Svein Aage Aanes

„Das Risiko einer Rezession ist erheblich gestiegen“

Svein Aage Aanes, Leiter des Bondbereichs bei der norwegischen DNB AM, sieht ein erhöhtes Rezessionsrisiko, weil die Zentralbanken im Kampf gegen die Inflation in den Zinserhöhungsmodus übergegangen sind – aber auch Gelegenheiten an den Bondmärkten im Norden.

„Das Risiko einer Rezession ist erheblich gestiegen“

Kai Johannsen.

Herr Aanes, wie stark haben die Covid-19-Pandemie und in den vergangenen Monaten der Ukraine-Krieg die Volkswirtschaften Norwegens und Schwedens getroffen?

Wie alle anderen Volkswirtschaften waren Norwegen und Schweden in den Jahren 2020 und 2021 von der Pandemie betroffen. Wenn wir jedoch die Wachstumszahlen des IWF zugrundelegen, sehen wir, dass die nordischen Volkswirtschaften, einschließlich Norwegen und Schweden, zu den am wenigsten betroffenen Volkswirtschaften in der OECD gehörten. Norwegen verzeichnete 2020 einen Rückgang des BIP um rund 0,7%, und bis Ende 2021 stieg das BIP um 3,2% gegenüber Ende 2019. Vergleichbare Zahlen für Schweden sind −3% für 2020 und +1,7% für 2020/2021. Wenn wir die Wachstumszahlen für den Gesamtzeitraum mit den Zahlen für andere Länder vergleichen, sieht das doch recht ordentlich aus. Deutschland ist 2020 um 4,6% eingebrochen, und Ende 2021 lag das BIP immer noch 1,9% unter dem Niveau von Ende 2019. Norwegen schnitt in diesem Zeitraum insgesamt etwas besser als die USA und Schweden etwas schlechter als die USA ab. Was den Krieg in der Ukraine betrifft, ist es noch etwas früh für eine Einschätzung, aber bisher waren die Auswirkungen hauptsächlich inflationäre Impulse mit sehr begrenztem Einfluss auf das Wirtschaftswachstum.

Und wie sieht es mit der Inflationsentwicklung in beiden Ländern aus?

Die Inflation war in den vorigen sechs Monaten sowohl in Norwegen als auch in Schweden im Aufwärtstrend und liegt nun in beiden Ländern deutlich über den Inflationszielen der Notenbanken. Die jüngsten Daten von Juni zeigen eine Gesamtinflation in Schweden von 7,2% und eine Kerninflation von 5,4%. Die entsprechenden Zahlen für Norwegen sind 5,7% und 3,4%. So ähnelt die Inflationsentwicklung in Schweden den Zahlen in den USA und der EU, während die norwegischen Inflationszahlen etwas niedriger, aber immer noch höher sind, als die Zentralbank anstrebt.

Was sind Ihre Wachstums- und Inflationserwartungen für die beiden Volkswirtschaften für die nächsten zwölf Monate?

Vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine lagen die Wachstumsaussichten sowohl für Norwegen als auch für Schweden im Bereich von 4 bis 4,5%. Gegenwind durch erhöhte Inflation und die Auswirkungen auf die Kaufkraft der Haushalte sowie aggressivere Zinserhöhungen der Zentralbanken werden das Wachstum für beide Volkswirtschaften für 2022 wahrscheinlich auf etwa 3% dämpfen. Für 2023 dürfte das Wachstum rund 1,5% betragen, aber die Unsicherheit hat deutlich zugenommen, da das Risiko eines globalen Abschwungs mit Folgewirkungen für die nordische Region zugenommen hat. Die Kerninflation in Schweden wird 2022 voraussichtlich bei etwa 4,5% liegen und sich 2023 auf 3% verringern. In Norwegen wird die Inflation für 2022 voraussichtlich etwa 4% betragen und sich 2023 auf 2,5 bis 3% zurückbewegen.

Wie haben die Zentralbanken Norwegens und Schwedens bisher auf diese Krise reagiert?

Die norwegische Zentralbank startete im September 2021 einen Zinserhöhungszyklus auf der Grundlage der Normalisierung der norwegischen Wirtschaft. Seitdem hat sie noch zweimal den Leitzins erhöht. Da die Inflationsrate gestiegen ist, hat die norwegische Zentralbank ihre Zinsprognose erhöht und im März sieben Zinserhöhungen von 0,25% für die nächsten 15 Monate angekündigt. Der Markt preist aber noch etwa vier Zinserhöhungen mehr ein. Nun hat sie einen Schritt von 50 BP vorgenommen. Die schwedische Zentralbank hat den Leitzins im Februar dieses Jahres von 0 auf 0,25% angehoben, nachdem sie die Phase des negativen Leitzinses durch Erhöhungen Ende 2018 und einmal im Jahr 2019 beendet hatte.

Welche Zinspolitik erwarten Sie von beiden Notenbanken im nächsten Jahr?

Die Zentralbanken sowohl in Schweden als auch in Norwegen werden ihre Zinserhöhungszyklen fortsetzen. In Norwegen erwarten wir, dass die Kombination aus zentralisierter Lohnfestsetzung, die das Lohnwachstum zumindest teilweise unter Kontrolle hält, und dem großen Engagement in variabel verzinslichen Hypotheken für private Haushalte – dies sind 95% – die Notwendigkeit von Zinserhöhungen begrenzt. Der Markt sieht den Leitzinssatz der norwegischen Zentralbank in weniger als einem Jahr bei fast 3,5%. Wir glauben, dass die Spitze für diesen Zinszyklus wohl näher bei 3% liegen wird. Von daher sehen wir Value für norwegische Staatsanleihen bis fünf Jahre Laufzeit. Einige der genannten Faktoren sind auch für Schweden relevant, nicht zuletzt das variabel verzinsliche Engagement, das den Immobilienmarkt wahrscheinlich dämpfen wird. Ich tendiere dazu, dass auch der schwedische Markt jetzt etwas mehr einpreist, als wir von der schwedischen Zentralbank letzten Endes dann geliefert bekommen.

Werfen wir einen Blick auf die Staatsanleihenmärkte Norwegens und Schwedens: Welche Renditeentwicklungen haben sich in den vorigen Monaten ergeben, und was erwarten Sie auf Sicht von zwölf Monaten für zehnjährige Anleihen beider Länder?

Sowohl das schwedische als auch das norwegische lange Laufzeitenende korreliert eng mit den US-amerikanischen und europäischen Zinssätzen. Die norwegische zehnjährige Staatsanleihe ist in diesem Jahr mit einem Anstieg von rund 1,6% bisher etwas weniger gestiegen als die vergleichbare US-Rendite. Der schwedische Zinssatz für zehnjährige Staatsanleihen ist etwas weniger gestiegen als der Zinssatz für zehnjährige Bundesanleihen, die einen Anstieg von etwa 2% hatten. Es gibt keinen ersichtlichen Grund an­zunehmen, dass die starke Korrelation am langen Marktende verschwinden wird, da die meisten Zentralbanken im gleichen Modus sind. Somit dürfte die Richtung für zehnjährige Staatsanleiherenditen in Norwegen und Schweden global vorgegeben sein. Es ist heute schwer zu prognostizieren, was in den nächsten zwölf Mo­naten passieren wird, aber um eine Vermutung abzugeben, würde ich sa­gen, dass wir Niveaus erreicht haben, auf denen auch das lange Ende begonnen hat, einen gewissen Value zu bieten.

Ein kurzer Blick in die USA: Die US-Renditekurve ist kurzzeitig invertiert und signalisierte damit eine Rezession: Halten Sie das noch für ein verlässliches Konjunktursignal? Könnte die Fed Gefahr laufen überzureagieren und die Wirtschaft damit in eine Rezession zu treiben?

Ich halte es für ziemlich wahrscheinlich, dass die geldpolitische Straffung, die wir derzeit sehen und weiterhin sehen werden, zu einem Abschwung der Volkswirtschaften führen wird. Der Grund dafür ist einfach. Es ist sehr schwierig, zwei Ziele in Einklang zu bringen: Eindämmung der Inflation, indem Dampf aus Volkswirtschaften und Arbeitsmärkten genommen wird, und gleichzeitig eine Rezession vermeiden. Meiner Ansicht nach befinden sich die Zentralbanken klar im Kampf gegen die Inflation, weil sie die Vorteile einer 25-jährigen Geschichte einer relativ niedrigen und stabilen Inflation nicht riskieren wollen. Die längerfristigen Inflationserwartungen im Zaum zu halten, ist für die Zentralbanken von größter Bedeutung, um langfristige Kosten für die Volkswirtschaften zu vermeiden. In dieser Situation werden sie bereit sein, kurzfristig Schmerzen durch einen wirtschaftlichen Abschwung zu riskieren, um ihren langfristigen Ruf zu wahren. Dies hat zwei Auswirkungen: Die erste ist, wie ich denke, dass es den Zentralbanken gelingen wird, die Inflation einzudämmen, und die zweite, dass das Risiko einer Rezession erheblich gestiegen ist. Aus makroökonomischer Sicht ist das Risiko relativ hoch, dass wir uns bereits in einem Abschwung befinden, wenn die Zentralbanken erkennen, dass sie genug getan haben.

Und was erwarten Sie in den kommenden Monaten von der EZB?

Die EZB wird auf den Zug von Leitzinsanhebungen aufspringen. Das wird an den Märkten erwartet und ist notwendig, um die längerfristigen Inflationserwartungen fest ver-ankert zu halten. Wahrscheinlich liegt es auch im Interesse der EZB, Zinserhöhungen vorzuziehen. Der Weg des geringsten Widerstands scheint also darin zu bestehen, in den nächsten Monaten in etwa den Markterwartungen zu entsprechen. Dies verschafft auch Zeit, um die makroökonomischen Entwicklungen zu bewerten und die Geldpolitik entsprechend anzupassen. Mit Blick auf die weitere Zukunft glaube ich, dass es sich als schwierig erweisen könnte, die Zinsen auf das Niveau zu bringen, das derzeit auf dem Markt eingepreist wird. Außerdem könnte es sich beispielsweise als schwierig erweisen, viel im Rahmen von Quantitative Tightening zu tun.

Wie ist die Lage am Primärmarkt für Staatsanleihen in Norwegen und Schweden? Wird es in diesem Umfeld schwieriger, Anleihen abzusetzen?

Ich glaube nicht, dass es schwierig sein wird, Staatsanleihen in diesem Markt zu emittieren. Die Zinssätze sind sowohl in Norwegen als auch in Schweden etwas angestiegen, und es ist nicht klar, wie weit es nun noch nach oben geht. Da sowohl Norwegen als auch Schweden einen relativ geringen Bedarf an staatlicher Refinanzierung haben, dürften Staatsanleihen gut unterstützt bleiben.

Und im Unternehmensuniversum? Verlangen Anleger eine – höhere – Neuemissionsprämie und wenn ja, wie viel verlangen sie, um jetzt sowohl in den IG- als auch in den HY-Segmenten für das höhere Risiko entschädigt zu werden?

Angesichts der jüngsten Marktentwicklungen besteht kein Zweifel daran, dass Anleger höhere Neuemissionsprämien verlangen. Um wie viel diese höher ist, ist schwer zu sagen, da diese sowohl vom Emittenten als auch vom jeweiligen Marktumfeld zum Zeitpunkt der Emission ab­hängt. Die Märkte waren in diesem Jahr bisher recht volatil, in einigen Segmenten war es relativ ruhig. Was ich sagen kann, ist, dass wir als großer nordischer Investor ständig daran arbeiten, diese hohen Prämien zu bekommen. Das sind potenziell interessante Märkte für Investoren, die mit Cash bereitstehen.

In welchen Branchen sehen Sie Value in IG-Corporates?

Ich denke, es gibt zwei Möglichkeiten. Einerseits haben wir eine gewisse Spread-Ausweitung in relativ risikoarmen Sektoren wie Versorger gesehen. In der nordischen Region sind dies typischerweise Unternehmen zur Stromerzeugung aus Wasserkraft. Die Kombination aus Spread-Ausweitung und voraussichtlich dauerhaft höheren Strompreisen macht diese Unternehmen durchaus attraktiv. Am anderen Ende der Skala haben wir Immobilienunternehmen. In diesem Sektor war die Spread-Ausweitung recht massiv. Das Risiko ist höher, aber bei einigen dieser Unternehmen sehen wir uns Spread-Niveaus an, die beginnen, interessant zu sein.

Und wo sehen Sie Chancen im HY-Bereich?

Angesichts der Auswirkungen des Krieges und der wahrscheinlich anhaltenden Auswirkungen auf die Energiemärkte glauben wir, dass der Energiesektor einen angemessenen Value bietet. Auch eine Reihe von Sektoren innerhalb der Schifffahrt, zum Beispiel die LNG-Schifffahrt, sind interessant. Auch einige Unternehmen innerhalb oder in Zusammenhang mit der Lebensmittelproduktion sehen gut aus.

Welche Branchen meiden Sie derzeit?

Wir würden bei Unternehmen aus dem Sektor der Nichtbasiskonsumgüter vorsichtig sein, da die kombinierten Effekte aus höheren Preisen und höheren Zinssätzen ihren Tribut fordern werden. Es gibt auch Gegenwind für den Immobiliensektor, aber für einige dieser Unternehmen war die Spread-Ausweitung groß genug, dass die niedrigeren Preise sie interessant machen könnten, selbst wenn das Risiko gestiegen ist.

Sehen Sie aufgrund dieser Krise mehr Appetit von Investoren auf Green and Sustainable Finance – sowohl für staatliche Emittenten als auch für Unternehmen und Financials?

Ich bin mir nicht sicher, ob wir in dieser Hinsicht bereits große Auswirkungen der gegenwärtigen Krise sehen können. Es sind zwei Kräfte am Werk. Kurzfristig hat die Krise das Interesse an Investitionen in fossile Energien erhöht, da die Performance des Energiesektors an den Aktienmärkten in Mitleidenschaft gezogen wurde. Der längere Trend geht klar in Richtung grünes Investment. Aber aus festverzinslicher Sicht, wo wir zu einem großen Teil in Unternehmen mit einem etablierten Geschäftsmodell und einem soliden Cashflow investieren müssen und etwas weniger in riskante, neue Technologien, die hauptsächlich durch Eigenkapital finanziert werden sollten, sehen wir die Hauptaufgabe als Investor darin, einzelne Unternehmen in eine grünere und nachhaltigere Richtung zu bewegen. Zu diesem Zweck haben wir in den vergangenen Jahren unser eigenes ESG-Scoring von Emittenten in unserem Anlageuniversum durchgeführt, damit wir ESG integrieren und auch auf informierter Basis in ESG-Dialoge mit Emittenten eintreten können.

Das Interview führte

BZ+
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