Johannes Beermann

Bundesbank überdenkt Bargeld-Strategie

Die Deutsche Bundesbank stellt ihre komplette Bargeld-Strategie auf den Prüfstand und hat dazu eine breit angelegte Studie angestoßen. Der Börsen-Zeitung erklärt Vorstandsmitglied Johannes Beermann die Gründe.

Bundesbank überdenkt Bargeld-Strategie

Von Bernd Neubacher und Mark Schrörs, Frankfurt

Die Deutsche Bundesbank stellt ihre Bargeldstrategie grundlegend auf den Prüfstand. In Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen VDI/VDE Innovation und Technik strengt Deutschlands Zentralbank derzeit eine groß angelegte Studie „Bargeld der Zukunft“ an, um zu erkunden, wie die Nutzung von Bargeld in zehn bis 15 Jahren aussehen wird. „Damit haben wir eine Vorreiterrolle inne“, erklärt das für die Bargeldversorgung zuständige Bundesbank-Vorstandsmitglied Johannes Beermann der Börsen-Zeitung mit Blick auf Zentralbanken andernorts: „Mit dem weit in die Zukunft reichenden Blick gehen wir ganz neue Wege.“ Überlegungen zu ihrer Bargeldstrategie stellt derzeit auch die Europäische Zentralbank (EZB) an. Diese zielen gleichwohl eher auf einen Fünfjahreszeitraum ab. Fertiggestellt sein soll die Untersuchung der Bundesbank im kommenden Jahr, Anfang 2024 will Beermann Ergebnisse vorlegen.

Im Eurosystem, das fast 1,6 Bill. Euro in Form von Banknoten ausgegeben hat, ist die Bundesbank mit einem Anteil von 913 Mrd. der mit Abstand größte Bargeldakteur. Ihre prominente Rolle führt die Zentralbank dabei auch darauf zurück, dass sie einen großen Teil der Auslandsnachfrage von außerhalb des Euroraumes bediene.

Mit ihrem Vorstoß versucht die deutsche Zentralbank nun, den Megatrends dieser Zeit gerecht zu werden: Die Digitalisierung lässt die Nutzung von Bargeld langsam, aber stetig sinken. Zu berücksichtigen sind ferner die Entwicklung der De­mo­grafie und der Migration, ebenso aber Anforderungen der Nachhaltigkeit. All dies entscheidet unter anderem darüber, wie dicht das Netz der Bargeldautomaten künftig sein muss oder aus welchem Material Bargeld produziert wird – derzeit haben Bundesbürger im Mittel zehn Minuten Weg zum nächsten „Bargeldbezugspunkt“, wie es im Bundesbanken-Deutsch heißt.

Pandemie und Zinswende

„Wir schauen, wohin die Entwicklung führt und welchen Platz das Zahlungsmittel Bargeld in möglichen Zukunftsszenarien einnehmen würde“, erläutert Beermann. Letzten Endes muss es ihm darum gehen, wie die Bundesbank ihrem gesetzlichen Auftrag zur Bargeldversorgung in einem sich rasch ändernden Umfeld gerecht werden kann.

Die Studie fällt in eine ereignisreiche Zeit. So steht die Frage im Raum, ob die Zinswende auf mittlere Sicht auch den Trend drehen lässt, Bargeld zu horten (siehe Grafik). Auf diese Weise können Unternehmen und Private Negativzinsen vermeiden. Zu­gleich ist Bargeldhortung aber auch ein Krisensymptom unabhängig vom Zinsniveau. So gab die Zentralbank allein im März 2020 netto rund 21 Mrd. Euro mehr an Bargeld aus – kurioserweise trieb die Pandemie die Nachfrage nach Bargeld, obwohl dessen Nutzung zum Bezahlen infolge Lockdowns und Ladenschließungen sank. Derzeit beobachtet die Bundesbank, dass die Nutzung wieder zu­nimmt. Rückmeldungen aus den Filialen in München und Leipzig zeigten, dass die Bargeldbearbeitung dort fast Vorkrisenniveau erreicht habe, sagt Beermann. Im Zuge von Volksfesten und Weihnachtsmärkten dürfte der Umlauf erfahrungsgemäß nun in den kommenden Monaten nochmals zulegen. Inwieweit angesichts der Zinswende gehortetes Bargeld in den Kreislauf zurückfließt, lässt sich laut Bundesbank derzeit nur grob abschätzen. Im Falle von Geschäftsbanken sei zu erwarten, dass diese das Bargeld bald wieder bei der Bundesbank einzahlten, heißt es. Privatpersonen seien in der Regel weniger zinsempfindlich.

Grundsätzlich hat die Pandemie den langfristigen Trend verstärkt, dass die Nutzung von Bargeld im Zahlungsverkehr deutlich abnimmt – so ist der Anteil des Bargeldes als Zah­lungsmittel am Umsatz von knapp 50% im Jahr 2017 auf rund 30% gefallen. Andererseits aber haben die jüngsten Störungen im Kartengeschäft nach dem Debakel mit dem Zahlungsterminal H5000 von Verifone den Bundesbürgern die Bedeutung einer funktionierenden Bargeldinfrastruktur eindrücklich vor Augen geführt, auch wenn diese in Zeiten hoher Cyberrisiken nur als Rückfalloption dient.

Für die Zentralbank ist der Ausfall von Kartenlesegeräten Ende Mai wie die Finanzkrise 2008, die Pandemie oder der Beginn des Krieges gegen die Ukraine ein krisenhaftes Ereignis, in dessen Folge die Bargeldnachfrage in der Regel stark steigt. Kurzzeitig zog die Terminal-Störung denn auch einen moderaten Anstieg der Bargeldeinzahlungen bei der Zentralbank, vor allem von 50- und 100-Euro-Noten, nach sich.

„Damit hat die Bundesbank bei der ­gebotenen Neutralität zu den Zahlungsmitteln die Zeichen der Zeit er­kannt“, kommentiert Harald Ol­schok, der Ende März nach fast 30 Jahren als Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW) in den Ruhestand gegangen ist, die von der Zentralbank in Angriff genommene Untersuchung. Der Verband, dessen Reihen sich im Zuge einer Fusionswelle unter den Dienstleistern lichten, fordert im Eigeninteresse schon seit längerem politische Unterstützung „zum Erhalt einer wirtschaftlichen Bargeldinfrastruktur“ wie „eine Bargeld-Annahmepflicht des Handels“ oder „eine ausreichende Zahl“ von Geldautomaten.

Filialschwund

Die Bundesbank hat ihre ­Filialen in den zurückliegenden 20 Jahren von über 200 auf 31 reduziert, die Zahl der Filialen von Kreditinstituten ist in den Jahren 2016 bis 2020 bundesweit um 8000 gesunken, die Zahl der Geldautomaten um 2000. Ol­schok: „Bargeld ist das einzige Zahlungsmittel, das in Not- und Krisenfällen unabhängig von technischer Infrastruktur genutzt werden kann.“

Bei der Bundesbank gibt man derweil zu verstehen, momentan sei das drängendste Problem der Geldwertdienste eher ein Mangel an Arbeitskräften als die Konsolidierung im Markt, zumal dessen Struktur hierzulande nach wie vor deutlich kleinteiliger sei als in anderen Ländern Europas. Eine Konzentration lasse sich eher bei der Herstellung von Banknoten beim Anbieter Giesecke & Devrient erkennen. Schon als im Juli 1990 die Währungsunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR wirksam wurde, wuppte der Münchener Mittelständler die Hälfte des zusätzlichen Bedarfs an D-Mark-Banknoten.

Mit der Arbeit an der Studie „Bargeld der Zukunft“ hat die Bundesbank die VDI/VDE Innovation und Technik GmbH sowie per Unterauftrag das Sinus-Institut betraut. Unterteilt ist das ganze Vorhaben in fünf Phasen: Die erste Phase, be­stehend aus Interviews mit Banken, Geldwertdiensten, aber auch etwa Supermärkten, die zunehmend Funk­tionen im Bargeldverkehr übernehmen, ist bereits beendet. Nun geht es darum, potenzielle Szenario-Felder zu identifizieren. Nach theoretischen Analysen gilt es dann, Schlüsselfaktoren zu untersuchen, zu gewichten sowie entsprechende Szenarien zu entwickeln. In einer fünften und letzten Phase werden dann daraus Konsequenzen für die Bargeldstrategie abgeleitet. „Das werden wir dann basierend auf den Studienergebnissen selbst machen“, kündigt Beermann an.

Nachhaltigkeitsfragen

Dass Digitalisierung und ein digitaler Euro das Bargeld so rasch verdrängen werden, will Beermann nicht prognostizieren. Neue Zahlungsoptionen verdrängten nicht die alten, vielmehr nutzten die Bürger umso mehr Optionen, je mehr ihnen offenstünden, erläutert er und sagt: „Möglicherweise wird der digitale Euro den unbaren Zahlungsverkehr stärker beeinflussen als das Bargeld.“ Aus ebendiesem Grunde halten sich wohl auch die USA bislang mit Be­kenntnissen zu einem digitalen Dollar zurück, wie man bei der Bundesbank mutmaßt. Schließlich haben in Visa und Mastercard zwei Gesellschaften, die drei Viertel des unbaren Zahlungsverkehrs weltweit auf sich vereinen, ihren Sitz in den Vereinigten Staaten. Beermann zeigt sich grundsätzlich offen für die Perspektiven, die ein digitaler Euro mit sich brächte. So stellten Machine-to-Machine Payments zweifelsohne eine Ef­fizienzverbesserung dar. Banker prophezeien bei Zahlungen mit einem digitalen Euro entscheidende Automatisierungsvorteile.

Noch lange nicht am Ende sieht Beermann die Bundesbank auch mit Blick auf die Nachhaltigkeit der Bargeldherstellung. „Wir haben beim Thema Nachhaltigkeit schon einiges erreicht, arbeiten aber fortlaufend an weiteren Verbesserungen“, sagt er mit Blick auf Fragen wie die Wassernutzung, den Einsatz von Kunststoff oder den Umgang mit geschredderten, aus dem Verkehr gezogenen Banknoten. Mit ihrem Recycling ge­brauchter Noten sieht sich die Bundesbank, welche die Produktion der Noten Beermann zufolge bereits auf Baumwolle aus nachhaltiger Produktion umgestellt hat, generell bereits weiter als Zentralbanken andernorts, die gebrauchte Noten weitaus radikaler vernichten. Auch lässt die Bundesbank geschredderte Noten verbrennen; andernorts werden sie mehr oder weniger in der Erde verbuddelt, wie zu hören ist.

Auch wenn der Prozess der künftigen Bargeldstrategie noch am An­fang steht: Dass die Bundesbank allein um der Nachhaltigkeit willen den digitalen Euro forciert, ist nicht unbedingt zu erwarten, wie Beermann durchblicken lässt. „Da sollten wir erst mal entspannt abwarten. Der unbare Zahlungsverkehr braucht auch Strom und andere Ressourcen.“

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