Höhere Ziele

Siemens ignoriert die Rezession

Siemens geht trotz drohender Rezession mit höheren Wachstumszielen in das angelaufene Geschäftsjahr, als mittelfristig angepeilt werden. Das Nettoergebnis soll ebenfalls steigen, obwohl M&A-Gewinne ausbleiben. Der Vorstand begründet den Optimismus mit einem Auftragsbuch auf Rekordhöhe.

Siemens ignoriert die Rezession

mic München

Siemens geht mit einem Rekordauftragsbuch optimistisch in das laufende Geschäftsjahr. Das Investitionsklima in den Schlüsselmärkten sei weiterhin robust, sagte Finanzvorstand Ralf Thomas. Dazu zählten die Automobilindustrie, der Maschinenbau und die Elektronikindustrie. „Gleichzeitig spüren wir in Wachstumsmärkten, wie dem für die Batterieproduktion, eine starke Nachfrage“, fügte Thomas hinzu. Dies sei ein Sweet Spot.

Vorstandsvorsitzender Roland Busch strich heraus, dass das digitale Geschäft ein wichtiger Wachstumsfaktor sei. Es legte im vergangenen Geschäftsjahr 2022/2023 (30. September) um 15 % auf 6,5 Mrd. Euro zu. Darüber hinaus sei Nachhaltigkeit ein strategischer Treiber. Busch bezeichnete auch die diversifizierte Aufstellung als eine fundamentale Stärke von Siemens: „Wir sind global vertreten, haben aber lokal in allen Regionen robuste Wertschöpfungsketten, mit denen wir geopolitische Risiken abfedern können.“

Siemens prognostiziert ein Um­satzwachstum auf vergleichbarer Basis (bereinigt um Währungsumrechnungs- und Portfolioeffekte) von 6 bis 9% nach 8,2% im vergangenen Geschäftsjahr. Diese Vorgabe liegt deutlich über dem Mittelfrist-Ziel, demzufolge die Erlöse über einen Geschäftszyklus hinweg um 5 bis 7 % wachsen sollen. Das Management legte nicht offen, wie viel des angepeilten Wachstums aus Preiserhöhungen stammen wird. Die Wachstumsdynamik in den Endmärkten werde stark von der Inflation getrieben, sagte Thomas lediglich.

Basis für die Dynamik ist Busch zufolge der Rekordauftragsbestand von 102 Mrd. Euro, von dem 45 Mrd. im laufenden Geschäftsjahr in Um­satz umgewandelt würden. Im hochprofitablen kurzzyklischen Geschäft decke der Bestand sechs bis neun Monate ab, sagte Thomas. Die sei unüblich lange. Zudem gelte: „Nach wie vor liegen die Stornierungen von Kunden nahe null.“ Man habe ein waches Auge auf potenzielle Rezessionsentwicklungen, fügte der Vorstand hinzu. Es gebe Pläne in den Sparten, die Kosten zu senken, wenn die Dynamik nachlassen sollte.

Europa reüssiert

Das Geschäft floriert aktuell be­son­ders in Europa. Während der Auftragseingang dort im vergangenen Geschäftsjahr um 22% – getrieben von Deutschland mit 24% – emporschnellte, meldeten die USA und China jeweils nur 8%. Letztmals war der alte Kontinent 2015/2016 beim Ordereingang vorn gelegen. Europa profitiere von den Exportmöglichkeiten in Wachstumsmärkte, sagte Thomas. Busch stellte das US-Förderprogramm „Inflation Reduction Act“ nicht besonders heraus, als er auf die künftige Positionierung Europas angesprochen wurde. In Mexiko gebe es ein großes Interesse, neu zu investieren, sagte er vielmehr. Dort lockten die Nähe zum US-Markt und viele Arbeitskräfte: „Es ist schon ein bisschen Wettbewerb, wo die neuen Fertigungen hingehen.“

Das Ergebnis pro Aktie vor Effekten aus der Kaufpreisallokation wird der Prognose zufolge in der Bandbreite von 8,70 bis 9,20 Euro landen. Im vergangenen Geschäftsjahr sind 5,47 Euro erreicht worden.

Allerdings wurde das Ergebnis 2021/2022 durch eine Abschreibung auf Siemens-Energy-Anteile in Höhe von 3,37 Euro je Aktie belastet, so dass dieser Betrag addiert werden und 8,84 Euro als Vergleichsgröße gelten könnte. Thomas wies einschränkend darauf hin, dass er 2022/2023 keine Erlöse aus Desinvestitionen erwarte. Im vergangenen Geschäftsjahr hätten sie die Belastungen aus dem Russland-Exit um 1 Mrd. Euro vor Steuern und 0,8 Mrd. Euro nach Steuern übertroffen. Zieht man diese knapp 1 Euro pro Aktie vom Vergleichswert 8,84 Euro ab, wäre der Ausgangswert 2021/2022 rund 7,90 Euro pro Aktie.

Aktienzahl sinkt

In dieser Rechnung beträgt der Gewinnanstieg mindestens 10%. Man habe eine starke operative Verbesserung vor der Brust, so Thomas. Die Prognose sei ambitioniert und machbar. Rückenwind gibt, dass Siemens erwartet, auch im Geschäftsjahr 2023 Kosteninflation durch Produktivitätsmaßnahmen – laut Thomas mehr als 3% – und höhere Preise ausgleichen zu können. Trotzdem ist der erwartete Gewinnanstieg pro Aktie nicht komplett operativ, sondern verdankt sich auch einer verringerten Aktienzahl. Nach der Hauptversammlung 2023 sollten 50 Millionen eingezogen werden, kündigte Thomas an. Damit reduziert sich die Gesamtzahl auf 800 Millionen Stück.

Die Investoren reagierten begeistert auf die Zuversicht des Managements. Die Aktie beendete den Xetra-Handel als Dax-Tagessieger. Der Kurs stieg um 7,0% auf 129,58 Euro. Obwohl der Gewinn im vergangenen Geschäftsjahr um 34 % auf 4,4 Mrd. Euro sank, löst der Konzern sein Versprechen einer jährlich steigenden Dividende ein. Sie wird um 6,3 % auf 4,25 Euro pro Aktie erhöht. Thomas erklärte, dieser Wert spiegele auch das große Vertrauen des Vorstands in die künftige Entwicklung des Unternehmens wider. Damit wird der Gewinn fast komplett ausgeschüttet, weil das Nettoergebnis pro Aktie 4,65 Euro beträgt. Die Ausschüttung entspricht einer Dividendenrendite von 4,2 % auf den Kurs zum Geschäftsjahresende. Thomas wies darauf hin, dass außerdem das Aktienrückkaufprogramm beschleunigt worden sei. Im aktuellen Programm seien 1,8 Mrd. Euro ausgegeben worden, der Durchschnittspreis betrage 110 Euro pro Aktie.

Prononciert äußerte sich Thomas auf den am Vortag geäußerten Wunsch von Siemens-Energy-Chef Christian Bruch, einen anderen Ankeraktionär anstelle von Siemens AG (35 % Anteil an Siemens Energy) zu erhalten: „Die einen wünschen sich andere Ankeraktionäre, und die anderen wünschen sich andere, bessere Performance.“ Busch bekräftigte, Siemens werde sukzessive Anteile verkaufen. Aktuell wartet der Konzern auf die Übernahme von Gamesa durch Energy. Man wolle einen guten Wert beim Verkauf erzielen, sagte Busch, „egal ob das strategische Investoren sind oder am Markt“.

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