Türkei

Erdogan bestellt, die Notenbank liefert

Die Wahlen in der Türkei rücken näher, und die Notenbank erweist sich einmal mehr als Erfüllungsgehilfe von Staatspräsident Erdogan. Die Kritik wächst – nicht nur wegen der rasanten Inflation.

Erdogan bestellt, die Notenbank liefert

rec Frankfurt

In der Türkei hat Recep Tayyip Erdogan die Notenbank fester denn je im Griff. Auf Geheiß des Staatspräsidenten hat die türkische Zentralbank den Leitzins zum dritten Mal nacheinander abgesenkt – und das trotz horrender Inflationsraten jenseits von 80%. Die Zinssenkung fällt mit 1,5 Prozentpunkten noch etwas stärker aus als im August und September und drückt den Leitzins auf 10,5%.

Ein knappes Dreivierteljahr vor den für Juni 2023 anberaumten Wahlen in der Türkei setzt Erdogan seinen umstrittenen Kurs in der Wirtschafts- und Währungspolitik unbeirrt fort. Dafür hat er erfolgreich die mit Gefolgsleuten gespickte Zentralbank eingespannt. Von niedrigeren Kreditzinsen verspricht Erdogan sich anhaltendes Wachstum, das ihn zum Wahlsieg tragen soll. Allerdings trübt sich die Konjunktur teils ein, während die Inflation immer weiter steigt und die Landeswährung abwertet.

Das bis zur Jahresmitte solide Wachstum hat sich seitdem abgeschwächt. Die Industrie produziert weniger, weil sie unter hohen Energiepreisen ächzt und die Nachfrage aus Europa nachlässt. Unter Umständen droht im Winter eine technische Rezession. Über Wasser halten die Konjunktur einstweilen stark steigende Umsätze im Tourismus und ein robuster Konsum, weil die Kreditzinsen deutlich niedriger sind als die Inflation. Die Regierung puffert die immensen Kaufkraftverluste für die Bevölkerung ab, indem sie Energiekosten subventioniert und den Mindestlohn sprunghaft erhöht. Deshalb zücken Kunden ungeachtet stark steigender Preise nach wie vor gerne ihre Kreditkarte. Der Einzelhandel profitiert.

Ökonomen sehen diesen Kurs allerdings kritisch. Ein Grund: Das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale tritt zutage. Satte Lohnerhöhungen heizen die Verbraucherpreise weiter an. Die Inflationsrate steuert laut amtlichen Angaben auf die 90-Prozent-Marke zu. Kritiker und die Opposition halten diese noch für geschönt. Nächstes Jahr dürfte die Inflation zwar etwas sinken, aber groben Schätzungen von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Bankökonomen zufolge im Jahresschnitt um die 50% erreichen. Längst machen Spekulationen die Runde, dass Erdogan die Wähler vor dem Urnengang mit einer weiteren satten Mindestlohnerhöhung gnädig stimmen will.

Ein weiteres Problem: In der Leistungsbilanz des Landes klafft nach vorübergehender Besserung seit etwa einem Jahr wieder ein Loch, das Monat für Monat wächst (siehe Grafik). Ursache sind die hohen Energiepreise. Die Türkei ist auf die Einfuhr von Energieträgern wie Öl und Gas angewiesen, die sich drastisch verteuert haben. Der hohe Wertverlust der Lira kommt erschwerend hinzu: Je tiefer die Landeswährung fällt, desto kostspieliger kommt die importierte Energie Unternehmen und den Staat zu stehen. Die hohen Deviseneinnahmen aus dem boomenden Tourismusgeschäft können die Fehlbeträge nicht kompensieren: In Summe zeichnet sich für das laufende Jahr ein Leistungsbilanzdefizit im mittleren zweistelligen Milliardenbereich ab, schätzungsweise 7% der Wirtschaftsleistung.

Weitere Zinssenkung voraus

Beobachter rechnen damit, dass die Notenbank deswegen wieder zu den Devisenreserven greifen muss. Die zapft sie allerdings seit Monaten umfangreich an, um die taumelnde Lira zu stützen. Nach Auffassung von Analysten riskiert Erdogan, dass die Währungskrise abermals aufflammt.

Diese Aussicht hat die Zentralbank nicht abgehalten, ein weiteres Mal die Zinsen zu senken und einen vierten Schritt für November anzukündigen. Denn das Kreditwachstum lahmt, was Erdogans Wachstumsgeschichte zu schaden droht. Der Staatspräsident dürfte somit schon bald seinen erklärten Wunsch erfüllt bekommen, dass der Leitzins bis Jahresende einstellig wird. Vor einigen Tagen sagte Erdogan laut der Nachrichtenagentur Reuters vor Anhängern: Solange er im Amt sei, „werden die Zinsen mit jedem Tag, jeder Woche, jedem Monat fallen“.