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EU Listing Act ante portas

Der EU Listing Act befindet sich auf der Zielgeraden. Er bringt weitreichende Neuerungen im Prospektrecht mit sich. Ob und inwieweit die vorgesehenen Erleichterungen künftig in Anspruch genommen werden, bleibt abzuwarten.

EU Listing Act ante portas

EU Listing Act ante portas

Neues Informationsdokument nicht in jedem Fall sinnvoll – Weitere Standardisierung in Vorbereitung – Erleichterung von Kapitalerhöhungen

Von Julian Schulze De la Cruz und Philip M. Schmoll *)

Der EU Listing Act befindet sich auf der Zielgeraden und bringt weitreichende Neuerungen im Prospektrecht mit sich. Am 29. Januar 2024 haben der Europäische Rat und das Europäische Parlament eine vorläufige Einigung über den Listing Act erzielt. Mit den Regelungen sollen die europäischen Kapitalmärkte für Unternehmen attraktiver und Notierungen an europäischen Börsen erleichtert werden. Im Fokus des Gesetzesvorhabens stehen insbesondere Wachstumsunternehmen, deren Abwanderung in die USA und andere Nicht-EU-Staaten entgegengewirkt werden soll. Vor diesem Hintergrund sieht der EU Listing Act weitreichende Änderungen im Prospektrecht vor.

Prospektfreie Aktienausgabe

Die wohl weitreichendste Änderung des EU Listing Act betrifft Erleichterungen für Kapitalerhöhungen bereits börsennotierter Unternehmen. Danach sollen Unternehmen, deren Aktien zum Handel am regulierten Markt zugelassen oder in den Handel an einem KMU-Wachstumsmarkt (wie z.B. dem Scale-Segment an der Frankfurter Wertpapierbörse) einbezogen sind, Kapitalerhöhungen in einem Volumen von insgesamt bis zu 30% des bereits zugelassenen Aktienkapitals innerhalb von zwölf Monaten prospektfrei durchführen können. Dies ist eine leichte Einschränkung des Kommissionsvorschlags von Dezember 2022, der noch ein Volumen von bis zu 40% vorgesehen hatte.

Zur Inanspruchnahme der Prospektbefreiung ist nur noch ein Dokument mit einer Länge von maximal elf DIN-A4-Seiten zu veröffentlichen, das keiner Prüfung und Billigung durch die Aufsichtsbehörde mehr bedarf. Aus Sicht der Praxis erscheint dies fragwürdig: Zum Mindestinhalt des Dokuments gehört die Aufnahme emittentenspezifischer Risikofaktoren. Allein die Darstellung dieser Risiken nimmt in Wertpapierprospekten regelmäßig mehr als elf DIN-A4-Seiten ein. Im neuen Informationsdokument kann daher bestenfalls eine stichpunktartige Darstellung dieser Risiken erfolgen. Zudem ist derzeit unklar, ob und unter welchen Umständen Emittenten und die die Transaktion begleitenden Banken für die etwaige Fehlerhaftigkeit eines solchen Dokuments haften. Da die Ausgestaltung der Haftung der Kompetenz der Mitgliedstaaten unterfällt, bleiben diesbezüglich die Überlegungen des deutschen Gesetzgebers abzuwarten.

Reicht Informationsdokument aus?

Künftig werden die an der Transaktion beteiligten Parteien im Einzelfall sorgfältig abwägen müssen, ob die Veröffentlichung eines elfseitigen Informationsdokuments opportun ist oder ob freiwillig ein Wertpapierprospekt gebilligt und veröffentlicht werden sollte. Eine freiwillige Prospekterstellung kommt insbesondere in Betracht, wenn aufgrund der angesprochenen Investorenkreise oder sonstiger Umstände die Informationsqualität und -quantität der Regelberichterstattung als nicht ausreichend empfunden wird. Dies dürfte regelmäßig bei größeren, international vermarkteten Bezugsrechtsemissionen, die auch eine Privatplatzierung an institutionelle Investoren in den Vereinigten Staaten gemäß Rule 144A unter dem U.S. Securities Act von 1933 umfassen, der Fall sein.

Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der EU Listing Act bei Large-Cap-Transaktionen zu wesentlichen Veränderungen führen wird. Anders sieht es hingegen im Bereich der KMU aus. Hier kommt zur vollen Nutzung des neuen Rechts nun insbesondere der Regelberichterstattung, einschließlich der unterjährigen Finanzberichterstattung, eine besondere Bedeutung zu. Auch im Scale-Segment kann daher eine Veröffentlichung von freiwilligen Quartalsmitteilungen sinnvoll sein.

Förderung von Kleinemissionen

Neben Kapitalerhöhungen soll der EU Listing Act auch sogenannte Kleinemissionen fördern. Derzeit steht es Mitgliedstaaten frei, öffentliche Angebote von Wertpapieren im Gesamtgegenwert von bis zu 8 Mill. Euro von der Prospektpflicht auszunehmen. Diese Grenze wird auf einheitlich 12 Mill. Euro (berechnet über einen Zeitraum von zwölf Monaten) angehoben. Abweichend können Mitgliedstaaten den Höchstbetrag prospektfreier Kleinemissionen auch auf nur 5 Mill. Euro beschränken. Wird die Ausnahme in Anspruch genommen, können die Mitgliedstaaten die vorherige Veröffentlichung eines Dokuments verlangen, das im Wesentlichen einer Prospektzusammenfassung entspricht.

Einheitlicher Prospektstandard

In Deutschland müssen Emittenten bei prospektfreien Kleinemissionen derzeit noch ein dreiseitiges Wertpapier-Informationsblatt erstellen, dessen Veröffentlichung durch die BaFin zu gestatten ist. Es bleibt abzuwarten, ob der deutsche Gesetzgeber an diesem Erfordernis festhält und den Schwellenwert lediglich auf 12 Mill. Euro erhöht oder ob er das Wertpapier-Informationsblatt durch eine neue Dokumentationsmöglichkeit ersetzt, mit deren Format internationale Anleger mehr vertraut sind.

Mit Blick auf die innerhalb der EU bestehenden Unterschiede bei Länge, Aufbau und Sprache eines Wertpapierprospekts soll zudem ein einheitlicher Prospektstandard etabliert werden, um den Aufwand bei der Prospekterstellung weiter zu reduzieren. Prospektsprache und -format (einschließlich Schriftart und -größe) sollen dabei durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) vorgegeben werden.

Maximal 300 DIN-A4-Seiten

Die Länge des neuen Prospektformats ist auf maximal 300 DIN-A4-Seiten beschränkt. Allerdings können unter anderem historische Finanzinformationen nun mittels Verweises auf ihre Veröffentlichung auf einer Internetseite des Emittenten in den Prospekt einbezogen werden. Dabei halten Rat und Parlament an dem vielfach kritisierten Vorschlag der Kommission fest, zwingend auch den Lagebericht in den Prospekt aufzunehmen. Dies war in Deutschland bislang unüblich. Vor diesem Hintergrund sollten Emittenten ihre Lageberichte künftig auch mit Blick auf diese Pflicht sorgfältig prüfen.

Anders als noch der Kommissionsvorschlag sieht der abgestimmte Entwurf nun eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Nutzung des standardisierten Prospektformats vor. So sollen die derzeit geltenden Regelungen weiterhin für Angebote von Aktien anwendbar sein, wenn diese zum Handel am regulierten Markt zugelassen und auch an Investoren in einem Drittstaat platziert werden sollen, sofern für diese Platzierung ein Angebotsdokument nach den Regeln oder der Marktpraxis des Drittstaates genutzt wird. Mit dieser Ausnahme sollen insbesondere übliche Privatplatzierungen an qualifizierte institutionelle Käufer (sogenannte QIBs) in den Vereinigten Staaten erfasst werden, die unter Nutzung eines sogenannten International Offering Circular erfolgen.

Neue Formate

Anstelle des EU-Wachstumsprospekts werden mit dem EU-Wachstumsemissionsprospekt und dem EU-Folgeprospekt zudem zwei neue Prospektformate eingeführt, für die eine Länge von maximal 75 bzw. 50 DIN-A4-Seiten vorgesehen ist. Während der EU-Wachstumsemissionsprospekt öffentliche Angebote kleinerer und mittlerer Unternehmen (KMU) erleichtern soll, ersetzt der EU-Folgeprospekt den vereinfachten Prospekt für Sekundärunteremissionen für Emittenten, deren Wertpapiere seit mindestens 18 Monaten vor einem Angebot oder Zulassung ununterbrochen an einem regulierten Markt oder KMU-Wachstumsmarkt gehandelt wurden. Mit dem EU-Folgeprospekt werden künftig insbesondere sogenannte „Uplistings“ von einem KMU-Wachstumsmarkt in den regulierten Markt unter Inanspruchnahme eines vereinfachten Prospekts möglich.

Verkürzung der Angebotsfrist

Zu begrüßen ist die Beibehaltung des Kommissionsvorschlags zur Verkürzung der Frist für öffentliche Angebote von mindestens sechs auf drei Werktage. Hierdurch wird eine zügige Durchführung von Börsengängen ermöglicht, was regelmäßig zu einer höheren Transaktionssicherheit führt. Bislang hatte sich die Praxis, insbesondere in einem volatilen Marktumfeld, vielfach damit beholfen, ausschließlich an institutionelle Anleger zu platzieren, was zu einem Ausschluss von Privatanlegern führte.

Nächste Schritte

Zur Finalisierung des Gesetzesvorhabens muss der EU Listing Act nun noch durch das Parlament und den Rat förmlich beschlossen werden. Wesentliche Änderungen sind dabei nicht mehr zu erwarten. Das Inkrafttreten des EU Listing Act durch Veröffentlichung im Amtsblatt wird voraussichtlich noch in diesem Jahr erfolgen. Mit dieser treten vor allem die neuen Prospektausnahmen sowie die Verkürzung der Mindestangebotsfrist unmittelbar in Kraft. Die Einführung des standardisierten Prospektformats sowie der neuen Prospektformate bedarf hingegen noch weiterer Rechtsakte.

*) Dr. Julian Schulze De la Cruz ist Partner und Co-Leiter der Praxisgruppe Kapitalmarktrecht von Noerr. Dr. Philip M. Schmoll ist Associated Partner der Kanzlei.

Dr. Julian Schulze De la Cruz ist Partner und Co-Leiter der Praxisgruppe Kapitalmarktrecht von Noerr. Dr. Philip M. Schmoll ist Associated Partner der Kanzlei.