Geldpolitik

Rege Diskussionen über EZB-Bilanz

Während die Zinswende in vollem Gange ist, gerät die aufgeblähte Bilanz der EZB in den Fokus. Zugleich steigt der Druck, unbeabsichtigte Milliardengewinne der Banken durch die Zinswende zu begrenzen.

Rege Diskussionen über EZB-Bilanz

rec/lz Frankfurt

– In der Europäischen Zentralbank (EZB) nehmen Diskussionen über einen Abbau der aufgeblähten Notenbankbilanz Schwung auf. Mitglieder des EZB-Rats debattieren über den passenden Startpunkt, um den Billionen-Bestand an Anleihen abzuschmelzen. Gleichzeitig wägen Notenbanker und Beobachter Möglichkeiten, Zinsgewinne der Banken aus besonders vorteilhaften Refinanzierungsgeschäften mit der EZB zu verringern.

Während die Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) in vollem Gange ist, gerät zunehmend die auf knapp 9 Bill. Euro angeschwollene Bilanz der EZB in den Fokus (siehe Grafik). Allein der Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen in den Jahren von Niedrigzinsen und Coronakrise summiert sich auf fast 5 Bill. Euro. Zwar kommen netto keine neuen Anleihen hinzu. Frei werdende Mittel aus fälligen Anleihen lässt der EZB-Rat aber auf unbestimmte Zeit reinvestieren.

Angesichts inzwischen zweistelliger Inflationsraten in manchen Euro-Staaten, darunter Deutschland, und auch in der Eurozone insgesamt wächst die Kritik an dieser Praxis. In zwei Wochen wird der EZB-Rat die Leitzinsen weiter anheben – womöglich ein weiteres Mal um gleich 75 Basispunkte. Auch der Abbau der EZB-Bilanz dürfte bei den Beratungen eine wichtige Rolle spielen. Bei einer informellen Sitzung am 6. Oktober in Zypern hat der EZB-Rat die sogenannte quantitative Straffung (Quantitative Tightening, QT) adressiert. Das hat Luxemburgs Notenbankchef Gaston Reinesch in einem Blogeintrag verraten. Tempo und Zeitplan des Bilanzabbaus würden „zu gegebener Zeit“ bestimmt.

Etliche Notenbanker haben sich in der abgelaufenen Woche für die Verhandlungen in Position gebracht. Bundesbankpräsident Joachim Nagel sprach sich am Rande der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank dafür aus, mit dem Abbau der Anleihebestände 2023 zu beginnen. Agenturberichten zufolge wollen einige Verfechter einer eher straffen Geldpolitik, die Falken, bereits Anfang 2023 damit beginnen. Andere hätten das zweite Quartal 2023 ins Spiel gebracht, hieß es unter Verweis auf Insider. Vereinzelt zeigen sich auch Vertreter einer eher lockeren Geldpolitik, die Tauben, grundsätzlich offen dafür, 2023 den Bilanzabbau zu beginnen.

Laut derzeitiger Maßgabe wollen die Währungshüter die Reinvestitionen so lange fortsetzen wie nötig, um reichliche Liquidität zu gewährleisten und „einen angemessenen geldpolitischen Kurs“ aufrechtzuerhalten. Diese Formulierung könnte der EZB-Rat bei seiner Sitzung Ende Oktober anpassen, hieß es unter Berufung auf Insider. Möglicherweise im Dezember, wahrscheinlicher noch im Februar könne dann ein detaillierter Plan vorgelegt werden. Wie intensiv sich die Fachleute innerhalb der EZB mit dem Thema beschäftigen, zeigt auch eine Rede von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane in New York. Darin mutmaßt Lane über mögliche Auswirkungen eines Entzugs von Liquidität im Finanzsystem.

Ran an die TLTRO-Regeln

Als mindestens ebenso dringlich gilt eine Reform der Regeln für spezielle EZB-Kredite an den Bankensektor. In der Coronakrise hatte die EZB unter dem Kürzel TLTRO besonders vorteilhafte Refinanzierungsgeschäfte aufgelegt, um den Kreditfluss an Unternehmen aufrechtzuerhalten. Wegen der steigenden Leitzinsen streichen die Banken nun allerdings satte Zinsgewinne für das bei der EZB geparkte Geld ein, solange die TLTRO-Regeln Bestand haben.

Nach Berechnungen der britischen Bank Morgan Stanley summieren sich die risikolosen Extragewinne bereits auf über 27 Mrd. Euro. Jeden Tag werden es mehr. „Ein Transfer großer Mengen an Zentralgewinnen zu den Banken ist geldpolitisch nicht geboten. Die EZB muss handeln“, fordert Morgan-Stanley-Ökonom Jens Eisenschmidt. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge signalisieren Insider zum 27. Oktober Änderungen. Laut Eisenschmidt hat die EZB mehrere Optionen, die Banken zur Kasse zu bitten. Klar sei jedenfalls: „Je länger die EZB wartet, desto größer wird der Transfer an die Banken, desto schwieriger eine Lösung.“

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