Biden-Durchmarsch beflügelt

Unruhen in Washington lassen Marktteilnehmer kalt - Dax erstmals über 14 000 Punkten

Biden-Durchmarsch beflügelt

Der nun amtliche Wahlsieg Joe Bidens in der US-Präsidentschaftswahl und die Kontrolle der Demokraten über beide Häuser des Kongresses sorgen für eine zuversichtliche Stimmung an den Finanzmärkten. Die Unruhen in Washington werden von den Marktteilnehmern dabei eher als ein Randereignis betrachtet. ku/ck/kjo/wbr Frankfurt – Die mittlerweile erfolgte offizielle Zertifizierung des Wahlsiegs von Joe Biden in der amerikanischen Präsidentschaftswahl sowie der Sieg der Demokraten in den Nachwahlen in Georgia, die dem neuen Präsidenten nun Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses sichern, haben am Donnerstag für eine sehr zuversichtliche Stimmung an den internationalen Kapitalmärkten gesorgt. Der Dax markierte mit 14 007,47 Zählern ein Rekordhoch, der Index überwand damit die Marke von 14 000 Punkten. Der amerikanische Benchmarkindex S&P 500 erreichte ein Allzeithoch von 3 811 Punkten. Bereits am Mittwoch hatte es trotz der Unruhen in Washington nur geringfügige Gewinnmitnahmen gegeben. Fest zeigte sich die US-Währung, der Euro büßte 0,5 % auf 1,2268 Dollar ein.Die Marktteilnehmer ließen die dramatischen Ereignisse in Washington – die Erstürmung des Kapitols durch Trump-Anhänger und die Erschießung einer Demonstrantin im Gebäude durch die Polizei – weitgehend kalt. Dazu trug bei, dass die Sicherheitsorgane die Lage nach einigen Stunden wieder unter Kontrolle hatten.Aus Sicht der Marktteilnehmer hat es eine größere Bedeutung, dass sich bei der Nachwahl von zwei Senatorensitzen im Bundesstaat Georgia jeweils die demokratischen Kandidaten durchsetzten, so dass es nun einen Gleichstand der beiden politischen Parteien im Senat gibt, wobei die designierte demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris mit ihrer Stimme bei Abstimmungen den Ausschlag geben und so eine Mehrheit der neuen Regierung sicherstellen kann.Die Analysten der US-Investmentbank Goldman Sachs haben ihre Wachstumsprognose für die amerikanische Volkswirtschaft im Licht der Ergebnisse der Wahl in Georgia nach oben angepasst. Sie gehen nun von einem US-Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr von 6,4 % aus, bislang hatten sie 5,9 % erwartet. Für 2022 wurde die Prognose von bisher 3,7 % auf 4 % angehoben. Mit der nun wenn auch knappen Kontrolle über den Senat sei es wahrscheinlich, dass die Demokraten im ersten Quartal ein weiteres Fiskalpaket durchsetzen, das auf rund 750 Mrd. Dollar geschätzt wird, einschließlich 300 Mrd. Dollar für direkte Zahlungen an die Bevölkerung. Dadurch würden die verfügbaren Einkommen der US-Konsumenten im ersten Quartal “eindrucksvoll” steigen.Morgan Stanley sprach in einem Kommentar von der ersten Überraschung des Jahres 2021. Der Markt habe die Zeit nach den Präsidentschaftswahlen damit verbracht, eine geteilte Macht in seine Prognosen für 2021 einzuarbeiten. Von dieser könne nun wohl nicht mehr ausgegangen werden. Allerdings hält das Institut Befürchtungen über größere steuerliche und regulatorische Veränderungen angesichts der sich abzeichnenden dünnen Senatsmehrheit der Demokraten für übertrieben. Daher muss Biden nach Einschätzung von Morgan Stanley sowohl liberalen als auch konservativen demokratischen Senatsmitgliedern gerecht werden. Zu den plausiblen zu erwartenden Maßnahmen zähle eine substanzielle fiskalische Expansion im Umfang von bis zu 1 Bill. Dollar, aber ein moderateres Vorgehen, was Steuern betreffe.Morgan Stanley sieht sich vor diesem Hintergrund in der Erwartung bestätigt, dass die Anleihezinsen steigen, die Zinskurve steiler und der Dollar sich abschwächen wird. Darüber hinaus komme es wohl zu einer Verstärkung der Rotation am Aktienmarkt, von der Aktien profitieren, die von höheren Zinsen gestützt werden. Darüber hinaus glaubt die Bank, dass mehr fiskalische Stützung dem Kupferpreis zugutekommen wird. Höhere Zinsen seien dagegen für Gold eine Herausforderung.Auch die UBS erwartet, dass Biden im ersten Quartal höhere Staatsausgaben anstreben wird. Unabhängig davon, ob er dafür Unterstützung im Kongress habe, werde die Debatte eine steilere Zinskurve und eher unangebrachte Inflationsbefürchtungen zur Folge haben. Das Institut rechnet mit eher moderaten Steuererhöhungen. Diese würden zudem möglicherweise erst 2022 wirksam. Insgesamt sei daher mit mehr Stimulierung zu rechnen. Darüber hinaus erwartet sie in der nahen Zukunft grüne Energieinitiativen.All dies deute darauf hin, dass die von der Aussicht auf eine einheitliche Regierung ausgelöste Volatilität kurzlebig sein und bald von den Erwartungen auf die Überwindung der Pandemie überschattet werde. Die Bank sieht sich daher angesichts einer erwarteten ökonomischen Beschleunigung ab dem zweiten Quartal in ihrer langfristig zuversichtlichen Einschätzung des US-Aktienmarktes allgemein sowie von Zyklikern und Small Caps im Besonderen bestärkt.Für Johannes Müller, Leiter Makro-Research der DWS, ist der Euro-Dollar-Kurs im Wesentlichen von der Stimmung an den Märkten abhängig: “Ist die Risikofreude hoch, kommt der Dollar unter Druck.” Aus den Marktreaktionen eines Tages könne man kaum Hinweise auf Trends oder Bewertungen ableiten. Dies sieht Thomas Meißner, Abteilungsleiter Research bei der LBBW, ähnlich. Er will die augenblickliche Dollarstärke nicht überbewerten. “An unserer Erwartung, dass der US-Dollar am Devisenmarkt einstweilen angeschlagen bleibt, ändert sich durch die aktuelle Entwicklung wenig.” Auch die Commerzbank geht davon aus, dass der Greenback unter Druck bleibt. “Die grundsätzlich jedoch expansivere Fiskalpolitik dürfte nicht nur die wirtschaftliche Erholung unterstützen, sondern auch die Inflation anschieben, was erst einmal für weitere Dollar-Schwäche spricht.”Am Markt der US-Staatsanleihen (Treasuries) stiegen die Renditen an. Im zehnjährigen Laufzeitenbereich wurde erstmals seit Mitte März vorigen Jahres wieder die Marke von 1 % überschritten. Gestern war die Rendite hier bei 1,06 %. Anleger setzen auf eine Reflation, d. h. sie erwarten noch umfangreichere Konjunkturprogramme zur Ankurbelung der Wirtschaft unter Biden. Mit den Ausgabensteigerungen und erfolgreicher Konjunkturstimulierung gehen sie auch von höheren US-Zinsen und damit Anleiherenditen aus. Allerdings erwarten die meisten Marktteilnehmer nicht sehr deutlich höhere Anleiherenditen. Die Unsicherheit bleibe hoch und damit auch die Nachfrage nach sicheren Staatsanleihen, außerdem müssen die Wirtschaftsprogramme ihre Effektivität und die Inflationswirkungen erst noch zeigen, hießt es zur Begründung im Handel. Leitzins nahe null”Die Rendite zehnjähriger US-Treasuries könnte im Zuge des vollständigen Regierungswechsels wegen Sorgen vor stärker steigender Verschuldung zwischenzeitlich anziehen, angesichts der dovishen Haltung der Fed bleibt sie jedoch unterhalb des Vor-Corona-Tiefs von ca. 1,30 %”, sagt etwa Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg. Die Fed dürfte seiner Ansicht nach ihre Leitzinsen auf absehbare Zeit nahe null halten, auch nach Abflauen des Corona-Schocks.Eine potenzielle Ergänzung der Anleihekäufe um Strategie der Zinskurvenkontrolle hält er weiter für denkbar. “Im Euroraum befinden sich die Langfristzinsen in einer ausgedehnten Bodenbildung. Ein erneuter Rücksetzer ist weiterhin möglich, erst mittelfristig ist mit Abebben der Coronavirus-Pandemie ein moderater Wiederanstieg zu erwarten”, sagt Burkert mit Blick auf die Entwicklung der Renditen im Euroraum, d. h. der Bundrenditen. Das QE-Programm könnte seiner Einschätzung nach nochmals verlängert werden. Ein vorsichtiges Zurückfahren des Volumens beginne frühestens gegen Ende dieses Jahres.