Sozialer Aufstieg

Die „Class Ceiling“ ist schwer zu überwinden

Britische Diversitätsbeauftragte haben ein neues Thema: sozioökonomische Ungleichheit. Dabei sind die Klassengegensätze im Vereinigten Königreich nicht erst seit gestern offenkundig.

Die „Class Ceiling“ ist schwer zu überwinden

Von Andreas Hippin, London

Über die „Glass Ceiling“, die gläserne Decke, die Frauen den beruflichen Aufstieg verbaut, hat man in den vergangenen Jahrzehnten viel gehört. Überwunden ist diese Hürde noch lange nicht, doch will man sich in der Londoner Finanzbranche nun einem ganz anderen Problem stellen. „Wir müssen die ‚Class Ceiling‘ durchbrechen“, forderte Catherine McGuinness, die bei der City of London Corporation einer Taskforce vorsitzt, die für mehr sozioökonomische Diversität sorgen soll.

Unterstützt wird sie dabei von einem ehemaligen Chefvolkswirt der Bank of England: „Wir können als Land nicht wachsen, solange die Menschen nicht wachsen“, sagt Andy Haldane. „Zu lange wurde das persönliche Wachstum durch den sozioökonomischen Hintergrund der Menschen eingeschränkt.“ Geht es nach der Taskforce, soll bis 2030 mindestens die Hälfte der Führungskräfte der Finanzbranche und ihrer professionellen Dienstleister aus der Arbeiterklasse oder wenigstens der Mittelschicht stammen. Derzeit seien es gerade einmal 37 %. Sie steigen langsamer auf und verdienen bis zu 17 500 Pfund weniger pro Jahr.

„Poshness Test“

Oft zählen Soft Skills wie Dialekt und Wortwahl, das Befolgen von Benimmregeln und Dresscodes – bitte keine braunen Schuhe! – mehr als akademische Leistungen, wenn man in der City einen Job haben will. Alan Milburn, ein ehemaliges Kabinettsmitglied von Tony Blair, sprach einmal von einem „Poshness Test“, dem Bewerber unterzogen würden.

Wer in einer Einwandererfamilie im Osten Londons aufwächst, spricht zwar im Zweifelsfall mehr Sprachen und hat einen tieferen Zugang zu anderen Kulturen als die Jeunesse dorée aus dem Speckgürtel der Metropole, aber ihr oder ihm könnte die richtige Aussprache schwergängiger Familiennamen wie Darcy de Knayth oder Pennycuick schwerfallen.

Man tut gerne so, als spiele das alles heute keine große Rolle mehr, doch gibt es zahllose „Non-U“-Ausdrucksweisen („U“ steht hier für „Upper Class“), an denen man erkennt, wer nicht dazugehört. So heißt es etwa „napkin“ und nicht „serviette“. Widerborstige Dialekte wie Cockney hört man nur noch selten. Schließlich soll der Kunde am Telefon nicht den Eindruck bekommen, aus Versehen bei einem Kohlenhändler in Hackney gelandet zu sein.

Bis 2030 sollen nach dem Willen der Taskforce alle Organisationen in der Branche damit beginnen, den sozioökonomischen Hintergrund der Beschäftigten zu erfassen. Eine von der City of London Corporation und acht weiteren Organisationen finanzierte Studie unter dem Titel „Wer kommt voran und wie?“ hat bereits wesentliche Hinweise geliefert. Für sie wurden Daten von 7 780 Beschäftigten gesammelt und mehr als 100 Interviews geführt. Dabei ergab sich, dass 16 % auf eine Privatschule gegangen sind – mehr als doppelt so viele wie im landesweiten Durchschnitt. Eine selektive öffentliche Schule wurde von 23 % besucht. Dabei handelt es sich unter anderem um Konfessionsschulen, auf die wegen ihres guten Rufs auch aufstiegsorientierte Eltern mit weniger starkem Glauben setzen, zumal von ihnen keine Schulgebühren verlangt werden. Betrachtet man ausschließlich Angehörige der oberen Führungsetage, entstammten dort 25% einer Privatschule und 21% einer selektiven öffentlichen Schule.

Alles in allem hatte gut die Hälfte der Befragten einen gehobenen sozioökonomischen Hintergrund. Betrachtet man die arbeitende Bevölkerung Großbritanniens insgesamt, trifft das nur für ein Drittel zu. Es würde allerdings zu kurz greifen, nur beim Berufseinstieg auf das Thema Diversität zu pochen. Wie die Umfrage zeigt, warten Teilnehmer mit einem niedrigeren sozioökonomischen Hintergrund im Durchschnitt um ein Viertel länger auf eine Beförderung. Wer sich zudem auch noch als schwarz kategorisiert, wartet fast ein Drittel länger.

Mit Performance lässt sich das nicht erklären. Oft spielen langfristige familiäre, schulische oder universitäre Beziehungen eine Rolle, aber auch gemeinsame soziale und kulturelle Erfahrungen. „Sicher, wir (mein Vorgesetzter und ich) sprechen über Kricket“, wird ein Umfrageteilnehmer zitiert. „Wir spielen Golf, wir gehen was trinken. Er ist sportlich. Ich bin sportlich. Wenn man keine Gemeinsamkeiten hat, ist es schwerer.“ Selbstvertrauen und ein sicheres Auftreten zählen eine Menge. „Was du sagst, zählt (für das Vorankommen) nur ein Drittel“, kommt ein anderer zu Wort. „Du musst salon­fähig und genehm sein.“

Das ist für Mitarbeiter, die nicht aus der Oberschicht stammen, oft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Denn einerseits würden sie gerne dazugehören, spüren aber täglich, dass sie es nicht tun. Denn sie können sich mit Kollegen oder Kunden weder über ihren Zweitwohnsitz in Devon oder Cornwall austauschen noch über die Probleme der Kinder an ihrer Eliteschule oder den Schimmel im Weinkeller. „Es ist ja nicht ihre Schuld“, sagt ein Umfrageteilnehmer. „Es ist einfach ihr Leben. Ich fühle mich von solchen Konversationen eingeschüchtert, weil ich nichts dazu beitragen kann.“

Die Studie zeigt auch, dass Klassengegensätze nicht alles erklären. So waren 43% der Führungspositionen mit weißen Männern besetzt, die entweder eine Privatschule oder eine selektive öffentliche Schule besucht haben. Schwarze Briten mit einem höheren sozioökonomischen Hintergrund verdienten mehr als schwarze Briten aus weniger begüterten Bevölkerungsschichten. Sie bekommen in der Regel aber weniger als weiße Briten mit einem vergleichbaren Hintergrund. „Wir sind alle im gleichen Boot, aber nicht auf dem gleichen Meer“, brachte es einer der Umfrageteilnehmer auf den Punkt.

Bisher erschienen:

„Banken bewerben sich bei den Kandidaten“ (7. Januar)

Mit dem Mangel leben lernen (5.Januar)