35 Jahre Schwarzer Montag

Minus 22,6 Prozent an einem Tag

Der Börsencrash am 19. Oktober 1987 kam für viele Marktteilnehmer aus dem Nichts. Aus den Hintergründen des Schwarzen Montags können Anleger noch heute sehr viel lernen.

Minus 22,6 Prozent an einem Tag

Von Werner Rüppel, Frankfurt

„Da ist etwas passiert in New York, etwas ganz Schlimmes, es ging wirklich brutal runter“, geht im Herbst 1987 ein Raunen durch die globalen Börsenplätze. Und der Einbruch am 19. Oktober, dem Schwarzen Montag, war wirklich außergewöhnlich: Der Dow Jones Industrial Average verlor an einem einzigen Handelstag 22,6% an Wert und krachte auf einen Stand von 1739 Punkten. Es war und ist der mit Abstand größte Tagesverlust des Dow Jones. Auch die Einbrüche im Oktober 1929 waren mit 12,8% am 28. und mit 11,7% am 29. an einem Tag deutlich geringer. Und auch am 16. März 2000, als die Dotcom-Blase zu platzen begann, brach der Dow Jones mit 12,9% deutlich weniger ein.

In wenigen Tagen jährt sich die Börsenkatastrophe von 1987 zum 35. Mal. Für die meisten Börsianer kam der Crash damals praktisch aus dem Nichts. „Heftigkeit und Dimension – ein Kurssturz um 22% – waren sehr überraschend“, erinnert sich Bernhard Langer, CIO Global Quantitative Strategies bei Invesco. Und der Crash strahlte aus. Weltweit waren die Verluste enorm, und in Hongkong blieb die Börse sogar für den Rest der Woche geschlossen.

Vor allem war 1987 die Angst groß, war doch die Weltwirtschaftskrise, die 1929 im Oktober nach dem Schwarzen Freitag begann, in Erinnerung. Befürchtungen machten die Runde, dass die Welt wieder vor einer großen Depression wie in den 1920er und 30er Jahren stehe.

Im Nachhinein erscheint der Crash von 1987 in seinen Auswirkungen begrenzt. Schließlich holte der Dow Jones den erlittenen Verlust binnen rund 15 Monaten wieder auf. Und trotz zwischenzeitlicher Einbrüche wurden die darauf folgenden Jahrzehnte für Aktienanleger zu goldenen Zeiten. Der Dow Jones kletterte im Lauf der Jahre über 5000, 10000, 20000 und zeitweise auch über 30000 Punkte. Heute steht er bei rund 29000 Zählern und damit weitaus höher als im Oktober 1987. Auch die europäischen Aktienmärkte und der deutsche Aktienmarkt haben in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugelegt. Die befürchtete parallele Entwicklung zu den 20er und 30er Jahren ist also ausgeblieben.

Gleichwohl ist der Crash 1987 auch heute noch relevant. Denn es stellt sich die Frage, welche Faktoren genau zu einem derartig massiven Einbruch am Aktienmarkt führten – und vor allem, ob sich solch ein Einbruch wiederholen kann.

Mehrere Ursachen

Zum Schwarzen Montag haben Kommissionen getagt, es gibt zahlreiche Analysen und Studien zu den Hintergründen. Diese haben mehrere Ursachen für den Crash ausgemacht, wobei sich immer noch die Frage stellt, welche Ursache wie zu gewichten ist. Zu den Gründen zählen: relativ hohe Bewertungen nach zuvor massiv gestiegenen Aktienkursen, Straffungen der Geldpolitik und drohende weitere Kontraktionen, wirtschaftliche Ungleichgewichte, neue automatische Computerprogramme nebst der sogenannten Portfolio Insurance sowie natürlich die Psychologie der Anleger.

Zuvor hatten sich die Börsen in den 1980er Jahre exzellent entwickelt. So kletterten die Kurse in den Jahren 1985, 1986 und vor allem auch in den ersten Monaten 1987 deutlich nach oben. Unter Anlegern machte sich mitunter eine gewisse Sorglosigkeit breit, fast alle Marktteilnehmer gingen davon aus, dass die Kurse stetig weiter steigen würden. In solchen Situationen kann es leicht zu Einbrüchen kommen. Denn entwickeln sich die Kurse nicht in die gewünschte Richtung und kommt es zu Korrekturen, neigt ein Teil der Anleger dazu, Gewinne mitzunehmen.

Gift für die Aktienmärkte sind immer Liquiditätsstraffungen und Zinserhöhungen der Notenbanken. Und 1987 gab es durchaus Belastungsfaktoren auf dem monetären Sektor, das Geldmengenwachstum verlangsamte sich und die Federal Reserve erhöhte Kreditzinsen. Zu­dem gab es Spekulationen über weitere Zinserhöhungen der Fed und auch über Zinserhöhungen anderer Notenbanken. Hinzu kamen wirtschaftliche Ungleichgewichte und die Schwäche des Dollar. „1987 war die Geldmengenzuwachsrate von Januar bis September von 18% auf 3% gesunken“, sagt der Vermögensverwalter Jens Ehrhardt. „Da gingen bei mir die Alarmglocken los – und ich habe die Barquote aufgestockt sowie einige Verkaufsoptionen gekauft.“

Der Computer ist schuld

Hinzu kam 1987, dass der automatische computergestützte Handel noch relativ neu war und dass die Computer und die Handelssysteme bei weitem nicht so leistungsfähig waren wie heute. „Das ‚Portfolio-Insurance-Konzept‘ hat ebenfalls zur Dynamik des Kursrutsches beigetragen“, sagt Langer. Dieses sieht vor, dass Anleger bei einer bestimmten Schwelle ihre Bestände verkaufen und somit den Wert ihres Portfolios schützen. Das hört sich theoretisch zunächst einmal gut an. Doch wenn viele Investoren aus einem Markt aussteigen wollen und Positionen liquidieren, stößt das Konzept an seine Grenzen und es drohen massive Markteinbrüche.

Ohne Zweifel trug der automatische Computerhandel dazu bei, dass der Tagesverlust so hoch ausfiel, als am Schwarzen Montag Panik aufkam. „1987 konnte man damit noch nicht umgehen“, stellt Langer fest. Auch rasten bei hohen Handelsvolumina die Kurse ungebremst nach unten. Handelsunterbrechungen gab es nicht. Das hat sich nach dem Crash schlagartig geändert. Die New York Stock Exchange, aber auch zahlreiche andere Börsen führten bei sehr starken Kursbewegungen Handelsunterbrechungen, sogenannte Circuit Breaker, ein. Dadurch können die Marktteilnehmer innehalten und prüfen, ob der Abwärtssog überhaupt gerechtfertigt ist. Auch an der Deutschen Börse gibt es Volatilitätsunterbrechungen.

Doch auch die US-Notenbank reagierte in sehr kurzer Zeit auf den Aktiencrash, schließlich hatte sie auch aus den Erfahrungen der 20er und 30er Jahre gelernt und wollte eine neue Weltwirtschaftskrise unbedingt vermeiden. Neuer US-Notenbankpräsident war seit August 1987 Alan Greenspan. Die Fed erklärte gleich nach dem Crash, dem Markt großzügig Liquidität zur Verfügung zu stellen, und begann mit Stützungsmaßnahmen. Letztendlich sorgten die Notenbanken mit Liquiditätsspritzen und Zinssenkungen dafür, dass die Auswirkungen des Crashs gering blieben und die Talsohle bald wieder überwunden war. So kam es später zum Greenspan-Put, der langjährigen Unterstützung der Aktienmärkte durch die Geldpolitik.

Doch was können Investoren vom Crash 1987 lernen? Aktien lohnen sich langfristig und sind auf lange Sicht eine der rentabelsten Geldanlagen. „Markteinbrüche sind immer möglich und lassen sich nicht timen“, stellt Invesco-CIO Langer fest. Seiner Ansicht nach sollten Anleger aber deswegen nicht in Panik verfallen. Rückschläge und Abwärtsphasen gehören also bei Dividendentiteln dazu. Das haben auch die Markteinbrüche der vergangenen Jahre gezeigt, die allerdings anders als 1987 sehr viel klarere fundamentale Ursachen hatten.

Einbrüche eröffnen Chancen

Eines ist aber immer gefährlich: Sorglosigkeit, insbesondere in Verbindung mit extrapolativen Erwartungen. Jeder Aufwärtstrend hat einmal ein Ende, und Aktienkurse steigen nicht zwangsläufig weiter, weil sie bereits monate- oder jahrelang geklettert sind. Zudem sind Zeiten, in denen die Notenbanken, die Götter der Märkte, umschwenken und die Geldpolitik straffen und die Leitzinsen erhöhen, stets gefährlich. Es ist also richtig, verstärkt auf die Notenbanken zu schauen.

Doch es gibt auch eine gute Botschaft des Crashs 1987 und der anderen Einbrüche der vergangenen Jahre. Denn durch diese massiven Kursrückgänge haben sich für langfristig orientierte Investoren erstklassige Einstiegsgelegenheiten ergeben. Na­türlich gilt es erst einmal, ein Ende von Marktkorrekturen und eine Bodenbildung abzuwarten. Dann ist es aber immer lukrativ gewesen, in Aktien einzusteigen. Das war nach dem Crash 1987, im Frühjahr 2003 und auch im Frühjahr 2009 so.