IM INTERVIEW: FRANK WOHLGEMUTH, NATIONAL-BANK

"Weiterhin enormes Zinsdifferential"

Research-Leiter: Euro-Kurse unter 1,10 Dollar vorstellbar - Dax zum Jahresende bei 12 800 Punkten

"Weiterhin enormes Zinsdifferential"

Nach den Bekenntnissen der US-Notenbank Fed zu einer langsameren Gangart, was Leitzinsanhebungen betrifft, hat der Markt weitere Erhöhungen im laufenden Jahr weitgehend ausgepreist. Zu Unrecht, meint Frank Wohlgemuth. Der Research-Leiter der National-Bank rechnet mit zwei Zinsschritten der Fed in diesem Jahr und mit einem festeren Dollar. – Herr Wohlgemuth, die US-Notenbank hat zuletzt deutlich signalisiert, dass sie es mit Leitzinsanhebungen nun langsamer angehen lässt. Marktteilnehmer erwarten für dieses Jahr kaum noch Erhöhungen. Wie sieht Ihr Zinsausblick aus?Unserer Einschätzung nach bleibt die Fed auf Kurs. Sie hat momentan eine Pause eingelegt. Hintergrund sind die globalen Unsicherheiten vor allem durch den Handelskonflikt sowie durch den Brexit. Die Pause ist nicht einer nachlassenden Wirtschaftsdynamik in den USA geschuldet. Vielmehr haben wir den Eindruck, dass sie sich derzeit neben der globalen Komponente stärker an den Märkten orientiert. Die Turbulenzen des vergangenen Quartals machen sich bei den amerikanischen Währungshütern bemerkbar. Die US-Zinsen bleiben aber grundsätzlich aufwärtsgerichtet. Im Januar wurden in den USA 304 000 Stellen neu geschaffen. Das ist in einem Umfeld, in dem der Shutdown für so viel Unsicherheit gesorgt hat, schon eine Hausnummer. Die Fed kann sich die Pause aber leisten, weil die Inflationsraten niedrig bleiben.- Wann wird der US-Leitzins wieder steigen?Wir glauben, dass die Fed ihren Leitzins nach einer von uns erwarteten Einigung im Handelskonflikt im Verlauf des zweiten Halbjahres weiter erhöht.- Wie hoch werden die Fed Funds Rate und die Anleiheverzinsungen steigen?Wir erwarten die Fed Funds Rate in zwölf Monaten bei 3 %. Die zehnjährige Treasury-Rendite wird auf 3,30 % steigen. Da sich Bundesanleihen diesem Trend nicht gänzlich werden entziehen können, erwarten wir die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe bei 0,70 %.- Was bedeutet das für den Euro-Dollar-Wechselkurs?Es wird weiterhin ein enormes transatlantisches Zinsdifferential geben, und das spricht für den Dollar. Es wird wesentlich mehr Geld in die USA fließen. Zudem stellt sich die Frage, wo denn aufgrund der Fragilität der Region ein höheres Wachstum im Euroraum herkommen soll. Der 2016 begonnene Aufschwung Europas war passiver Natur, das heißt, er speiste sich aus der ultralockeren Geldpolitik und der anziehenden Weltwirtschaft. Wir erwarten den Euro in zwölf Monaten bei 1,12 Dollar. Denkbar sind auch 1,10 Dollar oder sogar ein etwas niedrigeres Niveau.- Sie haben sich positiv zur wirtschaftlichen Entwicklung in den USA geäußert. Was erwarten Sie für die Weltwirtschaft?Wir rechnen, getragen von einer dynamischen Entwicklung in den USA, mit einem globalen Wachstum von 3,8 % nach 3,7 % im zurückliegenden Jahr. Dies setzt aber voraus, dass der Handelskonflikt sich in seiner Intensität rasch vermindert. Gelingt dies nicht, sehen wir leicht darunter liegende Wachstumsraten. Darüber hinaus rechnen wir mit einem anhaltend sehr starken Wachstumsbeitrag der asiatischen Volkswirtschaften. Asien wird immer deutlicher zum Rückgrat der Weltwirtschaft. Diese wird immer stärker von Regionen mit positiven demografischen Entwicklungen im Gegensatz etwa zu Europa und Japan getrieben.- Sie erwarten eine Einigung im Handelskonflikt zwischen den USA und China. Wie wird sich das auswirken?Der Handelskonflikt spielt eine entscheidende Rolle. Wir sind optimistisch, dass es einen relativ belastbaren Kompromiss geben wird. Beide Seiten können kein Interesse an einer weiteren Eskalation haben. Trump hat seine Wiederwahl im Jahr 2020 im Blick. Da kann er keine deutlich schwächere Wirtschaft gebrauchen. China wiederum hat mit Schwächen im Produktionssektor zu kämpfen und daher auch kein Interesse, den Konflikt weiter hochzuschaukeln. Wenn es zur Einigung kommt, wird dies den aktuellen Rückgang der Frühindikatoren wahrscheinlich drehen und in eine Aufwärtsbewegung münden.- Können die Anleger somit hoffen, dass die Aktienmärkte ihre Erholungsbewegung fortsetzen?Wir waren im Dezember, als die Kurse fielen, der Ansicht, dass die Stimmung deutlich schlechter war als die Lage. Die fundamentalen Daten sind bei weitem nicht so schlecht, wie es die Schwäche der Aktienmärkte hätte vermuten lassen können. Zudem sind die Bewertungen gerade in Europa günstig, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des sehr niedrigen Zinsniveaus. Die EZB wird die Zinsen noch lange niedrig halten. Dadurch gibt es keine zufriedenstellende Alternative zu Aktien. Dies könnte ihnen in Form höherer Bewertungen zugutekommen. Wir raten insbesondere zu substanzstarken und gut geführten Unternehmen mit hohen Dividendenrenditen. In diesem Jahr rechnen wir mit rekordhohen Ausschüttungen der Dax-Unternehmen.- Wie lauten Ihre Indexprognosen?Den Dax erwarten wir zum Jahresende bei 12 800 Punkten, den Euro Stoxx 50 bei 3 450. Unsere Prognose für den S&P 500 liegt bei 3 000 Punkten. Gerade auch in den USA sind die Bewertungen spürbar gesunken.- Werden wir mit dem von Ihnen erwarteten Kompromiss den Handelskonflikt als Belastung los?Ein Kompromiss im Handelskonflikt wird nicht den Konflikt oder besser die Rivalität zwischen China und den USA aus der Welt schaffen. Um die USA zufriedenzustellen, müsste China seinen 2025-Plan deutlich revidieren, also beispielsweise die Subventionierung von Zukunftstechnologien wie etwa künstliche Intelligenz zurückfahren. Dies halten wir für sehr unwahrscheinlich. Generell sehen wir hier ein Ringen um die führende Stellung in Zukunftsbranchen wie Digitalisierung, Robotik, erneuerbare Energien et cetera.- Auf welche Branchen sollten Investoren im Hinblick auf einen Kompromiss im Handelsstreit setzen?Wird der Konflikt gelöst, werden exportorientierte Branchen, darunter Automobile, Chemie und Industriegüter, im Vordergrund stehen. Gerade in diesen Segmenten findet man auch einige substanzstarke Aktien mit hohen Dividendenrenditen.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.