbesucher später wiederkommen solle, ist schließlich immer bei der Hand. Wer den neu angeforderten Vordruck dann beschriftet hat, darf sich erst einmal wieder zum Fotografieren einreihen und wird anschließend in das Dickicht der ewigen Warteschlangen zurückgeleitet.
Manch einer, der einen Termin um 13.30 Uhr vereinbart hat, wartet um 17.30 Uhr immer noch darauf, dass sein Anliegen bearbeitet wird – eigentlich hat das DMV zu diesem Zeitpunkt schon geschlossen. In Midtown Manhattan ist es nicht unüblich, dass die Mitarbeiter irgendwann einfach aufhören, Wartenummern aufzurufen, und es den noch ausharrenden „Gäste“ einfach selbst überlassen, herauszufinden, an welchem Schalter sie sich nun die Hilfe verweigern lassen können.
Willkürlicher Verwaltungsapparat
Verständnis für Unmut der Antragsteller zeigen Behördenvertreter nicht. Das ist kein Wunder, sind sie doch nur Teil eines US-Verwaltungsapparats, der in einem Ausmaß von Phlegma und Willkür geprägt ist, wie sie sich in Deutschland über Bürokratie klagende Bürger kaum vorstellen können. Ob beim Grenzschutz, bei der Steuerbehörde oder der Post – überall im vermeintlichen „Land of the Free“ gibt es Millionen überkomplizierter Regeln, mit denen die Mitarbeiter des Staates selbst nicht vertraut sind oder die sie nach eigenem Gutdünken umdeuten. Besonderes Pech hat jeder, dessen Anliegen auch nur ein My von der Norm abweicht, zum Beispiel weil sein US-Visum zu keiner Standardkategorie gehört.
Pläne von US-Präsident Donald Trump und seinem bereits gescheiterten Effizienz-Zar Elon Musk, den Verwaltungsapparat zu verschlanken, mögen in den Ohren vieler US-Wähler daher wohlgeklungen haben. In Wahrheit hat ihr rücksichtsloser Kahlschlag die Handlungsfähigkeit der Behörden aber nur weiter eingeschränkt. Im DMV in Midtown Manhattan zeigt sich das auf besonders erschütternde Weise: Am Montagabend sind dort gestandene Männer zu beobachten, die nach fünfstündiger Wartezeit unverrichteter Dinge abziehen müssen und vor Frust in Tränen ausbrechen.