Staatsverschuldung

Stabilitätspakt, nächster Akt

Der Stabilitätspakt hat nie geliefert, was sein Name verspricht. Und doch ist er nicht wirkungslos.

Stabilitätspakt, nächster Akt

Die Geschichte des Stabilitäts- und Wachstumspakts gleicht einer Tragikomödie mit ständig neuen Wendungen. Nach der befristeten Aussetzung der Fiskalregeln wegen der Pandemie bis Ende 2022 steht nun der nächste Akt an – eine umfassende Reform. Der offizielle Vorschlag der EU-Kommission dafür wird zwar erst zur Jahresmitte erwartet. Die Debatte ist aber längst eröffnet.

Die Ökonomen des Euro-Rettungsfonds ESM plädieren dafür, die Zielmarke für die Staatsverschuldung von 60% der Wirtschaftsleistung auf 100% anzuheben. Deutschlands Sparkassenverband hält derweil 80% für angemessen. Die einflussreiche Brüsseler Denkfabrik Bruegel fordert, öffentliche Klimaschutzinvestitionen nicht bei Defizit und Schulden mitzurechnen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Premier Mario Draghi werben gar für eine „Begünstigung“ von Schulden, die für Investitionen aufgenommen werden, die der Wohlfahrt künftiger Generationen dienen – was auch immer das bedeuten soll. Und EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni macht sich – wie auch andere – für individuelle Schuldenabbauziele stark.

Viele dieser Vorschläge klingen nach einem Entgegenkommen gegenüber den Ländern, die Defizit- und Schuldenquoten derzeit nicht einhalten. Für die Anhänger strikter Fiskalregeln mag das eine Enttäuschung sein. Ehrlicherweise müssen sie sich allerdings eingestehen, dass es ohnehin politisch naiv war zu glauben, dass 3-%- oder 60-%-Zielmarken ohne Automatismus im Falle der Nichteinhaltung die Solidität der Haushaltsführung in allen Euro-Mitgliedsländern sicherstellen könnten. Dass dies nicht gelungen ist, lag übrigens nicht nur an den Südländern. Zur Erinnerung: Es war eine Bundesregierung (unter Helmut Kohl), die 1997 die Defizitregel bereits vor dem Start der Währungsunion durch Versuche der Schönrechnerei (Stichwort: Neubewertung der Gold- und Devisenreserven) beschädigte. Und es war ebenfalls eine Bundesregierung (unter Gerhard Schröder), die ein Defizitverfahren gegen sie ohne plausible Argumente ausbremste.

Gewiss, auch andere waren mitverantwortlich, dass der Stabilitätspakt nie so recht geliefert hat, was sein Name eigentlich verspricht. Griechenland türkte einfach die Zahlen. Und die EU-Kommission erdachte ständig neue flexible Auslegungen, die Defizitsünder vor Sanktionen verschonten – obwohl die Vorgaben seit 1999 Hunderte Male nicht eingehalten wurden.

Insofern spricht vieles für eine Reform. Schließlich haben sich die Bedingungen für die nationalen Haushaltspolitiken erheblich verändert. Nullzinsen machen es möglich, höhere Schuldenberge zu schultern. Die Pandemie wiederum zwingt zu enormen staatlichen Ausgaben, um die Wirtschaft zu stützen. Das macht eine Erhöhung der Schulden-Zielmarke plausibel. Was aber, wenn die Zinsen irgendwann wieder steigen und die Pandemie überwunden ist? Finanzminister werden dann wohl kaum bereit sein, ihren Spielraum wieder einzuschränken.

Auch für die Forderung nach Ausklammerung von grünen Investments gibt es durchaus Argumente. Wenn Draghi und Macron in ihrer Initiative aber sehr breitflächig auf Investitionen in „Forschung, Digitalisierung, In­frastruktur und Verteidigung“ referenzieren, wird die Haushaltsrechnung der Beliebigkeit geöffnet. Denn fast jeder Etatposten lässt sich mit etwas kreativer Buchführung einem der vier Titel zuordnen.

Darum: Bei allen guten Argumenten für eine Reform des Pakts ist die Sorge berechtigt, dass manches, was als Reform daherkommt, sich rasch als dauerhafte Aushebelung der Vorgaben entpuppen könnte. Gerade deswegen wäre Fatalismus gefährlich – im Sinne von: Der Pakt ist doch ohnehin schon wachsweich. Da ist es doch egal, was man jetzt noch mit ihm anstellt. Nein, das ist es nicht.

Der Pakt ist zwar oft gebrochen und häufig nicht konsequent angewendet worden. Aber er hat, indem er haushaltspolitisches Fehlverhalten öffentlich macht, durchaus eine disziplinierende Wirkung. Wäre dem nicht so, würden diejenigen, die ständig gegen ihn verstoßen, nicht so viel Aufwand treiben, um ihn auf Dauer abzuschwächen. Für nationale Regierungen, die eine Politik des offenen Geldbeutels betreiben und damit die gemeinsame Währung schwächen, ist die Androhung eines Defizitverfahrens, selbst wenn es nie zu harten Sanktionen kommt, nach wie vor eine politische Belastung – und das ist gut so. Die Bundesregierung wäre gut beraten, in den Verhandlungen über die Anpassung des Stabilitätspakts dafür zu kämpfen, dass das so bleibt.

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