Antizyklische Kapitalpuffer

Der Moment ist gekommen

Wir befinden uns in einem expandierenden Finanzzyklus. Die Volatilität ist gering, viele Indikatoren stehen günstig. Genau der richtige Zeitpunkt, um den antizyklischen Kapitalpuffer zu reaktivieren.

Der Moment ist gekommen

Seit die Deutsche Bundesbank anlässlich der Präsentation des Fi­nanzmarktstabilitätsberichtes indizierte, den antizyklischen Kapitalpuffer zu reaktivieren, sehen sich die kreditwirtschaftlichen Verbände herausgefordert, verbal vorzubeugen. Die Analyse des in jeder Hinsicht fundierten, 115 Seiten starken Berichts zeigt jedoch, dass die Einwendungen der Banken und Sparkassen nicht zu überzeugen vermögen.  

Beispiellose Gesetzgebung

Es empfiehlt sich in Erinnerung zu rufen, dass seit Ausbruch der Corona-Pandemie eine im historischen Vergleich beispiellose Gesetzgebung mit dem Ziel eingesetzt hatte, die Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft abzufedern. Auch die europäischen und nationalen Aufsichtsbehörden der Finanzwirtschaft hatten konstruktiv und mit unvergleichbarer Schnelligkeit unbürokratisch substanzielle Erleichterungen geschaffen. Schon seinerzeit meinten einige Apologeten, das alles reiche nicht aus. So wurde von der Europäischen Zentralbank die Rückzahlung des negativen Einlagenzinses gefordert oder die Verschiebung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie angemahnt.

Zwar lässt sich für die weitere Freigabe des antizyklischen Kapitalpuffers argumentieren, dass sich das Infektionsgeschehen intensiviert und Prävalenz (Häufigkeit der Krankheit) sowie Inzidenz (Häufigkeit der Neuerkrankungen) auf ein hohes Niveau gestiegen sind und dort zu verharren scheinen.

Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich bereits vor der Pandemie Verwundbarkeiten im deutschen Finanzsystem gegenüber negativen makrofinanziellen und ökonomischen Entwicklungen aufgebaut haben, die ein präventives Handeln erforderten.

Expandierender Zyklus

Gegenwärtig ist ein expandierender Finanzzyklus zu beobachten. An den internationalen Märkten ist die Volatilität gering und viele Indikatoren deuten auf hohe Bewertungen hin. Das gilt besonders für den Immobilienmarkt. Dabei ist festzustellen, dass die Preise während der Pandemie schneller als die Einkommen der privaten Haushalte gestiegen sind.

Übertreibungen nehmen zu

Das Gleiche lässt sich mit Blick auf die Mietpreisentwicklung ergänzen. Es bedarf keiner Prophetie, um vorherzusagen, dass sich die bestehenden Übertreibungen bei den Wohnimmobilien tendenziell weiter erhöhen werden. Aber auch andere Assetklassen sind betroffen, so dass allein Vorschläge zur Limitierung von Beleihungsausläufen, des Verhältnisses der Darlehnssumme zum Immobilienwert oder eine Anpassung von Risikogewichten risikoinadäquat sind.

Zudem sind die Finanzierungsbedingungen für Haushalte und Unternehmen unverändert günstig. Der Wettbewerb hat erneut an Schärfe zugenommen, der Risikoappetit scheint gestiegen. Niedrige Zinsen und eine geringe Volatilität dürften diese Entwicklung weiter stützen. Vor diesem Hintergrund zu behaupten, Banken und Sparkassen würden durch eine Reaktivierung des antizyklischen Kapitalpuffers an der Kreditvergabe gehindert werden, ist unsubstantiiert.

Schließlich sind auch die Zinsänderungsrisiken und damit die Verwundbarkeit des überwiegend durch Einlagen refinanzierten deutschen Finanzsystems größer geworden. Nach der aufsichtlichen Auswertung der Baseler Zinskoeffizienten per 31. März 2021 sind 44 % der deutschen Kreditinstitute einem erhöhten Zinsänderungsrisiko ausgesetzt. Ihr Anstieg wurde durch die lange Phase niedriger Zinsen ausgelöst. Die Zinsen könnten steigen, wenn sich Inflationsraten unerwartet kräftig erhöhen oder Risikoprämien an den Märkten steigen.

Frühzeitiger Aufbau  

Der antizyklische Kapitalpuffer soll in Zeiten steigender zyklischer Verwundbarkeiten aufgebaut werden. Gehen die Verwundbarkeiten zurück, kann er gesenkt und in Krisenzeiten unmittelbar freigegeben, also auf null reduziert werden. Entscheidend aber ist, die Puffer frühzeitig aufzubauen. Das Adjektiv „frühzeitig“ besagt, dass etwas früher als üblich oder nötig geschieht. So konkretisiert der Duden, etwas vor einem üblichen oder vereinbarten Zeitpunkt zu tun. Dieser Moment ist jetzt gekommen, insbesondere vor dem Erfahrungshintergrund der Entstehung früherer Finanzkrisen. So bleibt zu hoffen, dass der Ausschuss für Finanzstabilität entsprechend votiert. Es wäre letztlich in unser aller Interesse.

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