Nachhaltigkeit

Mit Klimametrik der Kohlenstoffblase  den Kampf ansagen

Investoren sollten in jedem Fall einen Bogen um alle Assets machen, bei denen die Verbrennung fossiler Brennstoffe in welcher Form auch immer signifikant eingepreist ist, welche mutmaßlich – oder besser: hoffentlich – niemals gefördert und verbrannt werden.

Mit Klimametrik der Kohlenstoffblase  den Kampf ansagen

Diese Meldung hatte Mitte Mai einige Aufmerksamkeit erregt: Saudi Aramco hat Apple als wertvollstes börsennotiertes Unternehmen überholt. Kurzfristiger Auslöser aus Börsianer-Sicht war natürlich die Ölpreishausse, getrieben durch den Ukraine-Krieg, bei einem gleichzeitigen Kursverfall der Tech-Werte. Mittelfristig betrachtet war der Newswert hingegen gering: Saudi Aramco galt schon mehrmals als das Unternehmen mit der größten Marktkapitalisierung, wobei nur ein Bruchteil der Aktien tatsächlich im Handel ist. Erst 2020 hatte Apple seinerseits Saudi Aramco überholt. Jetzt liefern sich beide ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei etwa 2,4 Bill. Dollar Marktkapitalisierung.

Das könnte man schulterzuckend zur Kenntnis nehmen, doch man sollte einmal genauer darüber nachdenken. Was genau macht Saudi Aramco denn so wertvoll? Die hohe Gewinnmarge, mit Sicherheit. Und sonst? Das Unternehmen hat weder innovative Produkte noch wertvolle Patente oder eine begehrte Marke zu bieten wie Apple. Dafür aber Zugriff auf gigantische gesicherte Ölreserven: Mindestens 262 Mrd. Barrel Rohöl schlummern noch unter dem Wüstenboden, Tendenz eher steigend statt sinkend. Zum Vergleich: 2020 lag die weltweite Produktion bei 88 Mill. Barrel am Tag.

Saudi Aramco ist beileibe nicht der einzige Ölkonzern, der derzeit auf der Ölpreishausse mitschwimmt: ExxonMobils Börsenbewertung ist nahe am Allzeithoch, Marktkapitalisierung derzeit mehr als 400 Mrd. Dollar; Shell hat den aktuellen Rechtsrisiken zum Trotz 200 Mrd. Euro.

Billionenschwere Finanzblase

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und um Kohle- oder Gaskonzerne sowie die vielen nicht gelisteten, zumeist vollständig staatlichen Unternehmen ergänzen. Und selbst das ist nur die Spitze des Eisbergs: Kreditinstitute finanzieren die Förderung fossiler Energieträger mit Fremdkapital, Versicherer übernehmen immense Risiken, wie Umweltkatastrophen immer wieder zeigen. In Summe haben die globalen Kapitalmärkte die Förderung von fossilen Energieträgern mit Billionensummen eingepreist. Das Problem dabei: Wenn wir es mit den Klimazielen von Paris und anderen Konferenzen ernst meinen, müssten dieses Öl, dieses Gas und diese Kohle für immer im Boden bleiben und dürften gar nicht mehr verbrannt werden. Das lässt nur zwei Schlussfolgerungen zu: Entweder haben die Kapitalmärkte recht und die Klimaschutzversprechen sind nur Lippenbekenntnisse der Politik. Dann ist die Klimakatastrophe nicht mehr abzuwenden. Oder hier hat sich eine gigantische Finanzblase gebildet, die durch wirkungsvolle klimapolitische Eingriffe zum Platzen gebracht werden wird. Die Rede ist von einer Carbon Bubble, einer Kohlenstoffblase, die auf ein Volumen von 22 Bill. Dollar geschätzt wird.

Diese Zahl hat zuletzt Al Gore genannt. Der ehemalige US-Vizepräsident und Klimaaktivist gehört trotz seiner „unbequemen Wahrheit“ bezüglich der Kohlenstoffblase eher zu den Optimisten: Dem Fernsehsender Bloomberg sagte er in einem Interview im Rahmen der Cop26-Weltklimakonferenz in Glasgow im November 2021, fossile Brennstoffe im Wert von 22 Bill. Dollar würden niemals verbrannt, weil erneuerbare Energieträger inzwischen günstiger geworden seien, zumal die externen Kosten der fossilen Brennstoffe zunehmend internalisiert würden.

Ob diese Finanzblase nun mit lautem Knall platzt oder ob ihr langsam die Luft ausgeht – eines von beiden muss man hoffen, denn die Auswirkungen dieses Crashs sind definitiv das kleinere Übel gegenüber den sowohl ökologischen als auch ökonomischen Folgen von über 2 oder gar 3 Grad Erderwärmung.

Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für Investoren? Sie sollten in jedem Fall einen Bogen um alle Assets machen, bei denen die Verbrennung fossiler Brennstoffe in welcher Form auch immer signifikant eingepreist ist, welche mutmaßlich – oder besser: hoffentlich – niemals gefördert und verbrannt werden.

Schwierige Klimabilanz

Doch das ist nicht immer so leicht zu erkennen wie bei einem Ölkonzern. Wie genau sieht die Klimabilanz eines Unternehmens, der Aktiva einer Bank, des Anlageportfolios einer Versicherung aus? Welche Auswirkungen haben die Sanierungsmaßnahmen eines Immobilienportfolios für das Klima? Werde ich als Anleger mit meiner Strategie den eigenen Ansprüchen an Klimafreundlichkeit gerecht? Passen meine Investitionsentscheidungen zum 1,5-Grad-Klimaziel?

Fragen wie diese lassen sich mit herkömmlichen Emissionsmessungen nicht so leicht beantworten. Die Assetklassen sind untereinander so wenig vergleichbar wie die einzelnen Branchen und Firmen. Die ausgestoßene Menge an Treibhausgasen in einem bestimmten Zeitraum ist deshalb nicht aussagekräftig genug. Hinzu kommt, dass nicht allein die Emissionen an einem bestimmten Stichtag entscheidend für den Klimawandel sind, sondern die kumulierten Emissionen über den gesamten Zeitraum bis zum Erreichen des Netto-null-Emissionsziels. Deshalb legt das Pariser Klimaschutzabkommen auch kein Emissions-, sondern ein Temperaturziel fest.

Vergleichbarkeit herstellen

Ein Lösungsansatz liegt im Temperature Alignment. Die Idee dahinter ist, dass jeder Wirtschaftseinheit, jedem Sektor, jedem Staat ein Anteil des Gesamt-Emissionsbudgets verbleibt, um das Pariser Klimaziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung einzuhalten. Daraus ergibt sich ein Dekarbonisierungspfad über den Zeitverlauf. Wird von diesem Pfad nach oben abgewichen, handelt es sich statt eines Paris-konformen 1,5-Grad-Investments beispielsweise um ein 2,0-Grad-Asset oder ein 2,5-Grad-Unternehmen. Abweichungen nach unten verbessern die Klima-Performance. Vereinfacht gesagt, wird durch diese Form der Klimametrik die CO2-Bilanz eines Assets in den Klimaeffekt „umgerechnet“. Aus der Maßeinheit Tonnen CO2-Äquivalent wird somit Grad Celsius Erderwärmung – immer ceteris paribus und unter der Prämisse, dass „alle so wären wie wir“. So entsteht Vergleichbarkeit.

Dieses evidenzbasierte Modell erlaubt es Investoren, schnell, einfach und über alle Assetklassen hinweg vergleichbar zu erkennen, welche Investments sich „inline“ mit dem Dekarbonisierungspfad befinden – und damit per Definition außerhalb der Carbon Bubble. Wir sind überzeugt, dass in Zukunft kaum jemand mehr in ein 3,0-Grad-Unternehmen investieren will. Das gilt nicht nur für Investoren: Welche Bank möchte in Zukunft noch 3,0-Grad-Investitionsvorhaben finanzieren? Und welche qualifizierten Mitarbeiter werden sich für einen 3,0-Grad-Arbeitgeber begeistern? Das Temperature Alignment macht die Carbon Bubble sichtbar. Ziehen alle Marktteilnehmer daraus die richtigen Konsequenzen, dürfte bald viel Luft aus der Blase gelassen werden.