Jürgen Michels, Bayern LB

„Abzug der Liquidität wird zum Problem“

Der Chefvolkswirt und Leiter Research der BayernLB, Jürgen Michels, spricht im Interview der Börsen-Zeitung darüber, was angesichts des Bankenbebens künftig von den Notenbanken Fed und EZB zu erwarten ist.

„Abzug der Liquidität wird zum Problem“

Mark Schrörs.

Herr Michels, trotz Bankenbebens hat die US-Notenbank Fed ihren Leitzins erneut erhöht. Richtig oder falsch?

Das war richtig, denn auch in den USA ist das Problem der hohen Inflation noch nicht gelöst. Ein vorschnelles Ende der Zinserhöhungsphase hätte über steigende Inflationserwartungen zu einem erneuten Anstieg der Lohndynamik führen können. Dies würde zu einer Verstetigung der hohen Inflation beitragen.

Für wie wahrscheinlich halten Sie eine weitere Zuspitzung der Bankenkrise in den USA, und droht sogar eine Wiederholung der Weltfinanzkrise 2008?

Der Abfluss von Liquidität von kleineren US-Banken ist trotz der Bekundungen der Politik und der sehr großzügigen neuen Liquiditätslinie der Fed noch nicht gestoppt. Daher sind weitere Insolvenzen von kleineren Instituten vorstellbar. Zudem gehen von der im Vergleich zur Weltfinanzkrise sehr hohen Geschwindigkeit der Liquiditätsabflüsse Gefahren in anderen Regionen, inklusive Europa, aus. Der Finanzsektor ist insgesamt jedoch besser kapitalisiert, und die „Rettungsteams“ sind besser auf Notfälle vorbereitet. Eine Wiederholung der Weltfinanzkrise erscheint wenig wahrscheinlich. Das jüngste Ereignis in der Schweiz zeigt jedoch, dass ohne staatliche Unterstützung die Eindämmung von Problemen von großen Banken auch heute wohl nicht leistbar ist.

Haben die Zentralbanken die Folgen ihrer rasanten Zinswende für die Finanzstabilität unterschätzt?

Das ist gut möglich. Auch wenn sich die Zentralbanken untereinander austauschen, dürften die einzelnen Institute bei ihren Zinserhöhungen nur teilweise die gleichzeitig stattfindenden Zinsschritte anderer Zentralbanken berücksichtigt haben. Zudem haben die Währungshüter zu Beginn der Erhöhungsphase immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich bei den Schritten „nur“ um eine Normalisierung von ungewöhnlich niedrigen Zinsen handelt. Durch diese Betrachtungsweise wurde das außergewöhnlich hohe Ausmaß der Zinsveränderung ein Stück weit verniedlicht. Zusätzlich könnte die üppige Liquidität zu Beginn der Zinserhöhungsphase die ohnehin verzögerte Wirkung von Zinserhöhungen auf die Nachfrage zusätzlich behindert haben.

Ist der Zinserhöhungszyklus in den USA nun zu Ende, oder muss die Fed ihren Leitzins wegen der Inflation weiter anheben?

Die Probleme im US-Bankensektor zeigen ganz klar an, dass sich die Weitergabe der bisherigen Zinserhöhungen beschleunigen wird und sich die Nachfrage in den USA abschwächen wird. Der Bedarf von dramatischen weiteren Zinsschritten ist damit gesunken. Dennoch erwarten wir noch einen weiteren Zinsschritt um 25 Basispunkte im Mai. Dies sollte dazu beitragen, dass auch die bisher recht hartnäckige Kerninflation ihren Rückzug antritt.

Die EZB hat vergangene Woche ihren Leitzins sogar um 50 Basispunkte angehoben, hält sich den weiteren Zinskurs aber offen. Sind weitere, womöglich deutliche Zinserhöhungen angezeigt, oder kann die EZB jetzt gar nicht mehr viel weiter gehen?

Die EZB hat im Vergleich zur Fed später mit den Zinserhöhungen begonnen, und von daher werden die bisherigen Schritte ihre Wirkung erst noch voll entfalten. Zudem werden die jüngsten Turbulenzen im Bankensektor die Finanzierungskosten der Kreditinstitute erhöhen. In Kombination mit einer gestiegenen Risikoaversion dürfte das die Kreditvergabe bremsen. Mit dem anhaltenden Rückgang der Inflation und dem Überschreiten des Gipfels der Kerninflation nimmt damit die Notwendigkeit für weitere Zinsschritte ab. Wir erwarten, dass die EZB nach einem letzten Zinsschritt um 25 Basispunkte im Mai den Erhöhungszyklus beendet.

Die Zentralbanken, allen voran die EZB, betonen, dass die Sicherung von Preisstabilität mittels der Zinspolitik und die Sicherung von Finanzstabilität mittels anderer Instrumente strikt getrennt seien. Ist das am Ende nicht nur Theorie?

Die Finanzmarktstabilität wird maßgeblich durch eine umfassende Regulierung und konsequente Finanzaufsicht gewährleistet. Darüber hinaus haben die Zentralbanken in ihrer Rolle als „Lender of Last Resort“ eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Liquidität. Da nach dem Erreichen der Nullzinsgrenze die Zentralbanken Liquidität als geldpolitisches Instrument genutzt haben, haben sie selbst die Trennung zwischen Preis- und Finanzmarktstabilität teilweise aufgehoben. Nun wird der zur Erreichung der Preisstabilität notwendige Abzug der Liquidität zum Problem, und die Zentralbanken sollten darauf achten, dass die daraus entstehenden Kollateralschäden die Finanzmarktstabilität nicht gefährden.

An den Finanzmärkten wird bereits auf rasche Zinssenkungen spekuliert, vor allem in den USA, aber auch andernorts. Halten Sie das für ein realistisches Szenario, oder würden die Notenbanken damit die Fehler der 1970er und 1980er Jahre wiederholen?

Im Vergleich zu anderen Zinszyklen sind die Zentralbanken nicht besonders weit ins restriktive Terrain vorgedrungen. Daher dürfte die Notwendigkeit einer schnellen Korrektur der Zinsen nach unten begrenzt sein. Solange es keinen tiefen Einbruch der Wirtschaft gibt, dürften in diesem Umfeld schnelle Zinssenkungen die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik aufs Spiel setzten. Obwohl wir sowohl in Europa als auch in den USA von moderaten Rezessionen ausgehen, erwarten wir in diesem Jahr keine Zinssenkungen. Die Fed dürfte bis ins Frühjahr 2024 mit der ersten Senkung warten und die EZB sogar bis Ende 2024. Dies spricht für eine ungewöhnlich lange Phase inverser Zinskurven.

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