Serie Green Fintech

Maschinen für Umwelt- und Klimadaten bauen

Die Verarbeitung von ESG-Daten ist eine Herkulesaufgabe für Assetmanager und Unternehmen. Fintechs mit Fokus auf ESG-Datenlösungen haben mittlere und kleinere Unternehmen im Visier.

Maschinen für Umwelt- und Klimadaten bauen

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Die Verarbeitung von ESG-Daten ist eine Herkulesaufgabe für Assetmanager und Unternehmen. Automatisierte Verfahren kombiniert mit künstlicher Intelligenz stehen in vielen Fällen schon zur Verfügung. In dem Segment sind es Start-ups, die als Green Fintechs Lösungen für eine intelligente Verarbeitung von ESG-Daten oder die Analyse von Klima­risiken zur Verfügung stellen.

Der globale Markt für ESG-Berichterstattung ist dabei ein riesiges Geschäft. Bis 2027 dürfte das Volumen nach Angaben des schwedischen Fintechs Datia auf 16 Mrd. Dollar anwachsen, was einer Wachstumsrate von 17% entspricht. Gleichzeitig nimmt die Regulierung im nachhaltigen Finanzwesen zu, was die Investoren unter Druck setzt, die Anforderungen des Marktes und der Gesetzgeber zu erfüllen.

Fintech ungleich Fintech

Grüne Fintechs unterschieden sich von breiten Datenanbietern wie ISS, MSCI und Sustainalytics. Das Fintech Screen17 bietet auf mehreren Big-Data-Quellen basierende Analyse, die an den 17 Zielen der Vereinten Nationen (SDGs) ausgerichtet ist und es Kunden ermöglicht, nach ihrem individuellen ethischen und moralischen Kompass zu investieren. Screen17 aggregiert Rohdaten von ESG-Datenanbietern und ermittelt sogenannte SDG-Scores. Ein Reporting bietet Screen17 auf Emittenten- und Portfolioebene. Hinzu kommen Filter für relevante Kontroversen. „Wir wollen Anleger auf eine höhere Stufe des Nachhaltigkeitsinvestments bringen“, sagt Shelly Kelly, die für den Vertrieb verantwortlich ist. Im Prozess geht es darum, drei Probleme in den Griff zu bekommen: die unterschiedlichen Methoden der Ratingagenturen, die Kosten und die Komplexität der Regulierung.

Das in Berlin ansässige Start-up Atlas Metrics bietet eine Plattform, die die Erfassung, Verwaltung und Berichterstattung von ESG-Daten intuitiv erleichtern soll. Nutzer können sich maßgeschneiderte Dash­boards und Benchmarks erstellen. Das Fintech will dabei helfen, die oft über Systeme und Regionen hinweg fragmentierten ESG-Daten besser auszuwerten. Es wurden Werkzeuge entwickelt, die es Unternehmen leicht machen, die Auswirkungen ihrer Geschäfte in ESG-Dimension zu messen. „Wir machen ESG-Daten für jedermann verständlich und geben einen ganzheitlichen Einblick in die Leistung von Unternehmen“, sagt Gründer und CEO Wladimir Nikoluk.

Das 2019 gegründete Start-up Datia arbeitet mit Unternehmen und Investoren zusammen, um ihre Daten zur Nachhaltigkeit automatisch zu gestalten, wie Gründer und CEO Juan Manuel Serruya erklärt. „ESG-Ratings der alten Schule reichen nicht mehr aus. Die Herausforderung besteht zu­nehmend da­rin, harte Daten in den Anlageprozess zu integrieren und dabei die sich schnell ändernden Vorschriften und Kundenanforderungen an die Nachhaltigkeit zu erfüllen.“ Investoren stünden vor der Herausforderung, Hunderte von ESG-Datenpunkten zu sammeln, sie in ihren Anlageprozess zu integrieren und die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen.

Datias Lösung automatisiert die Berichterstattung im Rahmen von EU-Offenlegungsverordnung und Taxonomie durch die Bereitstellung von Daten für über 10000 Unternehmen. Das Tool kann nach Unternehmensangaben Berechnungen auf Portfolioebene durchführen und ist in der Lage, Berichte gemäß den Artikeln 8 und 9 der Offenlegungsverordnung zu exportieren.

Der SDG-Datensatz von Datia soll es Anlegern ermöglichen, die Auswirkungen ihrer Portfolios auf die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen zu verstehen und darüber zu berichten. Eine Stewardship-Anwendung ermöglicht es Investoren, all ihre ESG-Engagementaktivitäten und Hauptversammlungsabstimmungen zentral zu verwalten, einschließlich HV-Protokollen, Impact-Diskussionen und weiterer Dokumente. Datia verspricht Echtzeitinformationen über die aktive Beteiligung eines Fonds.

„Im Unterschied zu anderen großen ESG-Datenanbietern verarbeiten wir die Daten direkt nach den Wünschen der Kunden. Große Assetmanager nutzen oft die Pakete von MSCI oder Morningstar und rechnen auf der Basis weiter“, sagt Serruya. Wichtiger als die Datengewinnung ist aus seiner Sicht die Verarbeitung in einem automatischen Prozess. Insgesamt verfügt das Fintech über Daten zu 14000 Unternehmen und zu 250000 Fonds und ETFs.

Daten für das Klimarisiko

Die in London ansässige Firma Climate X hat das Ziel, für die Kunden die Wahrscheinlichkeit von extremen Wetterereignissen wie Überschwemmungen und die Auswirkungen auf Vermögenswerte zu quantifizieren. Dazu werden Klimarisiken auf Basis ortsspezifischer Klimarisiko-Ratings analysiert. Kunden wie Institutionen können über eine Schnittstelle oder Online-Benutzeroberfläche auf die Daten zugreifen. Nutzer sollen so nachvollziehen, wann und wo sie betroffen sein könnten, um modellbasiert den potenziellen Verlust ihres Portfolios abzuschätzen. Dies ermöglicht es, strategische Entscheidungen zu treffen, um mit Investments sicherer zu werden. Auch Venture-Capital-Akteure können das System nutzen, um das Risiko von Investitionen in Unternehmen zu messen. Interessant seien die Daten auch für Unternehmen, die nicht direkt betroffen seien. Beispiel: Die Automobilindustrie hängt von mehreren Zulieferern ab, und bei der Auswahl der Firmen können Klimarisikodaten wichtig sein, um weniger gefährdete Zulieferer zu finden.

Das Start-up Kettle hat ein Modell für Rückversicherungen entwickelt, das die Analyse von Klimarisiken verbessert und dadurch stabilere Erträge für Versicherer verspricht. Beispielsweise lassen sich Waldbrände in den 20% der am stärksten gefährdeten Gebiete vorhersagen. Das Kettle-Modell basiert auf Deep-Learning-Forschung und Maschine-Learning-Erkenntnissen. Durch die Anwendung einer Netzwerkarchitektur mit einem riesigen Datensatz und detaillierten Satellitenbildern hat Kettle das Ziel, den Schutz vor Wetterkatastrophen zu verbessern.

Fondshäuser zurückhaltend

Potenzielle Kunden für die technologiebasierte Analyse von ESG-Daten und die Modellierung von Klimarisiken sind auch Vermögensverwalter. In der deutschen Assetmanagementbranche ist man gegenüber jungen ESG-Datenfirmen zurückhaltend. „Wir schauen uns Fintechs an, arbeiten aber auf diesem Gebiet noch mit keinem Fintech zusammen“, heißt es bei Union Investment.

Die genossenschaftliche Investmentgesellschaft ist sich aber im Klaren, dass gerade der Bereich der künstlichen Intelligenz im Portfoliomanagement zunehmend an Bedeutung gewinnt. Hier nutzt die Gesellschaft zum Beispiel das selbst entwickelte Werkzeug Malina, wobei der Name für maschinelles Lernen für Investment-Anwendungen steht. Die ESG- und Quantitativen Analysten haben dazu gemeinsam mit Hilfe von künstlicher Intelligenz ein Modell entwickelt, das die Wahrscheinlichkeit angibt, ob ein Unternehmen einen Beitrag zur Dekarbonisierung der Wirtschaft leisten kann. „In das Modell fließen die Daten verschiedener Datenanbieter ein.“

Auch andere Fondsanbieter wie Allianz Global Investors und Deka verwenden Fintechs zur ESG-Datenanalyse und zur Verarbeitung von Klimadaten nicht. „Wir nutzen keine Fintech-Plattformen, sondern lassen Daten von den Providern über unsere eigene IT laufen oder haben eigene Reporting Tools“, schreibt auch die Deka und beschreibt damit den Ansatz der Branche, die bislang noch ohne Fintech-Lösungen auskommt oder diese selbst entwickeln will.

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ESG-Leistung messen ohne diskretionäre Blackbox (30. August)

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           Name          Sitz         GründungSeed Money in Mill. Dollar           Investoren          Schwerpunkt
Atlas MetricsBerlin2021k. A. 3ESG
Climate X London2020 5,415Klima 
DatiaStockholm 2019 4,1 9ESG
KettleKalifornien 201929,710Klima 
Quelle: CrunchbaseBörsen-Zeitung
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