Martin Lück

„Entscheidende Treiber der Aktienmärkte intakt“

Der BlackRock-Stratege Martin Lück sieht gute Aussichten für die Aktienmärkte. Die entscheidenden Treiber für den Aufschwung an den Aktienmärkten sind seiner Einschätzung nach intakt.

„Entscheidende Treiber der Aktienmärkte intakt“

Christopher Kalbhenn.

Herr Lück, trotz vorübergehender Verunsicherungen etwa durch die Delta-Variante eilen die Aktienmärkte weiter von Rekordhoch zu Rekordhoch. Kann das so weitergehen?

Die entscheidenden Treiber für den Aufschwung an den Aktienmärkten sind intakt. Wir haben rekordniedrige Realzinsen. Die Zentralbankzinsen sind niedrig, und die Inflationsraten sind durch die Normalisierung zumindest temporär deutlich höher. Das ist ein Umfeld, das für reale Assets wie Aktien spricht. Solange die Zentralbanken die Märkte großzügig mit Liquidität versorgen, bleiben die Aussichten gut. Damit werden auch die gestiegenen Bewertungen relativiert. Es stellt sich in der derzeitigen Situation die Frage, ob klassische Kennzahlen wie das KGV aussagekräftig sind. Die neuen Rekordhöhen an den Aktienmärkten verwundern mich überhaupt nicht.

Wo sehen Sie potenzielle Risiken?

Es gibt jetzt einige neue Unsicherheiten. Dazu zählt die Pandemie. Kommt es zu einer vierten Welle? Wie stark wird sich die Delta-Variante auswirken beziehungsweise welchen Einfluss wird sie auf die Konjunktur haben? Hinzu kommt China, wo wir eine markante Verlangsamung sehen. Wie entwickelt sich die Weltwirtschaft weiter, wie das Verhältnis zwischen den USA und China? Was bedeutet die Neuausrichtung der Globalisierung, beispielsweise für deutsche Automobilhersteller, die teilweise mehr als 40% ihres Umsatzes in China machen?

Welche Bedeutung könnte die Entwicklung in Afghanistan für die Finanzmärkte haben?

Kurzfristig geht davon eine gewisse Verunsicherung aus. Wir wissen noch nicht genau, was die Taliban machen werden. Zuletzt haben sie unter anderem eine Generalamnestie für Regierungsvertreter und Mitarbeiter der ausländischen Truppen angedeutet. Einige Experten halten solche Beteuerungen aber für nicht glaubwürdig. Es besteht das Risiko, dass Afghanistan ins Mittelalter zurückfällt. Das Land war jahrzehntelang ein permanenter Unruheherd. Nach dem Rückzug der Sowjetunion wurde es unter der Herrschaft der Taliban eine Basis für Terroristen. Dass es nun wieder eine Kaderschmiede für Terroristen werden könnte, ist eine potenzielle Bedrohung, und die Vergangenheit hat gezeigt, wie dies die Finanzmärkte beeinflussen kann. Hinzu kommt der sich abzeichnende Flüchtlingsstrom. Wie soll damit umgegangen werden?

Aber die wirtschaftliche Bedeutung ist doch überschaubar.

Afghanistan befindet sich durch seinen Rohstoffreichtum und seine Lage an einer wichtigen Nahtstelle. Das Land liegt in Nachbarschaft des ölreichen Mittleren Ostens, mit dessen Ländern man ambivalente Beziehungen hat. So zeichnen sich Reibungen mit dem schiitischen Iran ab – die Taliban sind Sunniten. Auf der anderen Seite positioniert sich China und hat den Taliban bereits die Hand gereicht. Es gibt erste Anzeichen, dass China im Rahmen seiner globalen Ambitionen und seines Rohstoffbedarfs ein Interesse hat, Afghanistan auf seine Seite zu ziehen. Auch dadurch ist Afghanistan auch ökonomisch alles andere als irrelevant.

Welche Risiken gehen für die Finanzmärkte von der aktuellen Entwicklung in China aus?

Die chinesische Regierung ergreift derzeit eine Gelegenheit. Sie weiß, dass China als Gewinner aus der Pandemie hervorgeht. Das Land hat die Virusausbreitung erfolgreich be­kämpft und als erstes wieder geöffnet, und zwar schon im April 2020. Seitdem läuft China wieder, lokale Ausbrüche werden schnell eingedämmt. China ist 2020 als einzige große Volkswirtschaft gewachsen, und wird wahrscheinlich auch 2021 ein robustes Wachstum erreichen. Jetzt besteht für die Regierung die Gelegenheit, das Wachstum nachhaltiger zu machen. Neben der Klärung der Machtfrage gegenüber den großen Technologiekonzernen dürfte die Regierung die Sorge haben, dass durch die erhebliche Kreditausweitung in der Finanzbranche Risiken geschaffen wurden. Davor hat sie großen Respekt. Stabilität des Finanzsystems ist für sie eine Frage der nationalen Sicherheit. Die chinesische Regierung scheint bereit, etwas Momentum zu opfern, um die Struktur des Wachstums zu verbessern. Aber: Der Bogen darf nicht überspannt werden. 2015 hat sie bei den Infrastrukturausgaben auf die Bremse getreten. Sie hat mehr Konsum finanziert und die Mittelschicht gefördert. Dabei wurde das Wachstum so stark gebremst, dass es zu einem Kurseinbruch an den Börsen kam. Auch diesmal könnte es zu einer unerwünscht starken Wachstumsverlangsamung kommen, die das Finanzsystem beeinträchtigt.

Was erwarten Sie von der amerikanischen Geldpolitik?

Hier muss man die Daten abwarten. Zwar war der letzte Arbeitsmarktbericht stark. Aber das ist nur ein Aspekt. Zu beachten ist auch das Verbrauchervertrauen. Zuletzt ist der Michigan-Index stark gesunken. Viele Haushalte halten sich angesichts hoher Preise und der Unsicherheit zurück. Ob die US-Wirtschaft weiter stark wachsen kann, hängt auch vom Fiskalpaket ab. Ein Infrastrukturpaket von 1,2 Bill. Dollar ist auf den Weg gebracht, nach der Sommerpause strebt Biden weitere, vor allem soziale Ausgabenpakete im Gesamtumfang von 3,5 Bill. Dollar an. Eine entscheidende Frage ist, in welchem Ausmaß die privaten Haushalte weiter gestützt werden. Die Geldpolitik wird ganz langsam gedreht werden. So wird die Fed die Anleihekäufe langsam reduzieren, wahrscheinlich ab Herbst dieses Jahres, spätestens Anfang 2022. Kommuniziert wird das möglicherweise auf dem Symposium in Jackson Hole. Eine erste Leitzinserhöhung wird es wahrscheinlich nicht vor 2023 geben, die Fed selbst hat für 2023 zwei Anhebungen um jeweils 25 Basispunkte ins Fenster gestellt.

Die Treasury-Renditen sind stark gesunken. Wie werden sie sich Ihrer Einschätzung nach entwickeln?

Der deutliche Rückgang ist eine Überraschung. Meiner Meinung nach sind die sehr niedrigen Treasury-Verzinsungen nur eine vorübergehende Entwicklung. Wir erwarten auf Sicht wieder höhere Renditen, aber bei weitem nicht in dem Ausmaß früherer Phasen mit steigender Inflation. Der aktuelle Rückgang der Renditen ist vermutlich eine Übertreibung, es gibt nicht mehr sehr viel Luft nach unten. Vorstellbar scheint mir ein Anstieg in einen Bereich um 1,70% Richtung Jahresende.

Das Interview führte