Energiewende

„Wir sind noch nicht überm Berg“

Nicht zuletzt der Preisschub für Erdgas hat 2022 zu einem um fast 15% niedrigeren Verbrauch geführt. Der EU-Gaspreisdeckel gefährde aber die Versorgungssicherheit, warnt die Energiewirtschaft.

„Wir sind noch nicht überm Berg“

ab Köln

Allen Turbulenzen zum Trotz ist es Deutschland gelungen, die Versorgungssicherheit in diesem Jahr aufrechtzuhalten. „Das ist ein großer Erfolg“, sagte Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), in einem Pressegespräch. Aber mit Blick auf den nächsten Winter „sind wir nicht überm Berg“.

Vor diesem Hintergrund stimme der am Montag in Brüssel vereinbarte Gaspreisdeckel von 180 Euro je Megawattstunde (MWh) nachdenklich. „Wir schauen mit Sorge auf die Entscheidung“, sagte Andreae. Entscheidend sei, dass die Folgen für die Versorgungssicherheit in Europa im Blick behalten würden. Positiv sei zwar, dass der Mechanismus statt eines starren Preisdeckels eine dynamische, an einen globalen LNG-Referenzpreis gekoppelte Preisobergrenze vorsehe. Der Preis sei jedoch „extrem niedrig“, sagte die Verbandsfrau. Es bestehe die Gefahr, dass künftig ständiger Wechsel stattfinde zwischen Phasen, in denen die Preisobergrenze gelte und dann wieder nicht gelte. 2022 habe der Gaspreis mehr als 40 Mal die Schwelle von 180 Euro/MWh überschritten.

Um die Versorgungssicherheit mit Gas zu erhöhen, müssten die Gaslieferungen noch breiter diversifiziert werden und der Bau weiterer LNG-Ter­minals vorangetrieben werden. Nach BDEW-Angaben ging der Anteil des Gasverbrauchs, der durch Importe aus Russland gedeckt wird, in diesem Jahr auf 20 (i.V. 55) % zurück. Zugleich stiegen die Importmengen aus den Niederlanden und Belgien. Zugleich verringerte sich der Erdgasverbrauch um fast 15%.

Sektorziel verfehlt

Doch nicht nur im Zuge der durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verursachten Energiekrise ist es 2022 zu einer deutlichen Verschiebung im deutschen Stromerzeugungsmix gekommen. Vornehmlich witterungsbedingt stieg der Anteil der erneuerbaren Energien auf 44,6 %. Zugleich erhöhte sich der Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch auf den Rekordwert von fast 47 %. Zugleich wurde jedoch auch mehr Kohle verstromt. Der Anteil von Stein- und Braunkohle am Erzeugungsmix erhöhte sich nach den Angaben auf fast 32 %. Hintergrund dafür war die Rückkehr zahlreicher Kohlekraftwerke an den Markt. Zugleich erhöhte sich der relative Anteil der Kohle, weil Ende 2021 drei Kernkraftwerke stillgelegt wurden. Dadurch hat sich der Anteil der Atomkraft am Stromerzeugungsmix hat sich nach den Verbandsangaben auf 6 % nahezu halbiert. Zugleich ging der Anteil der Gaskraftwerke auf 13,5 % zurück.

Die Rückkehr der Kohle hatte allerdings auch zur Folge, dass das Sektorziel bei der Reduzierung der CO2-Emissionen leicht verfehlt wurde. Die Energiewirtschaft emittierte im zu Ende gehenden Jahr 260 Millionen Tonnen CO2, ein Anstieg um gut 5 %. „Trotz der Umwälzungen dieses Jahres verfehlt die Energiewirtschaft ihr Sektorziel nur knapp“, sagte Andreae, ermunterte aber zugleich, alles zu tun, um schnellstmöglich „wieder in die Spur“ zu kommen. Dazu brauche es mehr Geschwindigkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien, beim Aus- und Umbau der Netze und bei der Entwicklung eines Wasserstoffmarktes. „2023 muss neuen Schub bringen für Investitionen“, forderte Andreae. Die Fesseln beim Planungs- und Genehmigungsrecht müssten gelöst werden.

Wasserstoffhochlauf

Größter Hemmschuh beim Ausbau der Windkraft an Land seien die fehlenden Flächen. Die als Zielmarke gesteckten 2 % bebaubarer Fläche müssten bis 2025 ausgewiesen sein und nicht erst 2032, wie von der Regierung vorgesehen. Andernfalls würden die im EEG gesteckten Ziel nicht erreicht. „Jeder muss verstehen: Der Ausbau der Erneuerbaren ist die Antwort auf die Energiekrise“, sagte die BDEW-Chefin.

Mit Blick auf den Aufbau eines Wasserstoffmarktes seien 2023 „echte Fortschritte“ wichtig, mahnte Andreae. „Der Run auf Technologien für Wasserstoff ist eröffnet. Die USA sind hier – wie auch bei vielen anderen Energiewendeinvestitionen – attraktiv aufgestellt.“ Spätestens seit dem Inflation Reduction Act sei klar, dass Deutschland und Europa die Weichen jetzt stellen müsse, um mithalten zu können. Daher sei ein Wasserstoff-Gesetz erforderlich, in dem zentrale Punkte für einen zügigen Hochlauf geregelt würden, sagte die Verbandschefin. Einen Subventionswettlauf lehnt sie jedoch ab.

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