Tarifverhandlungen

Heiße Phase eingeläutet

Nach der Zurückhaltung der Coronajahre und angesichts der hohen Inflation steigen die Lohnforderungen der Gewerkschaften. Die Arbeitgeber mahnen in der heißen Phase zur Umsicht – und warnen vor einer Lohn-Preis-Spirale.

Heiße Phase eingeläutet

Von Anna Steiner, Frankfurt

Nach der Zurückhaltung in den Tarifrunden während der beiden von der Coronakrise geprägten Jahre fordert die IG Metall nun 8% mehr Lohn und Gehalt für die fast vier Millionen Beschäftigten der Branche. Auch die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angeregte steuerfreie Einmalzahlung von bis zu 3000 Euro durch Arbeitgeber könnte noch in die Tarifverhandlungen von Deutschlands größter Einzelgewerkschaft mit einfließen. Die Arbeitgeber halten die Forderung nach 8% für überzogen und „weltfremd“. Sie warnen nicht nur vor einer Überlastung der Betriebe, sondern auch vor einer Lohn-Preis-Spirale. Diese Sorge treibt inzwischen auch die Bundesregierung um, dabei sind die Anzeichen dafür gering.

Keine Zeit für Bescheidenheit

„Die vergangenen Tarifabschlüsse waren ein Zeichen von Verantwortung und Solidarität von uns und den Beschäftigten“, betonte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann jüngst. „Jetzt, wo die Belastungen immer weiter steigen, im Supermarkt, an der Zapfsäule, in der Kneipe, sollen die Kolleginnen und Kollegen den Kopf einziehen und sich in Bescheidenheit üben?“ Nach vier Jahren ohne Tabellenerhöhung sei nicht die Zeit für Zurückhaltung, so Hofmann. Damit spielte er auf ein Interview an, in dem der Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf Ende August in der „Welt am Sonntag“ eine Nullrunde für die Arbeitnehmer gefordert hatte. Wenn Deutschland im Herbst in eine Gasmangellage gerate, fiele das genau in die Tarifrunde, argumentierte Wolf. Dann werde es nicht möglich sein, die Firmen der Metall- und Elektroindustrie mit Lohnerhöhungen weiter zu belasten. Einen Teil der hohen Inflation müssten die Mitarbeiter selbst tragen, das könnten nicht alles die Unternehmen stemmen.

Den Arbeitgebern geht es darum, die Unternehmen sicher durch die Gaskrise zu führen, die gerade in der energieintensiven Metallindustrie ein riesiges Problem zu werden droht. Dafür weisen sie auch darauf hin, dass die explodierenden Kosten – für Energie und Löhne – dann zu Insolvenzen und Arbeitsplatzverlusten führen könnten. In Zeiten des massiven Arbeitskräftemangels dürfte das für die meisten Beschäftigten jedoch kaum eine Sorge sein.

Aber auch an den Solidaritätsgedanken der Beschäftigten appelliert der Gesamtmetall-Chef. Gesamtwirtschaftlich könnten überzogene Lohnforderungen Folgen haben, warnte Wolf. „Drohende Preisexplosionen sind ein zweites Argument gegen höhere Löhne.“ Wolf meint eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale, in der die hohe Inflation höhere Löhne nach sich zieht und diese wiederum von den Unternehmen auf die Preise aufgeschlagen werden, was die Teuerungsrate noch weiter nach oben treibt.

Moderate Lohnentwicklung

Die meisten Ökonomen äußern sich inzwischen optimistisch: Eine Lohn-Preis-Spirale ist nicht in Sicht. Die aktuelle Lohnentwicklung – im Durchschnitt werden die Nominallöhne im laufenden Jahr wohl um 4,5% steigen – präsentiert sich nicht gerade als Inflationstreiber. Real steht den Arbeitnehmern bei einer Inflation um die 8% (oder mehr) nach 2021 das zweite Jahr in Folge ein Lohnminus ins Haus. Das senkt ihre Kaufkraft und die Nachfrage und damit – zumindest theoretisch – auch die Preise.

Zudem sind längst nicht alle Beschäftigten in Tarifverträgen organisiert. Die Gewerkschaften haben daher nur einen begrenzten Einfluss auf die allgemeine Lohnentwicklung in Deutschland. Einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge ist die Tarifbindung in Deutschland rückläufig. Im Jahr 2020 arbeiteten nur noch 43% der Beschäftigten in Betrieben mit einem Branchentarifvertrag.

Zudem zeigt ein Blick in die Geschichte, dass zwischen Forderung und Tarifabschluss zumeist eine Lücke klafft, die im Fall der IG Metall im Durchschnitt etwa 40% beträgt. Das heißt, in den meisten Verhandlungen konnte die Gewerkschaft eine Erhöhung von 60% ihrer Forderung durchsetzen. Das entspräche einer Lohnsteigerung von 4,8% in der aktuellen Tarifrunde – und läge unterhalb der Abschlüsse, die andere Gewerkschaften bereits früher im Jahr erzielt haben.

„Ich finde, die Gewerkschaften verhalten sich derzeit in den meisten Fällen verantwortungsvoll“, sagt auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, Marcel Fratzscher (siehe Interview auf dieser Seite). Lediglich bei den Piloten der Vereinigung Cockpit, die jüngst nach Streiks eine für manche Gehaltsgruppen gut zweistellige prozentuale Lohnsteigerung erstritten, stelle er das in Frage.

Die erste Verhandlungsrunde der IG Metall, etwa in Bayern, verlief in „konstruktiver Atmosphäre“, eine Annäherung ist aber noch nicht in Sicht. Die Arbeitgeber bezeichneten die Forderung als nicht erfüllbar: „8% sind nicht annehmbar, sind nicht realitätsnah.“ Die Verhandlungen sollen am 6. Oktober fortgesetzt werden. Auch in Nordrhein-Westfalen ging die erste Runde am Freitag ohne Ergebnisse zu Ende. IG-Metall-Bezirksleiter Knut Giesler sagte, auch die steuerfreie Einmalzahlung könne mit einfließen: „Man muss am Ende bei der Lösung kreativ denken.“ Diese müsse jedoch „ein nachhaltiges Element im Portemonnaie“ haben, so Giesler. Ein zweiter Termin ist für Ende September angesetzt. Die IG Metall schloss vor Beginn der Verhandlungen einen Arbeitskampf nicht aus.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.