Patrick Herhold, Boston Consulting Group

„Der Markt ist jetzt schon da“

Patrick Herhold, Nachhaltigkeitsexperte von Boston Consulting Group, sieht Anbieter von grünen Produkten im Wettbewerb vorn. Das spiegele sich im Image und in der Bewertung.

„Der Markt ist jetzt schon da“

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Die Klimaziele sind gesteckt, in der Umsetzung kommt Unternehmen eine entscheidende Rolle zu. Für Konzerne ist die grüne Transformation oft mit Milliardeninvestitionen und höheren Kosten verbunden. Manche Firma zögert, weil sie unsicher ist, ob ihre Kunden bereit sind, für Klimafreundlichkeit eine Prämie zu zahlen.

Aus Sicht von Beratern können sich Konzerne einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, wenn sie als Erste auf grüne Technologien setzen. Es kann sich auszahlen, in der Transformation die Nase vorn zu haben, so das Fazit der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) auf Basis einer gemeinsam mit dem World Economic Forum erstellten Analyse. Viele bislang teurere klimafreundliche Alternativprodukte und Herstellungsverfahren sollten aus Sicht der Berater in nur wenigen Jahren mindestens preislich wettbewerbsfähig oder sogar günstiger sein als das mit fossilen Rohstoffen erzeugte Sortiment.

Auch bei den Abnehmern stoße die ökologische Wende auf Resonanz. So steigt nach Erkenntnis von BCG die Bereitschaft bei Industriekunden, für klimafreundlich erzeugte Produkte einen Preisaufschlag zu akzeptieren. Der Prozess werde getrieben von nachgelagerten Unternehmen, die ihre ESG-Verpflichtungen erfüllen und langfristigen Konsumtrends entsprechen wollen. Wenn nach einiger Zeit die Preise sinken, hätten „Early Mover“ sowohl Kosten- als auch Imagevorteile – bevor Konkurrenten aufholen. „Der Markt ist jetzt schon da. Wir sehen in vielen Sektoren eine sichtbar steigende Bereitschaft von Unternehmen und Endkunden, mehr für grüne Alternativen zu bezahlen“, sagt Nachhaltigkeitsexperte Patrick Herhold, Managing Director und Partner von BCG.

Diese Einsicht hat sich noch nicht überall durchgesetzt. Trotz steigender Nachfrage nach grün hergestellten Materialien und Produkten reagierten noch viele Anbieter nicht im notwendigen Tempo. Dies führt laut BCG zu einer „grünen Knappheit“ auf den Märkten. Der Analyse zufolge wird das höchste Knappheitsrisiko für 2030 bei grünen Kunststoffen und Chemikalien liegen. „Heute sind die Dekarbonisierungsverpflichtungen der nachgelagerten Unternehmen weitaus ehrgeiziger als die ihrer vorgelagerten Zulieferer“, gibt Herhold zu bedenken.

„Die Pionierarbeit für grüne Märkte­ ist eine Wette, die sich aber wahrscheinlich auszahlen wird“, sagt Herhold­. Jahrzehntelang hätten vorgelagerte Akteure in Branchen wie Stahl, Basischemikalien und Logistik hauptsächlich über Kosten und Preise­ konkurriert –  „Knappheit und wertorientierte Preisgestaltung waren weitgehend unbekannt“. Doch jetzt entstünden grüne Märkte, auf denen die Käufer bereit seien, für knappe Produkte einen Aufschlag zu zahlen.

Bei den aussichtsreichen grünen Märkten nennt Herhold die Stahlindustrie. Hier standen europäische Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten hochgradig unter Druck in einem intensiven Wettbewerb mit Anbietern aus Asien und insbesondere China. Das habe für knappe Margen gesorgt. „Es war ein reiner Kampf um den Commodity-Preis“, sagt Herhold. Grüner Stahl allerdings, der mit wenig CO2-Ausstoß produziert werde, habe derzeit eine sehr hohe Nachfrage, „viel größer als das Angebot“. Wer jetzt grünen Stahl bestelle, werde ihn vor 2025/2026 kaum bekommen können. Der Überhang der Nachfrage habe sich innerhalb von nur zwölf Monaten aufgebaut.

Stahlkunden wie zum Beispiel die Automobilindustrie und Hersteller von Haushaltsgeräten haben sich verpflichtet, Vorprodukte mit geringerem CO2-Gehalt einzukaufen. Die meisten Stahlhersteller haben diese Chance aus Sicht von Herhold noch nicht früh genug gesehen und bisher oft die hohen Investitionskosten für die Umstellung auf grüne Produktion gescheut. Im Markt seien mit grünem Stahl indes viel höhere Preise zu erzielen als mit grauem Stahl – dieser stehe nach wie vor in einem reinen Commodity-Wettbewerb. Einige Anbieter sind mit grünem Stahl vorangegangen. Es seien zunächst Unternehmen aus den nordischen Ländern gewesen, aber nun auch in Deutschland und anderen europäischen Staaten. „Sie können in dem Geschäft voraussichtlich bessere Margen erzielen, einfach aufgrund der Knappheitssituation“, erklärt Herhold. „Für grünen Stahl hat sich ein Angebotsmarkt entwickelt, in dem Themen wie strategisches Pricing plötzlich relevant sind.“

Die Kapazitäten für grünen Stahl werden aus Sicht der Berater allerdings stark steigen; in einigen Jahren dürfte der Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage wiederhergestellt sein. Im Weltmarkt hat grüner Stahl laut BCG aktuell einen einstelligen Prozentanteil; er sei noch klein, nehme aber rasant zu.

Herhold sieht ähnliche Chancen für Chemieprodukte, für Zement, für Kunststoff oder auch Elektronik. Die Klimazusagen der Unternehmen, die am Ende der Wertschöpfungskette stehen, werden seiner Einschätzung nach auch in diesen Segmenten für steigende Nachfrage nach grünen Produkten sorgen. Auch hier stehe grüner Nachfrage derzeit noch nicht das entsprechende Angebot gegenüber. „Daraus wird sich eine hohe Marktdynamik entwickeln.“ Unternehmen sollten diese Chance nutzen und Klimaschutz nicht mehr vorwiegend als hohen Kostenfaktor oder regulatorisch erforderliche Investition betrachten, empfiehlt Herhold.

Dass es bei den potenziellen Anbietern grüner Materialien vielerorts langsam vorangeht, liegt aus Sicht des Beraters vor allem darin begründet, dass für die Umstellung auf grüne Technologien in Stahl, Chemie oder Zement Milliardeninvestitionen erforderlich sind. Um hier die richtige Entscheidung zu treffen, wollten die Unternehmen eine gewisse Sicherheit über die zu erwartende Nachfrage nach dem grünen Produkt haben. „Diese Industrien haben traditionell­ sehr lange Investitionszyklen, was die Entscheidung er­schwert.“

Inzwischen sei es keine Frage mehr, dass diese Nachfrage entstehe, es gehe allenfalls noch darum, wann das geschehe. Für die Unternehmen ergibt sich laut Herhold ein einmaliges „window of opportunity“. „Bis der gesamte Wettbewerb auf Grün umgestellt hat, wird es in der Übergangszeit möglich sein, höhere Preise durchzusetzen“, so Herhold.

Als Beispiel nennt der Nachhaltigkeitsexperte auch die Zementindus­trie: „In dem Markt sind nicht nur die Bemühungen zur Dekarbonisierung zu beobachten, sondern auch die Umsetzung dieses Anspruchs in ersten Preisaufschlägen.“ Auch die Chemie komme mit grünen Produkten voran, bei Kunststoff und Elektronik rechnet Herhold über die nächsten Jahre mit deutlich mehr grüner Dynamik.

Auch die zunehmenden Anforderungen im ESG-Reporting auf globaler Ebene werden den Prozess der Umstellung seiner Einschätzung nach beschleunigen: „ESG-Transparenz erzeugt Handlungsdruck.“

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