Die türkische Wirtschaft steht vor dem Kollaps

Zur Währungskrise kommt eine diplomatische Krise mit den USA - Regierung will "Wachstumsimpulse" setzen

Die türkische Wirtschaft steht vor dem Kollaps

15 Prozent Inflation, eine Währung, die immer mehr an Wert verliert, ein verschuldeter Unternehmenssektor. Die wirtschaftliche Lage in der Türkei ist so schlecht wie seit Jahren nicht. Nun droht US-Präsident Donald Trump dem Land auch noch mit “weitreichenden Sanktionen”. Wie lange kann das noch gut gehen?Von Julia Wacket, FrankfurtDie Inflation hat den Alltag vieler Türken fest im Griff. Fast alles ist teurer geworden, ob beim Einkaufen, an der Tankstelle oder bei den Mieten. Während die Europäer aufgrund der schwachen Lira zum Sommerurlaub in die Türkei strömen, können sich viele Türken einen Urlaub kaum noch leisten. Der Unmut der Menschen über die Regierung wächst. Dabei hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan nach seiner Vereidigung vor einem Monat noch versprochen, die Türkei werde schon bald “eine der zehn größten Wirtschaftsmächte der Welt” sein. Erdogan will eine Rezession mit aller Kraft vermeiden. Er weiß, wie schnell das Pendel umschlagen kann. Es war nicht zuletzt die schwere Finanzkrise von 2001, die ihm 2003 zur Macht verhalf. Höhere Zinsen sind für den 64-Jährigen in der aktuellen Krise jedoch keine Option, um die Inflation einzudämmen. Dies konnte man erst vergangene Woche beobachten, als die Zentralbank sich dagegen entschied, die Zinsen anzuheben, und den Leitzins bei 17,75 % beließ. Es war das erste geldpolitische Treffen, seit Erdogan, ein selbst ernannter Feind hoher Zinsen, seinen Schwiegersohn Berat Albayrak zu seinem Finanzminister ernannt hatte und per Dekret veranlasst hatte, dass er den Chef und Vize-Chef der Zentralbank künftig alleine bestimmt (vgl. BZ vom 11. Juli). Die Hoffnung, dass Ankara nach dem Wahlsieg Erdogans zu einer orthodoxeren Geldpolitik zurückkehren würde und die Zentralbank unabhängig bleiben würde, scheint mit der jüngsten Notenbankentscheidung zunichtegemacht. Lira verliert an WertZudem warnen Experten, dass der Verfall der Währung – seit Jahresbeginn hat die Lira zum Dollar mehr als ein Fünftel an Wert verloren – die Inflation nur noch mehr anheizen, den Unternehmenssektor mit Schulden in Höhe von fast 300 Mrd. US-Dollar unter Druck setzen und wichtiges ausländisches Kapital abschrecken könnte. Viele Unternehmen können wegen der schwachen Lira ihre Fremdwährungskredite schon nicht mehr bedienen. Auch die höheren Kosten für Energieimporte belasten die Bilanzen. Große türkische Unternehmen wie Dogus oder Ülker mussten bereits ihre Schulden umstrukturieren oder sind noch dabei. Dies alles besorgt auch ausländischer Gläubiger und Banken, die ihr Kapital abziehen könnten. Das würde die Währung noch mehr unter Druck setzen. Dabei benötigt die Türkei die vielen ausländischen Kapitalzuflüsse, um das hohe Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren. Das Land wäre in einem Teufelskreis gefangen. Schlimmstenfalls könnte aus einer Schuldenkrise schnell eine Bankenkrise werden.Wie also will Erdogan die Wirtschaft wieder auf Kurs bringen? Wie die Nachrichtenagentur Reuters meldete, erwägt die Regierung weitere “Wachstumsimpulse” für die Wirtschaft. Die Türkei könnte ihre Haushaltsdisziplin also noch weiter lockern. Aber auch das sehen die Experten skeptisch. Bereits in den vergangenen Jahren hat der Staat massiv in die eigene Wirtschaft investiert – vor allem durch öffentliche Investitionen im Infrastrukturbereich. Dadurch ist die Türkei zwar im ersten Quartal um 7,4 % gewachsen und damit stärker als die chinesische oder indische Wirtschaft. Das türkische Wachstum ist jedoch viel zu einseitig auf den Konsum und den Bausektor ausgerichtet. Reformen, um das Wirtschaftsmodell breiter aufzustellen, etwa indem man das Bildungssystem reformiert, werden nicht angegangen. Schwieriges VerhältnisZudem ist das Verhältnis der Türkei zu den wichtigen Partnern USA und EU schwer belastet. Statt im Konflikt um den in der Türkei festgehaltenen US-Pastor Andrew Brunson auf die USA zuzugehen, drohte Erdogan am Wochenende mit dem Ende der Partnerschaft beider Länder. Sein Land werde vor Sanktionsdrohungen der USA nicht zurückweichen. US-Vizepräsident Mike Pence hatte die Sanktionsdrohungen am Sonntag unterdessen erneuert. Brunson war im Dezember 2016 im westtürkischen Izmir wegen Terrorvorwürfen inhaftiert worden und sitzt seitdem in der Türkei fest. Beide Länder sind wichtige Nato-Verbündete. Eskaliert der Streit weiter, könnte die Türkei allerdings verstärkt die Nähe zu Russland suchen. Zu einem Syrien-Gipfel am 7. September in Istanbul hatte Erdogan gestern Spitzenvertreter aus Russland, Frankreich und Deutschland eingeladen – nicht aber aus den USA. Vertrauen verspieltMit seinem harten Kurs verspielt Erdogan somit nicht nur das Vertrauen der Märkte und Ratingagenturen, sondern auch seiner Bündnispartner. Dabei haben das chronisch hohe Leistungsbilanzdefizit, die steigende Auslandsverschuldung und der Glaubwürdigkeitsverlust der Geldpolitik bereits dazu geführt, dass die drei großen Ratingagenturen die Türkei in den vergangenen Jahren herabgestuft hatten. Mitte Juli stufte die Ratingagentur Fitch die Türkei auf “BB” mit Ausblick negativ herab. Es wird also höchste Zeit, dass Erdogans Schwiegersohn Albayrak seine Versprechungen von Haushaltsdisziplin, Strukturreformen, einer unabhängigen Zentralbank und Maßnahmen gegen die Inflation in die Tat umsetzt. Sonst droht sich die Finanzkrise von 2001 zu wiederholen – und diesmal wird es Erdogan sein, der den Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfe bitten muss.