Arbeitsmarkt

Wirtschaftliche Inaktivität der Briten nimmt zu

Die britische Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie zuletzt Anfang 1974. Das liegt nicht an einer wirtschaftlichen Stärke, sondern an der zunehmenden wirtschaftlichen Inaktivität der Erwerbsfähigen.

Wirtschaftliche Inaktivität der Briten nimmt zu

hip London

Die britische Arbeitsmarktstatistik hat erstaunliche Daten geliefert. In den drei Monaten per Ende August lag die Arbeitslosenquote bei 3,5 % und war damit so niedrig wie zuletzt Anfang 1974, wie das Statistikamt ONS mitteilte. Das entsprach einem Rückgang von einem Zehntelprozentpunkt im Vergleich zu den drei Monaten per Ende Juli. Am Markt hatte man lediglich erwartet, dass die Arbeitslosenquote stagniert. Es gab mehr offene Stellen als Arbeitsuchende. Dabei ist sowohl die Zahl der Stellenausschreibungen als auch die Beschäftigungsquote zu­rückgegangen.

Zu krank zum Arbeiten

Der Grund für die niedrige Arbeitslosigkeit und den daraus resultierenden Arbeitskräftemangel liegt nicht etwa in einer besonderen Stärke der britischen Wirtschaft, sondern in der zunehmenden wirtschaftlichen Inaktivität der erwerbsfähigen Bevölkerung des Vereinigten Königreichs. Egal ob langfristige Gesundheitsprobleme nach einer Covid-19-Erkrankung, psychische Krankheiten oder die verzögerte Behandlung von Patienten aufgrund des schlechten Zustands des öffentlichen Gesundheitswesens NHS dahinterstecken: Die Zahl derjenigen, die keine Arbeit haben und auch keine suchen, ist seit Ausbruch der Pandemie um 630 000 gestiegen. Es sind um die neun Millionen Menschen. Für 2,5 Millionen – so viele wie noch nie – sind gesundheitliche Gründe dafür ausschlaggebend. Bei den anderen handelt es sich vor allem um Studenten und Menschen, die Familienangehörige pflegen. Es sind vor allem die über 50-Jährigen­ und die langfristig Kranken­, von denen die Inaktivität nach oben getrieben wird.

Für die wenigen verfügbaren Arbeitskräfte bedeutet all das eine bessere Verhandlungsposition bei Gehaltsverhandlungen. Die Gesamtvergütung stieg dem ONS zufolge in den drei Monaten per Ende August um 6,0 %. Das Einkommenswachstum lag zwar um einen Zehntelprozentpunkt über dem Schnitt der Schätzungen von Bankvolkswirten, hielt aber nicht Schritt mit der Teuerungsrate. Real schrumpften die Lohneinkommen um 2,4 %. Das gab es nicht oft, seit 2001 mit den Berechnungen in dieser Form begonnen wurde. „Während ein Arbeitsmarkt, der hohes nominales Einkommenswachstum schafft, prinzipiell attraktiv sein sollte, bedeutet das Anhalten der Inaktivität in den vergangenen Monaten, dass es höchst ungewiss ist, ob diese Menschen in die er­werbstätige Bevölkerung zu­rück­kehren“, schrieb der Barclays-Volkswirt Abbas Khan in einer ersten Einschätzung­ der Daten. Er verwies dabei darauf, dass die Wartelisten des NHS bis Juli noch länger geworden sind. Aus seiner Sicht vergrößert die positive Überraschung im Vergleich zu der von der Bank of England für das dritte Quartal ­­un­terstellten Arbeitslosenquote von 3,7 % das Risiko einer aggressiven Zinserhöhung bei der Sitzung des geldpolitischen Komitees im November.

Unterdessen setzten sich die Turbulenzen am Markt für britische Staatsanleihen (Gilts) fort. Die Bank of England kündigte an, nun auch inflationsgeschützte Gilts zu erwerben. Bislang hatte sie sich auf Anleihen mit einer Restlaufzeit ab 20 Jahren konzentriert. Sie begründete das mit der Gefahr „einer sich selbst verstärkenden Ausverkaufsdynamik“, die ein wesentliches Risiko für die Finanzstabilität darstelle. Gleichwohl hielt sie daran fest, die Anleihenkäufe am Freitag wieder einzustellen. Zugleich teilte die Notenbank mit, dass sie die Verkäufe von Unternehmensanleihen vorübergehend aussetzen will. Sie veräußert seit einiger Zeit einen Teil der Papiere, die sie seit der Finanzkrise zusammengekauft hat.

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