Geldpolitik

Neues EZB-Instrument ist unklar, unnötig, gefährlich

Mit der geplanten Einführung eines Antifragmentierungsinstruments öffnet die EZB ohne Not die Büchse der Pandora, argumentiert Moritz Kraemer, Chefvolkswirt und Leiter Research der Landesbank LBBW.

Neues EZB-Instrument ist unklar, unnötig, gefährlich

Mit ihrer geldpolitischen Kehrtwende hat die Europäische Zentralbank (EZB) auf ihrer Junisitzung gerade einmal die minimalen Erwartungen erfüllt: Das Auslaufen der Nettozukäufe von Staatsanleihen sowie eine kleinstmögliche Zinserhöhung Ende Juli. Ein Durchmarsch der Falken sieht anders aus.

Dabei übersah der eine oder andere Beobachter möglicherweise, welch explosive Neuerung der Zentralbankrat zugleich präsentierte: Die geldpolitischen Tauben konnten offenbar erfolgreich einen hohen Preis einfordern. In der Pressekonferenz diskutierte EZB-Chefin Christine Lagarde die Einführung eines weiteren geldpolitischen Instrumentes, welches es der EZB erlauben würde, gezielt die Staatsanleihen eines Mitgliedslandes zu erwerben. Dies soll genau dann möglich sein, wenn die EZB glaubt, dass die sich im Markt bildenden Risikoaufschläge eine unerwünschte finanzielle Fragmentierung der Eurozone darstellen.

Mit dem neuen Instrument zur Deckelung der Spreads wurde ohne Not die Büchse der Pandora einen großen Spalt breit geöffnet. Geld- und Fiskalpolitik würden bei der Implementierung künftig kaum mehr entwirrbar sein. Die Einführung eines Spreadinstruments stellt einen beherzten Schritt dar – aber leider in die komplett falsche Richtung. Der Plan ist unklar, gefährlich und unnötig.

Er ist unklar, denn die konkrete Ausgestaltung des Instruments bleibt schemenhaft. Wie üblich in solchen Fällen liegt der Teufel im Detail. Die offensichtliche Frage nach klaren Kriterien, wann das angedachte neue Werkzeug zum Einsatz kommen soll, bleibt unbeantwortet. Ab welchem Risikoaufschlag wäre ein Eingreifen der EZB notwendig? Ist etwa ein Risikoaufschlag italienischer über deutschen Staatsanleihen von 3% „zu hoch“? Oder 2,5%? Wer bietet weniger? Und macht es einen Unterschied, ob selbst bei einer Spreadausweitung die von Rom zu zahlenden realen Zinsen noch tief negativ sind, so wie derzeit? Wie werden die Spreads, ab denen eine Fragmentierung festgestellt wird, im Zeitablauf angepasst? Und gelten für das Instrument die gleichen Regeln für alle, oder hängen die „erlaubten“ Spreads vielmehr von der Kreditwürdigkeit der Mitgliedsländer ab?

Würde das dann dazu führen, dass gewinnorientierte amerikanische Agenturen die europäische Geldpolitik noch stärker mitbestimmen? Und greift die EZB auch dann stützend ein, wenn die Ausweitung der Risikoprämien selbstverschuldet ist, wie etwa nach den italienischen Parlamentswahlen 2018, als ein Koalitionschaos die Anleger verschreckte? Und wer soll wie entscheiden, ob Regierungen ein unschuldiges Opfer der Investoren oder ihrer Fehlentscheidungen geworden sind? Auf all diese Fragen muss es bereits vor der Einführung Antworten geben!

Die Geister, die ich rief

Das diskutierte Spreadinstrument ist gleich aus drei Gründen gefährlich. Erstens verkümmern die Anreize für wirtschaftspolitische Reformen. Weshalb sollte z.B. Rom unpopuläre Maßnahmen zur Erhöhung des Wachstumspotenzials und nachhaltigen Staatsfinanzen umsetzen, wenn die EZB eine Versicherung ausstellt, die eine untätige Regierung vor negativen Reaktionen durch die Kapitalmärkte beschützt? Zweitens besteht die akute Gefahr, dass ein Verfassungsgericht, sei es in Karlsruhe oder Luxemburg, das Spreadinstrument als unerlaubte direkte Staatsfinanzierung einstufen wird. Mit einem solchen Schiedsspruch würde die Glaubwürdigkeit der EZB massiv beschädigt. Und er dürfte Anleger zum Abverkauf von Peripherieanleihen ermuntern. Drittens ist ein solches Instrument Wasser auf die Mühlen der antieuropäischen Populisten in Kerneuropa. Exitfantasien könnten dort salonfähiger werden. Das kann die EZB nicht wollen.

Unnötig ist ein neues Spreadinstrument, weil der Werkzeugkasten der EZB bereits prall gefüllt ist. Mit den Outright Monetary Transactions (OMT) verfügt die EZB bereits über ein bislang zwar noch ungenutztes, dafür verfassungsrechtlich validiertes Werkzeug, mit dem sie Staatsanleihen einzelner Mitgliedsländer gezielt aufkaufen kann. Allerdings geht damit eine Konditionalität hinsichtlich der Wirtschaftspolitik derjenigen Länder einher, die in den Genuss von OMT kommen wollen. Das wurde bei der Einführung von OMT 2012 durch den damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi als angemessenes Quidproquo empfunden. Es ist nicht ohne Ironie, dass heute insbesondere aus dem von einem Premierminister Draghi geführten Italien Kritik an der vereinbarten Konditionalität geübt wird.

Auch wenn ein Spreadinstrument kontraproduktiv ist, so dürfte es doch schwer sein, die jetzt geweckten Erwartungen wieder einzudämmen. Damit liefe die EZB Gefahr, genau jene Staatsschuldenkrise zu provozieren, die das neue Instrument eigentlich zu verhindern sucht.

„Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los!“, dichtete der berühmteste Sohn derjenigen Stadt, in dem EZB ihren Sitz hat. Dass ein Hexenmeister Lagarde zu Hilfe eilen wird, wie dem Zauberlehrling in Goethes gleichnamigem Gedicht, erscheint aber doch zu märchenhaft. Mit der umherschwappenden Flut der Erwartungen auf einen EZB-Put wird sie allein zurechtkommen müssen.