Nordirland

Very British Problems

Für Nordirland ist keine simple Lösung in Sicht, auch wenn der britische Premier Rishi Sunak den Anschein zu erwecken sucht. Denn ohne die Unionisten geht es nicht, ohne die Nationalisten ebenso wenig.

Very British Problems

Von Andreas Hippin, London

Vom Kontinent aus betrachtet, liegt die Lösung des Streits um das Nordirland-Protokoll auf der Hand. Glaubt man an Meinungsumfragen, tut den Bewohnern der Insel jenseits des Ärmelkanals der EU-Austritt schon lange leid. Premierminister Rishi Sunak bringt der Brexit, diese Schnapsidee seines Vorvorgängers, nichts als Ärger. Warum also nicht einfach wieder Kurs auf die Staatengemeinschaft nehmen? Eine Einigung zu Nordirland könnte der erste Schritt sein, um Restbritannien zurück in den Gemeinsamen Markt zu bringen. Wären da bloß nicht diese verbohrten nordirischen Unionisten, die sich einfach nicht damit abfinden wollen, dass sie bei den vergangenen Wahlen in Ulster keine Mehrheit mehr hatten, und seitdem alles blockieren. Wie undemokratisch! Bei einer Volksabstimmung gäbe es doch ohnehin eine Mehrheit für den Anschluss an die Republik im Süden.

Doch mit einer derart simplen Weltsicht kommt man in Nordirland nicht weit. Es wäre schön, wenn alle, die sich angeblich um den Frieden in der ehemaligen Unruheprovinz Sorgen machen, sich einmal mit dem Karfreitagsabkommen auseinandersetzen würden, das dem Bürgerkrieg 1998 ein Ende setzte. Die im aktuellen Streit zwischen London und Brüssel so zentralen Handelsthemen spielten damals keine große Rolle. Die Vermeidung einer „harten“ Grenze durch die Grüne Insel wurde damals nicht vereinbart.

Wichtiger war die Schaffung von politischen Institutionen, die eine Teilung der Macht zwischen den verfeindeten Lagern sicherstellen. An der Spitze der Regionalregierung stehen zwei gleichberechtigte Vertreter des nationalistischen und des unionistischen Lagers. Es geht darum, einen Konsens zu finden, nicht darum, den Willen der Mehrheit durchzuboxen. Auch das ist Demokratie. Die Democratic Unionist Party (DUP) stellte als größte unionistische Partei in der Vergangenheit den First Minister. Nun stünde ihr das Amt des Deputy First Minister zu, doch zog sich die DUP nach der Wahl im Mai vergangenen Jahres aus den poli­tischen Institutionen zurück. Als Grund für ihre Verweigerungshaltung, die dafür sorgt, dass bisher keine arbeitsfähige Regionalregierung zustande kam, nennt sie den Protest gegen das Nordirland-Protokoll.

Very British Problems: Was un­erhört erscheinen mag, gab es vor ein paar Jahren schon einmal. Damals war es die nationalistische Sinn Féin, die für einen Eklat sorgte. Weil Arlene Foster (DUP) im „Cash for Ash“-Skandal, bei dem Firmen für das Verbrennen von Holzpellets („grüne“ Energie) bezahlt wurden, nicht als First Minister abtreten wollte, schmiss Deputy First Minister Martin ­McGuinness (Sinn Féin) sein Amt im Januar 2017 hin. Die Nationalisten weigerten sich auch nach Neu­wahlen, einen Nachfolger zu bestimmen. Erst nach drei Jahren Stillstand nahm Michelle O’Neill (Sinn Féin) das Amt an.

Zu den Grundsätzen der Unionisten gehört, dass Nordirland ein unveräußerlicher Teil des Vereinigten Königreichs ist. Johnson hatte ihnen versprochen, dass es durch den von ihm unterschriebenen Brexit-Deal mit der EU keine Ungleichbehandlung Nordirlands geben werde. Nun wollen die Unionisten die innerbritische Handelsgrenze, die da­durch entstanden ist, nicht hinnehmen. Ihr Problem ist, dass sie sich durch ihr ungeschicktes Agieren weitgehend isoliert haben. In Westminster will man nach Möglichkeit nichts mit ihnen zu tun haben. Ihre Politiker wirken wie Karikaturen. Und doch vertreten sie das protestantische Lager, über das man nicht einfach hinweggehen kann.

Sunak will bei den Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag des Karfreitagsabkommens im April nicht mit leeren Händen dastehen. Natürlich hat es seinen Reiz, sich einen reibungsloseren innerbritischen Warenverkehr durch Zugeständnisse zu erkaufen, die für niemanden unmittelbar zu spüren sind – eine größere Rolle für den Europäischen Gerichtshof etwa. Das lässt sich aber nicht ohne die Betroffenen entscheiden. Wenn über die Zukunft von Nordirland entschieden wird, müssen die Vertreter beider Lager mit am Tisch sitzen.

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