Banken

Die Aschenputtel-Rally

Die Hoffnung auf Dividenden und steigende Zinsen in der Eurozone beschert den lange geschmähten Banken eine Renaissance an der Börse.

Die Aschenputtel-Rally

Dinge kontinuierlich neu zu bewerten liegt in der Natur des Menschen. Zum Ausdruck kommt das in den immer wiederkehrenden Mode-Revivals der verschiedenen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ebenso wie im Bibelzitat von den Letzten, die dereinst die Ersten sein werden (Matthäus 20:16), oder dem bei Jugendlichen beliebten Ausdruck, Künstlerin X oder Künstler Y sei „so unterschätzt“. Auch an der Börse, die trotz aller Versuche, sie per Excel-Sheets dem Diktat des Rationalen zu unterwerfen, seit jeher als Projektionsfläche menschlicher Emotionen dient, ist dieses Phänomen bekannt. Es zeigte sich zum Beispiel in der seit Monaten voranschreitenden Aufwertung der europäischen Bankaktien, die wie eine Aschenputtel-Rally daherkommt.

Immerhin hatten die Analysten über Jahre die strukturelle Unterlegenheit des europäischen und insbesondere des kontinentaleuropäischen Sektors im Vergleich zu den großen US-Wettbewerbern unterstrichen. Der Hauptgrund dafür ist der ungleich weiter entwickelte Kapitalmarkt. Er erlaubt es den Wall-Street-Banken, sich vom Zinsumfeld ein Stück weit zu emanzipieren, in dem sie hohe Provisionserträge erwirtschaften. Daran hat sich bis heute auch eigentlich nicht viel geändert, wie die Rekordzahlen verdeutlichen, die Goldman Sachs, J.P. Morgan Chase, Bank of America, Citigroup und Morgan Stanley für das abgelaufene Geschäftsjahr veröffentlicht haben.

Trotzdem rücken seit Monaten zunehmend die (kontinental-)europäischen Wettbewerber ins Rampenlicht. Dafür gibt es ganz handfeste Gründe, wie etwa die wahrscheinlicher gewordene Zinswende, von der die europäischen Banken mit ihren meist vor allem von den Zinserträgen abhängigen Geschäftsmodellen be­sonders profitieren. Zudem haben einige der gro­ßen Adressen in der jüngeren Vergangenheit massive Sparprogramme aufgelegt, um wieder attraktiver zu werden für Investoren. Schon vor Ausbruch der Pandemie beschlossen die italienische Unicredit und die Deutsche Bank Stellenabbaupläne von historischer Dimension. 2020 folgte die spanische Großbank Santander und im vergangenen Jahr die Commerzbank und die Caixabank aus Barcelona.

Nachdem die mit dem Personalabbau einhergehenden Kosten bereits weitgehend verarbeitet sind, zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die zu Beginn der Pandemie befürchtete Pleitewelle wohl auch in Europa ausbleiben wird. Vor diesem Hintergrund haben die Institute in Abstimmung mit den Wirtschaftsprüfern im vergangenen Jahr begonnen, die dafür gebildeten Rückstellungen aufzulösen, was den Jahresgewinnen entsprechenden Auftrieb verleiht. So polierte bei Santander und ihrer heimischen Rivalin BBVA eine um etwa 40% gesunkene Risikovorsorge das Ergebnis auf. Die französische BNP Paribas gab am Dienstag bekannt, dass sie die Risikovorsorge wie zuvor schon die niederländische ING Groep im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2020 halbiert hat. Swedbank (–61%), Deutsche Bank (–71%) und SEB (–91%) fuhren die Rückstellungen für faule Kredite sogar noch entschiedener zurück.

Zugleich profitieren die Institute in der Eurozone noch von der hehren Absicht der Europäischen Zentralbank (EZB), die Kreditvergabe auch in Zeiten der Krise am Laufen zu halten. Wie der monatlich erhobene „Bank Lending Survey“, eine Umfrage bei einer Auswahl von Geschäftsbanken der Eurozone, ergab, weiteten zahlreiche Institute kurz vor Jahresschluss ihre Kreditvergabe massiv aus, um in den Genuss der Sonderverzinsung in Höhe von 100 Basispunkten zu gelangen, die ihnen die Notenbank im Rahmen der sogenannten TLTRO-Programme gewährt. War die Kreditvergabe an Unternehmen im letzten Monat des Jahres in den vergangenen zehn Jahren um durchschnittlich 35 Mrd. Euro zurückgegangen, legte sie im Dezember 2021 um 50 Mrd. Euro zu.

Das alles sorgt dafür, dass die Banken der Eurozone bei der Veröffentlichung der Jahreszahlen nicht bloß gut dastehen, sondern nach der teils von der Aufsicht, teils aus betriebswirtschaftlicher Not erzwungenen Zurückhaltung endlich wieder Ausschüttungen und Aktienrückkäufe in Aussicht stellen können. Den durchschnittlichen Anstieg der Börsenbewertungen um mehr als 40% in den vergangenen zwölf Monaten erklärt es jedoch nicht. Zumal die zu den handfesteren Faktoren gezählte Hoffnung auf steigende Zinsen in den vergangenen Jahren allzu oft enttäuscht wurde. Erklären lässt sich das Momentum am Ende nur – und das ist die Parallele zu Grimms Märchen – durch ein Publikum, das der Magie Glauben schenken will.

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