Italien

Schwierige Zeiten für Europa

Italien wählt am Sonntag ein neues Parlament. An einem klaren Sieg der Rechtskoalition unter der Führung von Giorgia Meloni gibt es kaum Zweifel. Trotz deren Bekenntnissen zur EU und zur Nato müssen sich die europäischen Partner auf deutlich schwierigere Beziehungen zum Belpaese einstellen.

Schwierige Zeiten für Europa

Von Gerhard Bläske, Mailand

Dass die Rechtsparteien unter Führung der postfaschistischen Fratelli d’Italia nach den Parlamentswahlen am Sonntag die neue italienische Regierung bilden werden, ist so gut wie sicher. Offen ist, ob sie in Senat und Abgeordnetenhaus sogar eine Zweidrittelmehrheit erhalten. Damit wären Verfassungsänderungen, vor allem aber die von Fratelli d’Italia-Chefin Giorgia Meloni angepeilte Umwandlung in ein Präsidentialregime nach französischem Vorbild mit einer sehr starken Position des Präsidenten möglich.

Den Rechtsparteien würden für eine solche Mehrheit vermutlich weniger als 50 % der Stimmen genügen. Denn das Wahlsystem – eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahl – begünstigt Allianzen. Aber während die Rechte ein Bündnis aus Fratelli d’Italia, Lega (Matteo Salvini) und Forza Italia (Silvio Berlusconi) gebildet hat, sind die Mitte-Links-Parteien zerstritten. Sozialdemokraten (mit Grünen und einer kleinen Splitterpartei), 5 Sterne und die Mitte-Links-Gruppierung Azione (Matteo Renzi und Carlo Calenda) treten getrennt an.

Hundert Jahre nach Mussolinis Marsch auf Rom steht Italien sicher nicht vor einer Rückkehr zum Faschismus. Dennoch sind Märkte und Partner beunruhigt. Dabei tut Wahlfavoritin Meloni, die laut Umfragen mit etwa 25 % für ihre Partei rechnen kann, alles, um deren Bedenken zu zerstreuen. Anders als früher bekennt sie sich nun zu Europa und zur Nato und unterstützt die Ukraine im Krieg gegen Russland. Anders als ihre Bündnispartner, die großzügige Vorruhestandsregelungen, Steuersenkungen und, wie Salvini, einen schuldenfinanzierten Nachtragshaushalt fordern, erhebt sie eher moderate Forderungen – etwa mehr Geld für Familien.

Meloni weiß, dass das mit 150 % des Bruttoinlandsprodukts verschuldete Land wenig Handlungsspielraum hat und unter Beobachtung steht. Der Spread zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen ist mit derzeit knapp unter 230 Basispunkten für zehnjährige Bonds beunruhigend hoch. Sollte eine neue Regierung den bisherigen Reformkurs der Regierung von Mario Draghi aufgeben, fürchtet die UBS eine Verdoppelung des Zinsabstands. Damit würden sich die Finanzierungsbedingungen für Staat und Unternehmen drastisch verschlechtern. Die Rating-Agenturen Moody’s und S&P haben den Ausblick schon gesenkt, und Moody’s startet am 30. September den Reigen der Neubewertungen des Landes. Hedgefonds wetten bereits gegen Italien. Sollte der Spread weiter steigen, hätte das unmittelbare Auswirkungen auf die Banken, die italienische Staatstitel im Umfang von mehr als 400 Mrd. Euro halten. Verlören diese Bonds weiter an Wert, könnte die Kapitalisierung italienischer Banken im schlimmsten Fall sogar unter die regulatorischen Mindeststandards fallen.

Unter Draghi hat Italien deutlich an Ansehen gewonnen und viele Reformen auf den Weg gebracht. Unter einer Regierung Meloni würden die Konflikte mit Europa zunehmen. Sie will das europäische Aufbauprogramm zwar akzeptieren, aber umschreiben. Sie sucht die Nähe zu den autokratischen EU-Ländern Polen und Ungarn und lässt Zweifel an ihrem Eintreten für Bürgerrechte aufkommen. Sie tritt für ein konföderales Europa ein. Im Europaparlament stimmte sie vor wenigen Tagen mit Salvini gegen eine Verurteilung von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und gegen die Streichung von Hilfen an Ungarn. Sie kritisierte die Zinserhöhung der EZB, die etwa ein Drittel der italienischen Staatsschulden aufgekauft hat. Und sie ist sehr protektionistisch eingestellt, etwa im Hinblick auf die Bank Monte dei Paschi oder ITA Airways, die beide italienisch bleiben müssten. „Der Spaß ist vorbei“, sagte sie kürzlich in Bezug auf die EU. Italien wolle künftig seine nationalen Interessen stärker durchsetzen. Das könnte auch heißen, dass nationales Recht Vorrang gegenüber europäischem haben soll.

Bündnis ist sich uneins

Welchen Kurs Italien künftig einschlägt, ist auch innerhalb des Rechtsbündnisses umstritten. An­ders als Berlusconi und Salvini war Meloni in den letzten Jahren immer in der Opposition. Während Salvini einen schuldenfinanzierten Nachtragshaushalt fordert, lehnen Berlus­coni und Salvini das ab. Berlusconi und Salvini sind russlandfreundlich, Meloni nicht – auch wenn es Gerüchte gab, alle drei hätten Gelder aus Moskau angenommen. Und während Meloni und Salvini Änderungen im europäischen Aufbauprogramm fordern, lehnt Berlusconi sie ab.

Vieles wird davon abhängen, wie stark das Mandat für Meloni ausfällt. Erfahrungsgemäß kühlt sich die Liebe der Italiener zu Politikern schnell ab. Die Höhenflüge von Matteo Renzi, Matteo Salvini oder der 5 Sterne dauerten in der Regel etwa zwei Jahre. Dann folgten meist neue Regierungskrisen.

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