Künstliche Intelligenz

Abschied von einer Illusion

Was auch immer die IT-Branche verkündet: Der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Finanzwirtschaft steht noch ganz am Anfang. Oft weiß man die Fragen noch nicht, die man stellen müsste.

Abschied von einer Illusion

Künstliche Intelligenz ist zur eier­legenden Wollmilchsau der Finanzbranche geworden. Die Erwartungen an die Technologie sind enorm. Sie soll die Effizienz der internen Abläufe verbessern, Kosten senken, trotz automatisierter Prozesse eine personalisierte Kundenerfahrung bieten und dann auch noch Compliance sicherstellen. Die IT-Industrie wird nicht müde, vom enormen Potenzial von KI für die Finanzbranche zu schwadronieren. Es mag am Verkaufstalent ihrer Marktschreier liegen, dass solche Slogans nur selten in Frage gestellt werden. Mühsame Dialoge mit Sprach­assistenten und Chatbots sollten eigentlich lehren, dass die Entwicklung noch ganz am Anfang steht.

Dabei gehört die Finanzbranche zu den Industrien, die beim praktischen Einsatz von KI schon am weitesten gekommen sind, etwa wenn es um die Auswertung großer Textmengen, die Legitimationsprüfung von Neukunden, die Beurteilung von Kreditrisiken oder die Umsetzung von quantitativen Handelsstrategien geht. Für eine systematische Entwicklung wird jedoch wenig unternommen. Firmen arbeiten meist an proprietären Lösungen, die sie nicht mit Wettbewerbern teilen wollen. Oft wird zur Bewertung von KI auf klassische Ansätze aus dem Risikomanagement zurückgegriffen, die dafür nicht gedacht waren. Viele Debatten drehen sich um ethische Fragen. Dazu gibt es reichlich Input von der Aufsicht, bei der nicht allzu viele Datenwissenschaftler beschäftigt sind. Allein um Chancen und Risiken von KI zu verstehen, ist noch viel Arbeit nötig. Oft weiß man die Fragen noch nicht, die man stellen müsste. Das sollte man nicht vergessen, wenn einem wieder jemand erzählt, dass sich die Menschheit an einem schicksalhaften Wendepunkt befindet oder dass unser aller Arbeit künftig von Software erledigt wird.

Daniele Magazzeni ist Chef des Explainable AI Center of Excellence bei J.P. Morgan. Aus seiner Sicht gibt es drei Voraussetzungen, wenn man das Potenzial der Technologie erschließen will: symbiotische KI, ein Ökosystem und die standardisierte Darstellung von Daten, wie er während der City Week in der Londoner Guildhall ausführte. Das KI-Panel gehörte zu den Events, die auf der Konferenz größte Aufmerksamkeit auf sich zogen. Symbiotische KI steht für Anwendungen, die wissen, wozu sie in der Lage sind und wozu nicht. Solche Programme können um menschliche Hilfe bitten. Das hat den schönen Nebeneffekt, dass zumindest ein Teil der Mitarbeiter seine Entscheidungsbefugnisse nicht vollends verliert. Empower­ment heißt das auf Neudeutsch. Das Buzzword Ökosystem erinnert daran, dass KI-Experten nicht im stillen Kämmerlein vor sich hin forschen sollten. Wenn andere Menschen mit einge­bunden sind und eine Infrastruktur dafür geschaffen wird, kommen bessere Ergebnisse dabei heraus, zumal oft Kompromisse ge­macht werden müssen. Die standardisierte Darstellung von Daten ist ein Problem, das seit der Erhebung von Daten besteht. Das exponentielle Wachstum der irgendwo irgendwie gespeicherten Masse von Informationen hat es nur verschärft.

Am wichtigsten für die Entwicklung ist: Die Menschen müssen den Entscheidungen der KI vertrauen können. Das gilt natürlich für autonome Waffensysteme oder selbstfahrende Autos in weitaus höherem Maße als für Anwendungen der Finanzbranche. Wer in Algorithmen gewickelte unfaire Praktiken zu erkennen glaubt, wird die automatisierte Ablehnung seines Kreditantrags nicht akzeptieren, auch wenn ein Bankmitarbeiter zum gleichen Ergebnis gekommen wäre. Verluste in der Geldanlage sorgen ohnehin für Unmut. Gehen sie auf KI zurück, wird der Erklärbedarf noch größer. Unternehmen werden in weitaus größerem Maß offenlegen müssen, wie solche Anwendungen funktionieren, um jeden Verdacht auszuräumen. Bislang fehlt es an regulatorischer Konsistenz. Das erschwert vor allem Firmen, die grenzüberschreitend tätig sind, das Geschäft.

Die Uneinheitlichkeit ist jedoch keine Überraschung. Daten sind in diesem Jahrhundert eine der wichtigsten Quellen von Macht. Je nach Gesellschaftssystem wird unterschiedlich damit umgegangen. Um die Entwicklung von KI voranzubringen, bedarf es einer innovationsfreundlichen Regulierung, die Standards und Interoperabilität sicherstellt. Eier werden solche Anwendungen jedoch auch dann nicht legen. Von dieser Illusion sollte man sich verabschieden. Aber vielleicht liefern sie bedeutendere Ergebnisse als andere Technologien, die von den Marketingabteilungen der IT-Branche auf eine Ebene mit der Mondlandung gehoben wurden.

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