Telekommunikation

Neuer Anlauf für die Digital-Maut

Netflix und Co. sollen für die riesigen Datenmengen, mit denen sie die Netze der Telekommunikationsbetreiber verstopfen, bezahlen. Die EU bereitet einen Gesetzentwurf vor, aber die Chancen des Projekts stehen schlecht.

Neuer Anlauf für die Digital-Maut

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Pünktlich zum Bilanzreigen der US-Schwergewichte nimmt die europäische Telekommunikationsbranche den x-ten Anlauf für eine Kostenbeteiligung von Big Tech an der von ihnen beanspruchten Infrastruktur. Industriekommissar Thierry Breton hat sich auf Drängen der Netzbetreiber zu einer „allgemeinen öffentlichen Konsultation“ bereitgefunden, mit einem „ersten Gesetzentwurf“ rechnet die Branche „zeitnah“. Ein Vorschlag soll schon am kommenden Freitag veröffentlicht werden.

Allerdings sind die Fronten seit Jahren verhärtet. Die Telekommunikationsfirmen argumentieren, dass die Internetriesen Meta, Alphabet, Amazon, Apple, Microsoft und nicht zuletzt Netflix, die sogenannten OTT-Player, mit ihrem datenlastigen Content für mehr als 60% der weltweiten Datenströme verantwortlich sind. Ihr Anteil ist in der Pandemie nochmals erheblich gewachsen. 2019 lag er noch bei 43%.

Hinzu kommen die wachsenden Anforderungen an die Latenz der Verkehre, die durch Video und Online-Gaming getrieben werden. Das erfordert Ausgaben für neue Netztechnik und deshalb wollen die Netzbetreiber, dass Big Tech einen „fairen Anteil“ an den Kosten für die Infrastruktur übernimmt.

Gegner sehen in dem soge­nannten Sending-Party-Network-Pays(SPNP)-Modell einen Verstoß gegen die von der EU bisher heilig gehaltene Netzneutralität, die besagt, dass Content im Internet diskriminierungsfrei verfügbar sein muss. Nach dieser Regel dürften Inhalte von Anbietern weder gesondert bepreist noch bestimmte Verkehre gedrosselt oder priorisiert werden. Auf einen offenen Brief, den unter anderem die Konzernchefs von Deutscher Telekom, Te­lefónica, Vodafone und Orange schon vor Jahresfrist an die EU geschickt hatten, in dem sie diese Praxis als unhaltbar kritisierten, reagierten 34 Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus 17 Ländern mit scharfem Protest. Die Unterzeichner werfen den Telekomkonzernen vor, doppelt Kasse machen zu wollen, weil die „Netznutzungsgebühr“ bereits durch die Tarife für ihre Kunden abgedeckt sei. Die Argumentation ist allerdings problematisch, denn die Kostenüberwälzung des Netzausbaus auf die Kunden hat mit den nötigen Investitionen angesichts der Datenexplosion seit Jahren nicht Schritt halten können. Daher haben zahlreiche Telekomfirmen in Europa ihre Kapitalkosten nicht verdienen können.

Experten weisen darauf hin, dass die Vorgabe der Netzneutralität und die damit eingeschränkte Monetarisierungsmöglichkeit der Infrastruktur in Europa seit 2015, als die Regel implementiert wurde, zu einer Investitionslücke von 300 Mrd. Euro geführt habe. Europas Anteil am globalen Internet-Markt-Volumen sei auf 2% gesunken und dabei, von Afrika überholt zu werden. Während die Region einst unter den Top-20-Internet-Playern vertreten gewesen sei, finde sich nun kein europäisches Unternehmen mehr in den Top 50.

Gleichwohl steht die Politik bei einer möglichen gesetzlichen Neuregelung vor einer schwierigen Aufgabe. Mit einem administrativen Eingriff in das Geschäftsmodell der großen Internet-Player, die bisher in keiner anderen Weltreligion per Gebühr an den Kosten der Infrastruktur beteiligt werden, könnte die EU dem Anliegen, den Internet-Sektor in Europa wieder zu stärken, möglicherweise einen Bärendienst erweisen. Überdies ist zu bedenken, dass Behörden und Telekommunikationsunternehmen Gefahr laufen, die Kunden zu vergraulen. Diese besteht, falls es mit Big Tech keine Einigung gibt – was bisher noch nie gelang. Denn die Unternehmen haben den Vorteil, dass sie den Content bieten, den die Kunden wollen.

Die Drohkulisse der Telekomfirmen ist daher dürftig. Sollten sie sich entschließen, die Internet-Geschwindigkeit bei hoher Netzbelastung für Dienste der OTT-Player zu drosseln, könnten die Kunden die rote Karte zücken. Im schlimmsten Fall würden sich die Netzbetreiber selbst ein Bein stellen – und im Kampf um den Kunden doch wieder in eine Preis-Leistungs-Spirale geraten – Big Tech könnte gelassen zuschauen . So lange ein echtes Druckmittel fehlt, stehen die Chancen für eine Digitalmaut schlecht.

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