ESG

Moderne Sklaverei ist auch ein Portfoliorisiko

Moderne Sklaverei ist ein soziales Übel, aber auch ein Anlagerisiko. Das versetzt Assetmanager und Anleger in eine entscheidende Position, dieses Risiko zu erkennen und zu bekämpfen.

Moderne Sklaverei ist auch ein Portfoliorisiko

Moderne Sklaverei ist im 21. Jahrhundert noch immer ein Problem. Zwar gehört ihre Abschaffung bis 2030 zu den erklärten Zielen der Vereinten Nationen, doch trotz aller Bemühungen auf nationaler und internationaler Ebene hat sich die Zahl der Opfer in den letzten Jahren nicht verringert. Im Gegenteil. So waren nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation im Jahr 2022 mehr als 50 Millionen Menschen Opfer von verschiedenen Formen der modernen Sklaverei, einschließlich Zwangsarbeit, Schuldknechtschaft und Menschenhandel. Ein rasanter Anstieg im Vergleich zu 2016, als die Schätzung von 40 Millionen Menschen ausging. Treiber dieser besorgniserregenden Entwicklung waren unter anderem die Jahre der Corona-Pandemie, in denen sich die Armut besonders in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen weiter verschärft hat.

In der Finanzwelt wächst seit einiger Zeit das Bewusstsein, dass moderne Sklaverei ein soziales Übel und ein Anlagerisiko ist. Das versetzt Assetmanager und Investoren in eine entscheidende Position, um dieses Risiko branchenübergreifend zu erkennen und zu bekämpfen.

Beliebte Branchen betroffen

Ein Hauptproblem bei der Bekämpfung: Moderne Sklaverei, also der Rückgriff auf Zwangsarbeit und sonstige Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten und im Betrieb von Unternehmen, ist in vielen Ländern offiziell legal und weit verbreitet. Allein mit Zwangsarbeit erwirtschaften die dahinterstehenden Kriminellen rund 150 Mrd. Dollar pro Jahr. Besonders die Bergbaubranche ist von moderner Sklaverei betroffen – und damit indirekt auch beliebte Anlagesektoren, deren Unternehmen von Seltenen Erden, Mineralien und Metallen abhängig sind. Dazu gehören zum Beispiel der Technologiesektor, erneuerbare Energien oder Elek­tromobilität.

Die Risikofaktoren für moderne Sklaverei sind in der Bergbaubranche vielfältig. Geografie ist einer davon, denn es handelt sich um eine Branche, die besonders für Schwellenländer von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist. Von den 40 Ländern, deren Exporte zu mehr als 25% von Mineralien außerhalb von Brennstoffen abhängen, gehören 75% zu den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. In diesen Ländern ist vor allem der Kleinbergbau verbreitet, eine gefährliche Tätigkeit, die oft mit schlechten Sicherheitspraktiken verbunden ist. Nach Angaben des Internationalen Arbeitsamtes arbeiten fast 13 Millionen Menschen im Kleinbergbau, und schätzungsweise 100 Millionen Menschen leben von diesem Sektor. Zudem sind in vielen Gebieten, in denen Bergbau betrieben wird, die Menschen unter anderem durch ausbeuterische Bedingungen in abgelegenen Gegenden, die (erzwungene) Umsiedlung von Ureinwohnern und die Verbindung mit organisierter Kriminalität oder bewaffneten Konflikten gefährdet.

Um das Risiko moderner Sklaverei in Portfolios zu erkennen, ist ein durchdachter Analyserahmen ein wichtiges Instrument. Er ermöglicht es Investoren, alle Unternehmen im Universum eines Portfolios auf Grundlage ihrer potenziellen Gefährdung zu analysieren. Der Mechanismus von AllianceBernstein (AB) berücksichtigt vier Hauptrisikofaktoren: gefährdete Bevölkerungsgruppen, risikoreiche Regionen, risikoreiche Produkte und Dienstleistungen sowie risikoreiche Geschäftsmodelle. Basierend auf interner Grundlagenforschung und Informationen von renommierten Drittanbietern wie etwa dem Global Slavery Index (GSI) werden die zu untersuchenden Unternehmen einer Matrix zugeordnet, die das Ausmaß der Gefährdung sowohl im Betrieb als auch in den Lieferketten aufzeigt. In diesem ersten Schritt wird nur die Gefährdung bewertet und noch nicht, wie gut oder schlecht ein Unternehmen das Risiko verwaltet. Die Abbildung stellt zur Veranschaulichung dar, wie einzelne Branchen in der Matrix eingeordnet sind; in der Praxis werden jedoch einzelne Unternehmen eingezeichnet.

Diese Kartierung ist allerdings nur der erste Schritt zur Bewertung des Risikos der modernen Sklaverei. Tiefgreifende Erkenntnisse ergeben sich erst aus dem Verständnis der Exponierung einzelner Unternehmen. Um die individuellen Risiken der modernen Sklaverei zu verstehen, braucht es gute Research-Fähigkeiten und eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Fundamentalanalysten und internen ESG-Experten sowie ein klares Gespür für bewährte Verfahren des Risikomanagements. Ebenfalls entscheidend: die Bereitschaft, direkt mit den Unternehmen zusammenzuarbeiten, um Probleme zu erkennen und anzugehen. Denn Engagement, das sowohl zu Erkenntnissen führt, aber auch konkrete Maßnahmen nach sich zieht, hat langfristig das Potenzial, die Risiken nicht nur für die Unternehmen und Anleger, sondern vor allem für die Mitarbeiter in den Bergbaubetrieben und Lieferketten der Unternehmen zu verringern.

Mehr Maßnahmen nötig

Das Engagement von AB zeigt, dass die Bemühungen verstärkt und mehr Maßnahmen ergriffen werden müssen. So verfügen viele Unternehmen im Allgemeinen zwar über solide Richtlinien zu Menschenrechten und moderner Sklaverei, doch die Qualität der Umsetzung ist sehr unterschiedlich und vor allem in puncto Lieferketten gibt es Verbesserungspotenzial. So haben nach Einschätzung von AB viele Unternehmen noch einen weiten Weg vor sich, wenn es darum geht, in ihren Lieferketten Risikoprüfungen zur modernen Sklaverei einzuführen.

Vermögensverwalter und Investoren können diesen Wandel vorantreiben. Die Finanzbranche steht zwar noch recht am Anfang, die moderne Sklaverei zu erkennen und auszurotten, aber gemeinsam können ihre Akteure entscheidend zur Erreichung dieses Ziels beitragen.

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