Stabilitäts- und Wachstumspakt

Zeit drängt bei EU-Schulden­reform

Die EU-Kommission steht bei der dringenden Reform der Schuldenregeln unter Druck. Zum Status quo will niemand zurück. Doch unter den EU-Staaten herrscht große Uneinigkeit.

Zeit drängt bei EU-Schulden­reform

Brüssel, Den Haag, Helsinki, Wien: Die Europatour von Finanzminister Christian Lindner stand ganz im Zeichen der europäischen Fiskalregeln. Lindners Fazit: Seine Reise habe gezeigt, „dass viele Mitgliedstaaten ein Interesse an nachhaltig tragfähigen Finanzen haben“. Die Diskussion um bessere Reformvorschläge beginne erst.

Dabei drängt die Zeit. Noch sind die EU-Schuldenregeln ausgesetzt. Die Ausweichklausel über Ende dieses Jahres hinaus nochmals zu verlängern, ist keine Option. Darüber besteht in der EU-Kommission Einigkeit. Zum Status quo will aber auch niemand zurück. Denn der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat sich als praxisuntauglich erwiesen.

Gesprächsgrundlage ist eine Mitteilung der EU-Kommission von Mitte November. Ihr schweben maßgeschneiderte Pläne für jedes Land zum Schuldenabbau über bis zu sieben Jahre vor und größerer Spielraum in der Beurteilung. Die Finanzminister der 27 EU-Staaten sind sich bislang nur in einer Sache einig: Dass sie sich uneinig sind, was davon zu halten ist. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni fordert bis Mitte März eine Annäherung. Dann kommen die Finanzminister zur nächsten regulären Sitzung in Brüssel zusammen.

Auf mehr als allgemeine Floskeln wie ein Bekenntnis zu soliden Staatsfinanzen werden sich die Finanzminister bis dahin kaum verständigen – wenn überhaupt. Somit wird es auf die Staats- und Regierungschefs an­kommen, das Thema beim EU-Gipfel Ende März zu debattieren. Kurz darauf will die EU-Kommission einen konkreten Gesetzesvorschlag für eine Reform der Schuldenregeln vorlegen. An dem Zeitplan gibt es Zweifel: Die EU-Kommission kann es nicht riskieren, auf breite Ablehnung zu stoßen – sonst herrscht Chaos.

Erschwerend kommt hinzu: Im weiteren Verlauf muss sich auch eine Mehrheit des EU-Parlaments hinter der Reform versammeln. Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner verleiht der Kritik Lindners Nachdruck: „Es sollten keine zweifelhaften Signale an die Kapitalmärkte gesendet werden. Defizitsünder bleiben Defizitsünder.“ Die sogenannten Maastricht-Kriterien – jährliche Neuverschuldung von nicht mehr als 3% und maximaler Gesamtschuldenstand von 60% – sind für Körner nicht verhandelbar, „lediglich die Geschwindigkeit, wie schnell das Ziel erreicht wird“. Auch Lindner lässt hier Bereitschaft zu gewissen Zugeständnissen erkennen, bleibt ansonsten aber hart: „Flexibilität: Ja. Aufweichen der Schuldenregeln: Nein.“

Der CSU-Finanzexperte Markus Ferber sieht in den Kommissionsvorschlägen Licht und Schatten: „Positiv ist, dass das Nettoausgabenwachstum zur zentralen Stellgröße werden soll.“ Das sei einfach zu überprüfen und transparenter. Skeptisch be­urteilt er flexiblere, länderspezifische Vereinbarungen. „Dadurch ge­winnt die Kommission viel Gestaltungsspielraum und es gibt Raum für Mauscheleien. Das war in der Vergangenheit kein Rezept für Erfolg.“

Grüne und SPD dringen dagegen vor allem auf mehr Spielraum für Investitionen. Die Grünen setzen sich dafür ein, klammen EU-Staaten per se stärker entgegenzukommen. Joachim Schuster, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD, findet Reformanreize „durch einen verstetigten europäischen Investitionsfonds“ über 2026 hinaus sinnvoll. Für Liberale sind neue Fördertöpfe ein Sakrileg.

Auch in EZB-Kreisen wird die Debatte über die Reform der EU-Fiskalregeln sehr intensiv verfolgt. Grundsätzlich gilt den Notenbankern eine nachhaltige fiskalische Position als Voraussetzung für das Erreichen von Preisstabilität und dauerhaftem Wachstum. Die Notenbanker plädieren für einfachere und transparentere, aber auch für realistischere Regeln – etwa mit Blick auf die Schuldenquoten. Aktuell spielt zudem die verbreitete Sorge hinein, dass eine unsolide, zu expansive Fiskalpolitik das Inflationsproblem noch verschärfen könnte. Die Notenbanker warnen immer expliziter und haben angesichts der verbesserten Konjunkturlage einen Kurswechsel verlangt.

Sehr kritisch beurteilt Bundesbankchef Joachim Nagel die vorliegenden Reformvorschläge. Vor knapp zwei Wochen hatte er sich bereits im Interview der Börsen-Zeitung „enttäuscht“ gezeigt (vgl. BZ vom 8. Februar). Das Ziel stringenter und einfacher Regeln würde verfehlt. Am Donnerstag legte er in einer Rede beim Wirtschaftsforschungsinstitut DIW Berlin nach. Statt größerer Transparenz und höherer Verbindlichkeit drohten aufgeweichte Fiskalgrenzen, deren Herleitung kaum nachvollziehbar sei. Die Kommission schlage vor, dass sie mit jedem Mitgliedstaat einzeln fiskalische Ziele für die kommenden Jahre aushandele. Allgemeingültige Regeln würden damit faktisch abgeschafft, sagte Nagel. Zudem soll eine Vielzahl an Aspekten berücksichtigt werden, etwa wirtschaftspolitische Ziele.

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