ESG-Regulierung in Brüssel

„Ein weiteres entscheidendes Jahr“

An allen Ecken und Enden wird derzeit in der EU am Thema Nachhaltigkeit und ESG gearbeitet. 2022 dürften einige wichtige Gesetzesvorhaben abgeschlossen werden. Aber die Pipeline der EU-Kommission ist noch voll.

„Ein weiteres entscheidendes Jahr“

Von Andreas Heitker, Brüssel

Dass das Thema Nachhaltigkeit und ESG (Environmental, Social, Governance) mittlerweile eine überragende Rolle in der europäischen Finanzmarktregulierung erhalten hat, dürfte wohl spätestens das vergangene Jahr mehr als deutlich gemacht haben: Ob neue Offenlegungspflichten, eine erweiterte Sustainable-Finance-Strategie, Nachbesserungen in den Solvency-Regeln, die Basel-III-Umsetzung oder neue Standards für grüne Anleihen – die EU-Kommission hat 2021 viele Vorschläge auf den Tisch gelegt, die Banken, Fondsmanager, Unternehmen und Aufsichtsbehörden auf einen grüneren Pfad lenken sollen. Der europäische Kapitalmarktverband AFME rechnet damit, dass die Brüsseler Behörde ihr Pulver noch längst nicht verschossen hat und nachhaltige Finanzen weiterhin eine Schlüsselpriorität in der EU haben. „2022 wird voraussichtlich ein weiteres entscheidendes Jahr“ mit zahlreichen weiteren wichtige Initiativen, sagt Oliver Moullin, der Managing Director für Sustainable Finance bei AFME.

Die ersten Wochen gaben hiervon schon einen Vorgeschmack: Erst am Montag hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) ihre Entwürfe von ESG-Daten-Formularen veröffentlicht, die EU-Großbanken künftig ausfüllen müssen. Die einheitlichen technischen Standards wird die Europäische Kommission jetzt noch mittels eines delegierten Rechtsaktes absegnen. Ab 2024 müssen Banken neue Kennziffern veröffentlichen wie etwa die sogenannte Green Asset Ratio, die den Anteil ihrer klimafreundlichen Geschäfte misst. Neben der EBA sind auch die anderen beiden europäischen Finanzaufsichtsbehörden ESMA und EIOPA an der Ausarbeitung weiterer technischer Standards beteiligt, die unter anderem auch im Verbriefungssektor noch erwartet werden.

Der wohl größte Aufreger ist seit Anfang Januar aber der Taxonomievorschlag der EU-Kommission zum Umgang mit Atomenergie und Erdgas. Wie auch immer der Streit darüber ausgeht: Das EU-Klassifizierungssystem für nachhaltige Investitionen – das Herzstück der europäischen Sustainable Finance-Gesetzgebung – wird 2022 aber auch noch an anderen Stellen ausgebaut. So wird noch im ersten Halbjahr ein Bericht der Kommission zur Einführung einer sozialen Taxonomie erwartet, der ebenfalls kontroverse Reaktionen in der (Finanz-)Wirtschaft hervorrufen dürfte.

Volle Pipeline

Und nachdem die Klima-Taxonomie nun am 1. Januar in Kraft getreten ist, stehen nun auch noch die Vorschläge der EU-Kommission aus, wie genau die anderen vier Umweltziele der Taxonomie erreicht werden sollen. Zu diesen gehören die nachhaltige Nutzung und der Schutz von Wasser und Meerressourcen, der Übergang zur Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Umweltverschmutzung sowie der Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und Ökosysteme. Eigentlich war dieser delegierte Rechtsakt auch schon für 2021 angekündigt.

Im Brüsseler Fokus steht in diesem Jahr neben der Taxonomie aber auch, die zahlreichen Gesetzesvorschläge der Kommission abzuschließen. Im Fokus steht dabei unter anderem die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) – die frühere Richtlinie über nichtfinanzielle Berichterstattung (NFRD) –, die seit April letzten Jahres auf dem Tisch liegt. Die Mitgesetzgeber sind zurzeit noch dabei, ihre Positionen und Änderungsanträge dazu abzustimmen. Wie zu hören ist, gab es dazu aber in der vergangenen Woche im EU-Parlament schon deutliche Fortschritte. Die Richtlinie soll auch noch 2022 in trockene Tücher kommen. 50000 Unternehmen werden dann in die Offenlegungspflichten einbezogen – fast fünf Mal mehr als heute. Für die aktuelle französische EU-Ratspräsidentschaft hat die CSRD eine hohe Priorität.

Zu den weiteren schon fortgeschrittenen Gesetzgebungen gehört der neue Green Bond Standard. Der freiwillige Standard verlangt unter anderem eine vollständige Erfüllung der Vorgaben der Taxonomie. Dem Vernehmen nach sind die Schlussverhandlungen der drei EU-Gesetzgeber für das zweite Quartal vorgesehen, so dass auch dieses neue Instrument 2022 abgeschlossen werden könnte.

Die ausgeweitete Sustainable-Finance-Strategie der Kommission sieht darüber hinaus auch noch einen weiteren neuen Standard vor. Dabei geht es um eine freiwillige ESG-Offenlegung für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU). Wann es hierzu einen Gesetzesvorschlag geben wird, ist aber noch unklar.

Klar ist dagegen, dass die Sustainable-Finance-Pipeline ohnehin noch voll ist. Die im vergangenen Juli nachgebesserte Strategie wurde um insgesamt fast 20 neue Projekte erweitert. Da geht es unter anderem darum, das Thema ESG auch bei Ratingagenturen und Finanzberatern stärker zu platzieren. Und da geht es eventuell auch um neue Offenlegungspflichten in der Prospekt-Richtlinie und Änderungen der Aktionärsrichtlinie SRD II, um das Engagement von Investoren für mehr Nachhaltigkeit besser zu fördern. Die EU ist nachhaltig beschäftigt.

Zuletzt erschienen:

Atom und Gas untergraben Glaubwürdigkeit (22. Januar)

Das Mining wird zwangsläufig immer grüner (20. Januar)

Die Komplexität der Regeln ist atemberaubend (19. Januar)