Halbleiter

EU-Chipindustrie ist krisenerprobt

Im globalen Wettstreit um die Vorherrschaft im Halbleitersektor wird den Europäern eine Schwäche nachgesagt. Doch die EU steht in diesem Hochtechnologie-Bereich besser da als gedacht.

EU-Chipindustrie ist krisenerprobt

Im globalen Wettstreit um die Vorherrschaft auf dem Gebiet der Hochtechnologie geht in Westeuropa die Angst um. Unternehmer, Wissenschaftler und Politiker befürchten, dass der Alte Kontinent auf Dauer den Anschluss verlieren könnte insbesondere gegenüber der Wirtschaftsmacht USA und dem aufstrebenden Herausforderer China. Als Beispiel für die abnehmende Bedeutung führt die EU-Kommission gerne die Halbleiterbranche an.

Und in der Tat hat die europäische Chipindustrie im globalen Wettbewerb an Einfluss verloren, wenn man das Handelsvolumen mit diesen wichtigen elektronischen Bauelementen zum Maßstab nimmt. Nach Angaben des Brancheninformationsdienstleisters World Semiconductor Trade Statistics (WSTS) hat sich zwar das Volumen in diesem Segment in Europa in den vergangenen zehn Jahren von 37 Mrd. Dollar (2011) auf 48 Mrd. Dollar (2021) oder um 30% erhöht, doch der Anteil der Wirtschaftsgemeinschaft am Welthandel mit Chips schrumpfte im gleichen Zeitraum um 3 Prozentpunkte auf 9% (vgl. Grafik). Der Hauptgrund dafür ist der atemberaubende Aufstieg der Schwellenländer in Ost- und Südostasien auf diesem Feld. Den Angaben zufolge sprang der Anteil des asiatisch-pazifischen Raums (ohne Japan) in dieser Dekade um 7 Prozentpunkte auf 62%. Das entspricht einem Volumenzuwachs von 179 Mrd. auf 343 Mrd. Dollar. Wachstumstreiber sind vor allem Südkorea mit dem Technologiekonzern Samsung und Taiwan mit dem globalen Chipauftragsfertiger TSMC.

Dämpfer für Asien-Pazifik

Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Dominanz der Asiaten in diesem Hightech-Schlüsselsektor fühlt sich Brüssel auf den Plan gerufen, Gegenmaßnahmen einzuleiten, um zu vermeiden, von Asien und Nordamerika marginalisiert zu werden. Im zurückliegenden Sommer initiierte die EU-Kommission­ ein neues Milliarden-Förderprogramm für die Halbleiterindustrie mit dem Ziel, die Chipproduktion in der Gemeinschaft schrittweise zu erhöhen. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass die Europäer künftig ihre Abhängigkeit vor allem von Asien reduzieren und autarker agieren können. Aus Sicht der EU verstärkt sich der Handlungsdruck aufgrund von Chip-Versorgungsengpässen als Folge angespannter Lieferketten. Die Ursache hierfür waren die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg.

Allerdings ist es übertrieben, von der Gefahr eines drohenden Untergangs der europäischen Chipindustrie zu sprechen. Mit Blick auf die jüngsten Prognosen von WSTS für 2023 dürfte sich der Anteil von Westeuropa stabilisieren, ja sogar geringfügig erhöhen. Denn die Experten rechnen damit, dass sich 2023 der weltweite Konjunkturabschwung in der Halbleiterbranche noch stärker bemerkbar macht. Sie erwarten einen Rückgang des Chipvolumens von 4,1% auf 557 Mrd. Dollar. Das wäre die erste Einbuße seit der Finanzmarktkrise 2009. Ursache dafür ist ein prognostizierter Einbruch in Asien-Pazifik von 7,5%. Die Pandemie schwächt den bisherigen Wachstumsmotor China. Peking ist mit seiner Corona-null-Toleranz-Strategie gescheitert. Rasant steigende Infektionszahlen sorgen für nachlassende Wirtschaftsaktivitäten im Riesenreich. Das strahlt negativ auf die Nachbarländer ab. Der Vormarsch Asiens im Chiphandel ist vorerst beendet. Unterdessen sagen die Fachleute von WSTS allen übrigen Regionen, darunter Europa, für 2023 eine Stagnation voraus. Zum Vergleich: 2022 schwächte sich die globale Dynamik deutlich auf 4,4% ab nach einem Plus von 26% ein Jahr zuvor. Während Westeuropa einen Zuwachs von immerhin 13% verzeichnete, schrumpfte Asien-Pazifik um 2%.

Die Zahlen verdeutlichen, dass die europäische Halbleiterindustrie im internationalen Vergleich weitaus besser dasteht, als die Befürchtung der Wirtschaftseliten suggeriert. Die Gründe dafür sind vielfältig. Allgemein betrachtet liegt der Wettbewerbsvorteil der europäischen Anbieter vor allem darin, dass diese zumeist auf hochwertige Qualitätsprodukte setzen.

Erfolgreiche Transformation

Europas Branchenprimus Infineon konzentriert sich auf Leistungshalbleiter. Ebenso der Konkurrent NXP aus den Niederlanden und der französisch-italienische Konzern STMicroelectronics. Dieses Trio schaffte erfolgreich die Transformation vom Massenprodukt Speicherchips hin zur Fertigung lukrativer, margenträchtiger elektronischer Bauelemente für die Autoindustrie, die Energiewirtschaft und für Zukunftstechnologien auf dem Gebiet sämtlicher digitaler Anwendungen. Die krisenerprobten Europäer erweisen sich im derzeitigen Abschwung als durchaus robust. Sie agieren auf den Wachstumsfeldern von morgen. Deren Auftragsbücher sind randvoll. Daher investieren die Unternehmen Milliarden in den Ausbau ihrer Produktionskapazitäten. Das dafür notwendige Geld haben sie. Infineon, STMicroelectronics und NXP verdienen sehr gut. Zugleich hat der Alte Kontinent allen Unkenrufen zum Trotz weltweit Gewicht. Das zeigt insbesondere das Beispiel ASML. Ohne die wichtigen Lithografiesysteme des holländischen Chipindustrie-Zulieferers läuft in der Branche weltweit gar nichts. Man kann in Bezug auf ASML daher auch von einer gewissen Abhängigkeit der Asiaten von Europa sprechen.

Im Ringen um die Marktanteile der Zukunft ist die Position der EU entgegen der landläufigen Meinung nicht so ausweglos. Jedenfalls haben die Europäer genug Feuerkraft, um sich im globalen Verdrängungswettbewerb zu behaupten. Die USA und China befinden sich in einem erbarmungslosen Wirtschaftskrieg. Washingtons Embargo für Hochleistungshalbleiter setzt Peking deutlich zu. Das kommunistische Regime pumpt zwar Subventionen in dreifacher Dollar-Milliardenhöhe in den Ausbau der heimischen Chipindustrie, doch ein Durchbruch zeichnet sich längst noch nicht ab. Beim Thema Know-how hat China weiterhin das Nachsehen. Im weltweiten Investitionswettlauf ist allerdings Quantität nicht entscheidend, sondern Qualität. Hier sind die Westeuropäer dank ihrer strategischen Umbauprozesse den Asiaten um einiges voraus. Das kann sich für die EU als Vorsprung erweisen.

Von Stefan Kroneck, München

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