Russlandbeziehung

Deutschlands ambivalente Rolle

Deutschland und Russland verbindet ein ambivalentes Verhältnis. Wirtschaftlich sind beide Länder verflochten. Politisch sind die Zeiten des Tauwetters lang vorbei. Deutschland ist auf Kurssuche.

Deutschlands ambivalente Rolle

Von Angela Wefers, Berlin

Die Signale deuteten auf leichte Entspannung, als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Russlands Präsident Wladimir Putin vor zehn Tagen vor die Presse traten. Der offizielle Antrittsbesuch in Moskau stand wegen der Krise um die Ukraine nicht im Zeichen freundlicher Gesten, sondern im gezielten Bemühen, einen Krieg zu verhindern. Nachrichten über einen Truppenabzug von der ukrainischen Grenze entpuppten sich rasch als Täuschungsmanöver. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind nun alle diplomatischen Bemühungen passé.

Die Rolle Deutschlands im Verhältnis zu Russland ist komplex. Scholz kam zu Putin nicht nur als Bundeskanzler, sondern auch als Präsident der Gruppe der führenden Industriestaaten (G7). Den Vorsitz in dem informellen Bündnis, zu dem die USA, Kanada, Japan, Frankreich, Großbritannien und Italien zählen, hat Deutschland seit Anfang 2022 für ein Jahr und setzt damit auch maßgeblich die Agenda. Die ursprünglichen Pläne, die G7 zum „Vorreiter für klimaneutrales Wirtschaften und eine gerechte Welt“ zu machen, wie Scholz es in seiner Neujahrsansprache ankündigte, rücken nun im Ukraine-Konflikt in den Hintergrund. Sie werden von viel dringlicheren Aufgaben überlagert. Die G7 einen nicht nur ihre Größe und Wirtschaftskraft, es sind Demokratie und Freiheit, für die sie in der internationalen Weltordnung eintreten. Das unterscheidet sie von den G20 mit den wirtschaftlich führenden Industrie- und Schwellenländern. Die Gruppe formierte sich nach der Finanzkrise 2008/09 als globales Koordinationsgremium. Der G20 gehören auch Länder wie Russland, China und Saudi-Arabien an, in denen Demokratie ein Fremdwort ist. Die als Wirtschaftsclub gegründete G7 verkörpert heute besonders die Werte der westlichen Welt. In einer gemeinsamen und glasklaren Erklärung verurteilten die Staaten am Nachmittag die „breit angelegte militärische Aggression“ Russlands gegen die Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine.

Sicherheit ausgeblendet

Das bilaterale Verhältnis Deutschlands zu Russland ist ambivalent. Lang hatte Deutschland so getan, als ließen sich wirtschaftliche von geopolitischen und sicherheitsstrategischen Interessen trennen. Die Ostseepipeline Nord Stream 2 ist ein Beispiel dafür. Noch die schwarz-rote Bundesregierung zog sich – gegen den Widerstand aus den USA und seiner europäischen Partner – auf den naiven Standpunkt zurück, es handele sich nur um ein Projekt privatwirtschaftlicher Unternehmen. Auch Scholz hielt noch eine Zeit lang an dieser Version fest, bevor er die Betriebsgenehmigung für Nord Stream 2 nun auf Eis gelegt hat.

Die westlichen Partner monieren die noch stärkere Abhängigkeit bei der Energieversorgung, in die sich Deutschland gegenüber Russland durch die Gaslieferungen via Nord Stream 2 begeben würden. Schon heute deckt Deutschland seinen großen Bedarf bei Öl (35%), Gas (55%) und Kohle (50%) zu viel höheren Quoten als andere westliche Länder günstig aus russischen Quellen. Auch umgekehrt ist die wirtschaftliche Abhängigkeit groß. „Ich habe mehr als einmal gesagt, dass Deutschland zu den wichtigsten Partnern Russlands gehört“, ließ sich Putin nach dem Treffen mit Scholz in Moskau vernehmen.

Deutschland rangiert nach China unter den Außenhandelspartnern Russlands an zweiter Stelle. 2021 stieg der bilaterale Handel um 36% auf knapp 47 Mrd. Dollar, rechnete Putin vor. Die deutschen Investitionen in die russische Wirtschaft liegen demnach bei mehr als 21 Mrd. Dollar, umgekehrt bei 10 Mrd. Dollar. Rund 4000 Firmen mit deutschem Kapital gebe es in Russland. Deutschland als große Exportnation hat es aber bislang versäumt, einen klaren Kurs zum Umgang mit Autokratien im Außenhandel zu schaffen. Der Industrieverband BDI hatte in einer Studie vor der Bundestagswahl konstatiert, dass das Konzept „Wandel durch Handel“ nicht aufgegangen sei, und forderte verlässliche Leitlinien.

Historische Schuld

Speziell mit Russland verbindet Deutschland auch politisch ein ambivalentes Verhältnis. Spätestens seit der völkerrechtswidrigen Annektierung der Krim durch Russland 2014 und der Verhängung von EU-Sanktionen herrschte Eiszeit. Der Gipfel in Sotschi 2017 von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Putin war schon ein Erfolg, weil überhaupt wieder gesprochen wurde. Historisch steht Deutschland durch den Krieg gegen Russland bis 1945 in dessen Schuld und verdankt auch Moskau die Deutsche Einheit. Die Ostpolitik Willi Brandts in den 1970er Jahren hatte ebenso zu einer Annäherung geführt, wie die Schritte von Gerhard Schröder 1998, die G7 zu den G8 zu erweitern und Russland auf die Weltbühne zu heben. Es gab viele Jahre einen institutionalisierten Austausch mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und dem Petersburger Dialog. Zugleich beobachtet heute der Verfassungsschutz russische Cyberangriffe und die Infiltration Russlands von Medien hierzulande.