Großbritannien

Der Glaube an den NHS bröckelt ab

In Großbritannien wächst die Kritik am Umgang der Gesundheitsbürokratie mit der Pandemie. Die UK Health Security Agency war nun gezwungen, falsche Angaben zur Quarantänepflicht zu korrigieren.

Der Glaube an den NHS bröckelt ab

Von Andreas Hippin, London

Die Kritik am Umgang des britischen Gesundheitswesens mit der Pandemie hat in den vergangenen Wochen zugenommen. Im Streit um die Dauer der Quarantänepflicht für vollständig geimpfte Menschen mit positivem Coronatest fühlen sich selbst Mitglieder der Regierung von Funktionären des National Health Service (NHS) in die Irre geführt.

Bislang beläuft sie sich auf mindestens sieben Tage. Sie endet, wenn Schnelltests am sechsten und siebten Tag negativ ausfallen. Die UK Health Security Agency (UKHSA) hatte bislang alle Forderungen nach einer Reduzierung auf mindestens fünf Tage wie in den USA mit der Begründung zurückgewiesen, man könne die britische nicht mit der amerikanischen Vorgehensweise vergleichen. Hauptargument war, dass die Pflicht zur Selbstisolation jenseits des Atlantiks erst mit einem positiven Testergebnis beginne. Das könne einige Tage nach dem Auftreten von Symptomen sein. Nun musste Jenny Harries, die Chefin der UKHSA, zugeben, dass die Quarantänepflicht in beiden Ländern bei Auftreten von Symptomen beginnt. Gesundheitsminister Sajid Javid wird nachgesagt, dass er die Quarantänepflicht lieber heute als morgen lockern würde. Bildungsminister Nadhim Zahawi sagte, eine Verkürzung wäre „sehr hilfreich“, um die Personalausfälle an den Schulen in den Griff zu bekommen.

Harries steht nicht das erste Mal im Rampenlicht. Hatte sie zu Beginn der Pandemie noch die Sinnhaftigkeit des Tragens von Masken in Frage gestellt, wurde ihr zuletzt vorgeworfen, die Gefährlichkeit der neuen Virusvariante Omikron übertrieben darzustellen. Vor Weihnachten hatte sie behauptet, der zeitliche Abstand zwischen Infektionen und Krankenhauseinlieferungen betrage 17 Tage, um trotz erster Hinweise auf einen milderen Verlauf der Er­krankung auf eine Verschärfung der Coronarestriktionen zu dringen. Allgemein wird dieser Abstand bei neun bis zehn Tagen verortet. Ebenfalls im Dezember kursierten apokalyptische Szenarien, in denen vor 600 bis 6 000 Omikron-Toten täglich ge­warnt wurde. Nicht immer wird so schnell wie in diesem Fall klar, was von den Verfassern solcher Studien zu halten ist. Doch unter ihrem Streben nach medialer Aufmerksamkeit leidet das Vertrauen in die Wissenschaft. Durch die britische Medienlandschaft geht beim Thema Covid ein noch tieferer Riss als in der Brexit-Debatte. Während die einen noch bis vor kurzem für schärfere Ausgangsbeschränkungen trommelten und sich nun an den diversen Partys abarbeiten, die angeblich während der Lockdowns rechtswidrig in der Downing Street stattfanden, fordern die anderen eine möglichst schnelle Rückkehr zum Status quo ante. Konservative Medien wagen es mittlerweile auch, die miserable Performance des NHS zu thematisieren, der in Großbritannien nicht erst seit der Pandemie den Status einer Zivilreligion genießt. Dazu gehört, dass rund ein Drittel der Covid-Patienten erst im Krankenhaus mit Sars-CoV-2 infiziert wurde.