China

Peking ist noch nicht aus dem Schneider

Die Stimmungsbarometer für Chinas Wirtschaft schlagen kräftig nach oben aus. Kurz vor Beginn des Volkskongresses ein gefundenes Fressen für die Parteiführung. Fundamentale Probleme kann das aber nicht kaschieren.

Peking ist noch nicht aus dem Schneider

An Chinas Börsen machen die über den Monat Februar hinweg gedrückten Aktienkurse einen kräftigen Freudenhüpfer. Neue Einkaufsmanagerdaten für Industrie und Dienste überraschen mit einem besonders kräftigen Anstieg. Der offizielle Einkaufsmanagerindex (PMI) für das verarbeitende Gewerbe weist gar den höchsten Stand seit Frühjahr 2012 aus. So gesehen kein Wunder, dass Aktienanleger die Korken knallen lassen. Die PMI-Daten bauen Resthemmungen ab, auf eine rasante Konjunkturerholung im nun vom Joch der Null-Covid-Politik befreiten China zu wetten.

Auch aus Sicht der Staats- und Parteiführung sind die neuen Stimmungsdaten genau das, was der Doktor verschrieben hat, um in wenigen Tagen beim Start des Nationalen Volkskongresses mit breiter Brust Chinas Sieg über die Corona-Pandemie zu feiern. Im Zuge der nun anscheinend wieder prächtigen Konjunkturlage kann man erst recht geflissentlich über die Kollateralschäden und noch lange anhaltenden Nebenwirkungen des verfehlten Corona-Managements hinwegsehen und dem Volk blühende Wiesen versprechen.

Die jährlich im März in prächtiger Kulisse über die Bühne gehende Parlaments-Show lässt mit all ihrem Pomp und ihren Ritualen nicht nur Politfüchse und China-Versteher auf ihre Kosten kommen, sondern bietet auch Ökonomen reichlich Futter. Die Regierung gibt mit ihrem Jahreswirtschaftsbericht den planerischen Takt vor. Dazu gehört die Verkündung eines als Mindestvorgabe gedachten Wachstumsziels, das die Regierung im Selbstvertrauen auf staatliche Wirtschaftslenkungskünste zu erfüllen gedenkt.

Vor der Pandemie hat das Spielchen hervorragend geklappt. Ein jeder konnte sich darauf verlassen, dass Chinas Wachstumsziel stets eingehalten wird und der Staat die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft voll im Griff hat. Im Jahr 2020 wurde nach dem Ausbruch von Corona sinnvollerweise auf ein Wachstumsziel verzichtet. Im darauffolgenden Jahr spielte die Vorgabe keine Rolle, weil statistische Basiseffekte ein überdurchschnittlich hohes Wachstum quasi garantierten. Dann allerdings setzte Hybris ein. Beim Volkskongress 2022 wurde trotz Lockdown-Schreck und ideologischer Versteifung auf Null-Covid die Messlatte auf 5,5 % gelegt. Für jeden seriösen Ökonomen war von vornherein klar, dass die harte Corona-Linie und eine an präpandemische Zeiten wieder anknüpfende Wachstumsrate völlig unvereinbar miteinander sein würden. Letztlich sah man mit 3 % eine der historisch schwächsten Expansionsraten.

Das trotzige Signal, dass sich der Konjunkturverlauf stets dem Willen der Parteiführung beugt, hat immensen Schaden angerichtet, weil es die über Jahrzehnte hinweg wenig angezweifelte grundsätzliche Wirtschaftskompetenz des Pekinger Machtapparats in Frage stellt. Dies berührt den sogenannten „stillen Sozialkontrakt“ zwischen Partei und Volk, demzufolge ein repressives politisches System solange akzeptabel bleibt, wie die von ihm verantwortete Wirtschaftsperformance eine stete Verbesserung der Lebens-und Einkommensverhältnisse garantiert. Nun hat sich kräftiges Misstrauen eingeschlichen.

Peking hat, von einer ungewohnten Protestwelle aufgeschreckt, die Restriktionen schlagartig abgeschafft und lässt sich nun für die Glanztat der „optimierten“ Coronapolitik rühmen. Die Konjunktur floriert, weil man alles richtig gemacht hat. Sicherlich, Chinas Wirtschaft wird kräftiger wachsen, nachdem sie zuvor unnötig abgewürgt wurde. Wenn man den Fuß von seinem Gartenschlauch nimmt, kommt tatsächlich wieder mehr Wasser raus. Mit Lenkungskunst hat das wenig zu tun, und die Regierung ist selbst mit einer Steigerung des Wachstums auf wieder 5 % oder mehr noch nicht aus dem Schneider. Die neuen PMI-Daten bezeugen zunächst einmal nur ein Aufflammen der Wirtschaftsaktivität im Vergleich zum Vormonat und signalisieren Konsumbelebung in den Großstädten. Damit ist weder ein Beweis für eine nachhaltige Konjunkturerholung gegeben, noch kann man daraus schließen, dass es nun allen wieder besser geht. Die Null-Covid-Politik hat vor allem bei Niedrigverdienern, Kleinunternehmen und in sowieso schon strukturschwachen Regionen verheerende Schäden angerichtet und erstmals seit 60 Jahren wieder für einen Beschäftigungsrückgang in China gesorgt. Daraus entsteht ein Rattenschwanz von Problemen, die sich allein schon über den Einfluss auf den Konsum in der breiten Masse der niedrigeren Einkommensschichten als Dynamikbremse erweisen dürften. Für solche Themen wird auf dem Volkskongress freilich kein Platz sein.

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