Bundesverfassungsgerichtsentscheidung

Ökonomen zielen auf Reform der Schuldenbremse

Das Verbot aus Karlsruhe, rückwirkend an der Schuldenbremse vorbei den Kreditspielraum zu erweitern, lässt Ökonomen Reformbedarf anmahnen. Verschiedene Ideen gibt es dazu.

Ökonomen zielen auf Reform der Schuldenbremse

Ökonomen zielen auf Reform der Schuldenbremse

Aufatmen nach dem Ende der Haushaltstrickserei – Verschiedene Ideen zur Ausweitung des staatlichen Kreditspielraums

wf Berlin

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat bei Ökonomen eine Debatte über die Reform der Schuldenbremse ausgelöst. Der Präsident des Wirtschaftsforschungsinstitutes DIW, Marcel Fratzscher, hält dies für dringend nötig. "Die Schuldenbremse ist nicht mehr zeitgemäß, weil sie der Politik notwendigen Spielraum nimmt, um Krisen zu bekämpfen und Zukunftsinvestitionen zu tätigen", erklärte Fratzscher. Die politischen Versuche, die Schuldenbremse seit zwölf Jahren zu umgehen, habe absurde Züge angenommen. Für ZEW-Ökonom Friederich Heinemann steht die Ampel-Koalition haushaltspolitisch vor einem "selbst verschuldeten Scherbenhaufen". Die Flucht aus den Kernhaushalten im Bund und in den Ländern sei eine Fehlentwicklung. Sie erschwere die demokratische Kontrolle der Haushalte. Eine Reform der Schuldenbremse mit neuen, klar umrissenen Verschuldungsfenstern hält er für den besseren Weg als "das ständige Austesten der verfassungsrechtlichen Grauzone" der Schuldenbremse.

Heinemann nimmt auch die CDU/CSU in die Pflicht, die gegen die Ampel nach Karlsruhe gezogen war. In Nordrhein-Westfalen und Berlin habe die Union – genauso wie die SPD-Regierung in Saarbrücken – auch über Sondervermögen den Kreditspielraum erweitert. Dort habe sich nur noch kein Kläger gefunden. "Es wird Zeit, dass die deutsche Finanzpolitik auf allen Ebenen wieder die Verfassung respektiert", mahnte Heinemann an.

Das IW Köln begrüßte das Ende der "Taschenspielertricks" im Bundeshaushalt, hält nach dem Urteil aber auch eine Reform der Schuldenbremse für nötig. "Die Schuldenbremse ist aus der Zeit gefallen", erklärte das IW. Die Transformation zur Klimaneutralität erfordere andere Lösungen – aus Gründen von Effizienz und Generationengerechtigkeit. Das IW regt an, die Schuldenbremse von aktuell 0,35% struktureller Verschuldung zum Bruttoinlandsprodukt anzuheben. Auch bei 1,5% würden die Bundesschulden jedes Jahr deutlich sinken.

Mehr Kreditspielraum

Nach IW-Berechnungen würde damit allein im kommenden Jahr ein Kreditspielraum von rund 50 Mrd. Euro eröffnet, ohne die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen zu gefährden. Auch eine Investitionsklausel mit Ausnahmen für bestimmte Ausgaben sei denkbar. Für überlegenswert hält es das IW, das Zinsniveau zu berücksichtigen. Bei steigenden Zinsen müsse das Kreditpotenzial zurückgefahren werden – und umgekehrt. Unmittelbare Probleme für den Klima- und Transformationsfonds befürchtet Fratzscher nicht. Es sei noch genügend Geld vorhanden. Die Bundesregierung müsse aber mindestens für ein weiteres Jahr die Schuldenbremse aussetzen, um versprochene Maßnahmen zu finanzieren. Eine Investitionsoffensive – in Bildung, Klimaschutz, Innovation und Infrastruktur – sei jetzt dringender denn je. Für das IW kommt das Urteil wachstumspolitisch wegen des Investitionsstaus zur Unzeit. Der Umbau der Volkswirtschaft werde scheitern, wenn die Politik um jeden Euro für Schienen, Straßen oder Energienetze feilschen müsse. Heinemann hält den Zeitpunkt des Urteils kurz vor dem Ende der Haushaltsverhandlungen indessen für gut. Die Koalition denke über neue Subventionen für die Gastronomie nach. Sie müsse aber überlegen, wie sie ihre ambitionierte Klimapolitik noch finanzieren könne.

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