Unternehmensführung

ESG wirkt sich auf Vorstandspflichten aus

Nachhaltigkeitsthemen sind integraler Bestandteil der Unternehmensführung geworden, das ESG-Pflichtenheft gewinnt zunehmend an Umfang.

ESG wirkt sich auf Vorstandspflichten aus

Die im Juni in Kraft getretene jüngste Reform des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) hat die Bedeutung von Nachhaltigkeitsbelangen für börsennotierte Unternehmen nochmals hervorgehoben. Nachhaltigkeit, überwiegend verstanden als Environmental, Social, Governance (ESG), ist zum integralen Bestandteil der Unternehmensführung geworden. Wollte ESG anfangs nur ein Maßstab für Investitionsentscheidungen institutioneller Investoren sein, ist es heute Teil des Pflichtenkatalogs des Vorstands – und zwar weit über bloße Berichtstandards hinaus.

Zunehmend wandelt sich ESG vom „soft law“ zum „hard law“. NGOs instrumentalisieren Klima- und Um­weltklagen, um Einfluss auf Unternehmen zu nehmen. Auch aktivistische Aktionäre versuchen über ESG-Themen die Aufsichtsratszusammensetzung und Unternehmensstrategie zu beeinflussen. Dieser Beitrag beleuchtet die Auswirkungen von ausgewählten ESG-Aspekten auf die Pflichten des Vorstands börsennotierter Unternehmen.

Bei der Leitung des Unternehmens haben die Vorstandsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters an­zuwenden. Im Rahmen ihrer Legalitätspflicht müssen sie zunächst die geltenden Gesetze und Rechtsvorschriften einhalten. Diese umfasst – selbstverständlich – auch die Einhaltung von ESG-Belangen, die zunehmend Eingang in die Gesetze gefunden haben. Beispiele hierfür sind die strafbewehrte Verpflichtung einer Kapitalgesellschaft zur Erstattung eines nichtfinanziellen Berichts nach §§ 289b ff. HGB sowie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, wonach ab 2023 Lieferketten im Hinblick auf Menschen- sowie Umweltrechtsverletzungen einer fortdauernden Prüfung zu unterziehen sind.

ESG-Belange spielen auch in unternehmerischen Entscheidungen des Vorstands eine bedeutende Rolle. Bei diesen ist eine Pflichtverletzung ausgeschlossen, wenn der Vorstand vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (sog. Business Judgement Rule). Um in den Genuss dieser Haftungsprivilegierung zu kommen, müssen die Vorstandsmitglieder auch relevante soziale und ökologische Aspekte und sich daraus ergebenden Chancen und Risiken ermitteln und angemessen berücksichtigen. Bei der Ermittlung des maßgeblichen Unternehmensinteresses spielen neben den Belangen der Aktionäre die Belange der Belegschaft und der sonstigen mit dem Unternehmen verbundenen Gruppen sowie soziale und umweltbezogene Belange eine Rolle (sog. Stakeholder-Value-Ansatz).

Dieses interessenpluralistische Verständnis des Unternehmensinteresses wird auch vom DCGK zugrunde gelegt. Zudem beinhaltet der DCGK diesbezüglich nunmehr die Empfehlung, dass der Vorstand die mit den Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen für das Unternehmen sowie die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit systematisch identifizieren und bewerten soll. Im Rahmen der Unternehmensstrategie sollen neben den langfristigen wirtschaftlichen Zielen auch ökologische und soziale Ziele angemessen berücksichtigt werden. Schließlich soll künftig die Unternehmensplanung entsprechende finanzielle und nachhaltigkeitsbezogene Ziele umfassen.

Ein Beispiel für die Berücksichtigung von ESG-Belangen in unternehmerischen Entscheidungen sind M&A-Transaktionen. Im Rahmen der Due Diligence sollte überprüft werden, inwiefern ESG-Risiken be­stehen. Sich ergebende Nachhaltigkeitsrisiken sollten in der Vertragsgestaltung adressiert werden.

Der Vorstand hat ferner die Pflicht, für regelgetreues Verhalten im gesamten Unternehmen Sorge zu tragen. Diese sogenannte Compliance-Verantwortung verpflichtet den Vorstand, Organisationsmaßnahmen zu ergreifen, um Rechtsverletzungen im Unternehmen frühzeitig zu erkennen und nachfolgend beheben zu können. Dazu zählt die Einrichtung eines (internen) Risikomanagement- und Überwachungssystems bezüglich Entwicklungen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden. Zudem sollte ein allgemeines Compliance-Management-System zur Erkennung und Behebung von sonstigen Rechtsverletzungen etabliert werden. Vorstände haben nach den heutigen Standards auch hinsichtlich dieser Maßnahmen die ESG-Relevanz zu prüfen und ggf. das Risiko-/Compliance-Management-System entsprechend anzupassen. Dies wird nunmehr auch durch den DCGK konkret gefordert.

Vergütungsthema

Auch für die Vorstandsvergütung spielt ESG eine wichtige Rolle. Schon seit 2020 ist die Vergütungsstruktur bei börsennotierten Gesellschaften auf eine „nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft auszurichten“. Infolgedessen werden zunehmend Nachhaltigkeitsaspekte bei der Festlegung der Vergütung einbezogen und Vorstandsmitglieder somit monetär incentiviert, ESG-Belange im Rahmen der Unternehmensführung zu berücksichtigen.

Zunehmend diskutiert wird, ob Nachhaltigkeitsexperten der Unternehmensleitung angehören sollten, etwa mittels der Einrichtung von Nachhaltigkeitsausschüssen oder durch die Schaffung eines Nachhaltigkeitsressorts („Chief Sustainability Officer“). Der Sustainable-Finance-Beirat empfiehlt, die innere Organisation von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeitsfaktoren anzupassen und Mindeststandards für die Sicherstellung der Nachhaltigkeitskompetenz bei den Verantwortlichen in Schlüsselfunktionen vorzuschreiben. Jedenfalls für den Aufsichtsrat wurden die Anforderungen des DCGK durch die jüngste Reform bereits verschärft. Der Aufsichtsrat hat neben der Überwachung und Beratung in Bezug auf Nachhaltigkeitsfragen Expertise zu den für das Unternehmen bedeutsamen Nachhaltigkeitsfragen aufzuweisen. Ferner sollen im Prüfungsausschuss die Finanzexperten im Bereich der Rechnungslegung und der Abschlussprüfung über besondere Kenntnisse und Erfahrungen mit Nachhaltigkeitsberichterstattung und deren Prüfung verfügen.

Der Themenkomplex ESG schlägt sich auch im Verhältnis zu den Investoren nieder. Institutionelle Investoren und Stimmrechtsberater machen zunehmend mehr Vorgaben im Hinblick auf soziale und ökologische Belange und berücksichtigen diese im Rahmen ihres Abstimmungsverhaltens bzw. ihrer Empfehlungen. Zuletzt haben ESG-Belange auch das Interesse von aktivistischen Aktionären geweckt, die auf Basis unterschiedlicher Begründungen und Ziele Kampagnen durchgeführt haben.

Zukünftig soll für ESG-Berichts- und Sorgfaltspflichten unionsweit ein harmonisierter und verbindlicher Rechtsrahmen geschaffen werden. Die Europäische Kommission hat im April 2021 eine Änderung der bisherigen sogenannten CSR-Richtlinie vorgeschlagen. Letztere war Grundlage für die Abgabe der nichtfinanziellen Erklärung nach §§ 289b ff. HGB, die ab dem Geschäftsjahr 2024 in einen Nachhaltigkeitsbericht überführt werden soll.

Sowohl der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen als auch der Berichtsgegenstand werden signifikant ausgeweitet. Unionsweit sollen einheitliche Standards für die Berichterstattung eingeführt werden. Zudem wird die materiell-inhaltliche Prüfung des Berichts durch den Abschlussprüfer vorgeschrieben. Durch diese Maßnahmen sollen die Anleger in die Lage versetzt werden, die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer Investition besser beurteilen zu können.

Darüber hinaus wurde im Februar 2022 ein Richtlinienentwurf über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive – CSDDD) veröffentlicht. Hierdurch soll branchenübergreifend eine umfassende Sorgfaltspflicht für Unternehmen in den Bereichen Menschenrechte und Um­welt eingeführt werden, damit negative Auswirkungen der Geschäftstätigkeit und entlang der Wertschöpfungsketten ermittelt und behoben werden können.

Die CSDDD soll erstmals eine eigenständige rechtliche Sorgfaltspflicht für Mitglieder der Unternehmensleitung in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte normieren. Ergänzt wird diese Verpflichtung dadurch, dass die Unternehmensleitung auch Compliance-Strukturen zur Sicherstellung der Erfüllung der ESG-bezogenen Sorgfaltspflichten im Unternehmen und entlang der Wertschöpfungskette etablieren muss. Es bleibt abzuwarten, welche Änderung der Richtlinienentwurf im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens noch erfahren wird.

Dr. Andreas Fabritius ist Partner, Dr. Mesut Korkmaz Principal Associate von Freshfields Bruckhaus Deringer in Frankfurt und Düsseldorf.