Großbanken

ABN Amro lockt Aktienanleger mit sinkender Kostenquote

Die Aktie der niederländischen Großbank ABN Amro ist nichts für Investoren, die Ausschau nach außergewöhnlichen Kurschancen halten – vielmehr für Anleger, die ein etabliertes Geschäftsmodell suchen, das gleichwohl Kurspotenzial verspricht.

ABN Amro lockt Aktienanleger mit sinkender Kostenquote

Von Detlef Fechtner, Frankfurt

Wer eine mitreißende, aufregende Equity Story mit außergewöhnlichen Kurschancen sucht, wird bei ABN Amro wahrscheinlich nicht auf seine Kosten kommen. Die Großbank, bei der der niederländische Staat nach wie vor – direktes und indirektes Engagement zusammengenommen – eine Mehrheitsbeteiligung hält, ist eher für Anleger interessant, für die eine solide Aufstellung und ein etabliertes Geschäftsmodell vorrangige Bedeutung haben.

Das aber soll nicht heißen, dass ABN Amro ein langweiliges Investment ist. Vor allem im Schlussquartal des gerade abgelaufenen Jahres hat die Kursentwicklung den Anlegern große Freude bereitet. Im Oktober notierte die Aktie noch unter 9 Euro, zu Jahresende lag sie nahe der Marke von 13 Euro, und heute wechselt sie sogar für mehr als 14 Euro den Besitzer. Und das müsse, so argumentieren zumindest einige Analysten, noch nicht das Ende der Fahnenstange gewesen sein. Die Deutsche Bank etwa hat ihr Kursziel mittlerweile von 16 auf 18 Euro angehoben.

Für fast die Hälfte der von Bloomberg befragten Research-Abteilungen stellt ABN Amro eine Kaufgelegenheit dar, gut ein weiteres Drittel empfiehlt, die Aktie zu halten. Lediglich jeder sechste der befragten Analysten rät zum Verkauf.

„Wende zum Besseren“

Recht einig sind sich die Beobachter darüber, dass die niederländische Großbank, die vor allem im Retail Banking und im Commercial und Corporate Banking tätig ist und ihren geografischen Schwerpunkt auf dem Heimatmarkt hat, im Herbst starke Quartalszahlen vorgelegt hat – unter anderem deshalb startete anschließend ja die Kursrally. Dank gestiegener Zinsen (und damit größerer Margen) sowie dank niedrigerer Wertberichtigungen – die Bank erzielte sogar einen nennenswerten Buchgewinn aus der Auflösung früherer coronabezogener Rückstellungen – konnte ABN Amro den Nettogewinn im dritten Jahresviertel gegenüber dem Vorjahresquartal auf 743 Mill. Euro mehr als verdoppeln.

„Die Ergebnisse für das dritte Quartal markieren die Wende zum Besseren“, lautete seinerzeit das Urteil der Analysten der Deutschen Bank. Sie trauen der Aktie einiges zu, weil sie die Qualität der Assets der Bank als hoch einstufen und das Kreditportfolio als diversifiziert und relativ resilient einschätzen.

In der Tat machen heimische Immobilienkredite den Schwerpunkt der Ausleihungen aus – und da sich die Arbeitslosenrate in den Niederlanden auf niedrigem Stand befindet und aktuell aus konjunktureller Sicht zumindest keine Katas­trophen drohen, dürften die Ausfallraten bis auf Weiteres überschaubar bleiben.

Die Experten von Barclays zählen ebenfalls zu denen, die ABN Amro einiges zutrauen. „ABN ist unser favorisierter Wert“, heißt es in einer aktuellen Studie über die Finanzkonzerne in den Benelux-Staaten. Nach Einschätzung von Barclays liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis von ABN Amro auf Basis der prognostizierten Ergebnisse für 2022, die wahrscheinlich im Februar verkündet werden, bei 6,5. Für die Analysten der englischen Bank sind insbesondere zwei Argumente überzeugend. Erstens dürfte sich nach ihren Berechnungen das Volumen der faulen Kredite von ABN Amro in den kommenden Jahren eher verringern als vergrößern. Zweitens ist eine erhebliche Verbesserung der Cost-Income-Ratio realistisch. Bereits im dritten Quartal 2022 konnte ABN die Quote auf unter 60% senken. Auf diesem Niveau wird sie von Barclays und von der Deutschen Bank auch 2024 beziehungsweise 2025 erwartet. Damit würde sie mehr als 15 Punkte unter der Kostenquote liegen, die die Bank noch 2021 ausgewiesen hat – und das wäre Ausdruck einer erfolgreichen Kostendisziplin.

Üppige Kapitalausstattung

Einen nicht unbedeutenden Anteil daran, dass die Kosten derzeit sinken und möglicherweise weiter reduziert werden können, hat das Thema Informationstechnologie und Software. Denn weil ABN Amro offensichtliche Mängel bei der Bekämpfung der Geldwäsche hatte, wurde der Finanzkonzern zu einer dreistelligen Millionenstrafe verdonnert und musste seine IT-Programme zügig aufrüsten. Der Großteil des damit verbundenen Aufwands scheint mittlerweile geleistet zu sein. Die erheblichen Ausgaben für Anpassungen der Programme und Geschäftsprozesse sinken.

Das Management versteht das Kreditinstitut als „persönliche Bank im digitalen Zeitalter“. Damit verbindet sich das Ziel, das Filialnetz und den analogen Auftritt insgesamt weiter zu straffen, was ebenfalls Mittel einsparen helfen dürfte. Die Analysten der Deutschen Bank verweisen schließlich auf die komfortable Kapitalausstattung. Die Baseler CET1 Ratio lag im dritten Quartal bei mehr als 15%. Das eröffne die Aussicht auf weitere Aktienrückkaufprogramme – ABN Amro hatte zuletzt An­fang 2022 eigene Anteilscheine zurückerworben – sowie auf höhere Dividenden in der Zukunft. Die Schätzungen lauten auf einen Anstieg der Dividende per Aktie von 0,84 Cent für 2022 auf 1,44 Euro für 2024.

Freilich gibt es auch weniger zu­versichtliche Einschätzungen. Das Researchteam von J.P. Morgan zum Beispiel äußert Zweifel daran, dass einige geplante Maßnahmen der Neuaufstellung, etwa beim Ausstieg aus einzelnen Märkten, längst nicht so unproblematisch gelingen wie geplant. Auch rechnen die Analysten mit steigendem Kostendruck, der das Erreichen der Einsparziele ambitionierter macht. Der Blick auf die Banken in den Benelux-Ländern fällt bei J.P. Morgan daher auch weniger erfreulich für ABN Amro aus: „Wir präferieren die ING.“

Zu den aktuellen Risiken zählt im Übrigen, dass sich ABN Amro schwertun könnte, Ersatz für Finanzvorstand Lars Kramer zu finden. Kramer hat jüngst angekündigt, das Haus bereits im April zu verlassen. Da die Bank erklärt, sie habe nun die Suche nach einem Nachfolger gestartet, drängt sich der Eindruck auf, der Weggang Kramers treffe sie recht unvorbereitet.

Andererseits gibt es durchaus auch „upward risks“ für den Aktienkurs. Beispielsweise profitierte der Titel im vergangenen Jahr zwischenzeitlich von Spekulationen, denen zufolge die französische Großbank BNP Paribas ein Auge auf die Niederländer geworfen habe. Sollten solche Übernahmespekulationen wieder an Schwung gewinnen, könnte das den Kurs erneut in die Höhe treiben.

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