Geldpolitik

Zentralbank schickt Lira auf Allzeittief

Mit der vierten Zinssenkung nacheinander senkt die türkische Notenbank den Leitzins in den einstelligen Bereich ab – trotz sehr hoher Inflation. Das soll es gewesen sein. Analysten haben ihre Zweifel.

Zentralbank schickt Lira auf Allzeittief

rec Frankfurt

Ungeachtet der immens hohen Inflation hat die türkische Zentralbank den Leitzins in den einstelligen Bereich gedrückt und der Lira damit ein Allzeittief be­schert. Die Zinssenkung um 1,5 Prozentpunkte auf 9% ist die vierte in Folge und soll nach Angaben der Notenbank vorerst die letzte sein. Das Zinsniveau sei nun „angemessen“. Analysten sind skeptisch und halten weitere Abwärtsschritte im ersten Halbjahr 2023 für möglich.

Für Beobachter war diese Entscheidung keine Überraschung, obwohl die Inflation offiziellen Angaben zufolge die 80-Prozent-Marke überschritten hat. Unabhängigen Berechnungen zufolge dürfte die Teuerung in der Türkei noch eklatanter sein. Die Zentralbank hat allerdings keine Bereitschaft signalisiert, darauf mit Zinserhöhungen zu reagieren, was Experten für dringend nötig erachten. Stattdessen hat sie Forderungen von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nach einstelligen Zinsen nun erfüllt.

Als Gründe führt die Notenbank an, die Dynamik der Industrieproduktion und den positiven Beschäftigungstrend erhalten zu wollen. Sie habe bekräftigt, dass die finanziellen Bedingungen zu diesem Zweck unterstützend bleiben müssten, betonte ING-Experte Muhammet Mercan. Gleichzeitig gab sie mit der Entscheidung „das Ende des Zinssenkungszyklus“ bekannt.

Schwellenländerexperte Liam Peach von Capital Economics hat allerdings erhebliche Zweifel. Denn „es besteht eindeutig das Risiko, dass Präsident Erdogan die Zentralbank zwingt, die Zinssätze in den kommenden Monaten weiter zu senken, insbesondere mit Blick auf die Wahlen 2023“. Spätestens im Juni finden in der Türkei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt.

Erdogan will im Wahlkampf mit hohen Wachstumsraten punkten. Bisher hat das nach Auffassung von Ökonomen ganz gut funktioniert. Vor allem der Tourismus boomt, was auch an der im internationalen Vergleich sehr günstigen Lira liegen dürfte. Nun gibt es allerdings Anzeichen, dass die Wirtschaft schwächelt. Die Abwärtsrisiken hätten zugenommen, konstatiert die Zentralbank.

Die Inflation wollen Erdogan und seine Notenbanker statt mit der Zinspolitik auf andere Weise drücken. So schweben dem Staatschef Berichten zufolge höhere Geldstrafen für Einzelhändler vor, die Preise stark erhöhen. Die Zentralbank setzt auf Interventionen am Devisenmarkt und hat sich dafür in Tauschgeschäften mit ausländischen Notenbanken Dollars gesichert. Eben erst berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg über einen Deal mit der Notenbank Saudi-Arabiens, der der türkischen Zentralbank 5 Mrd. Dollar einbringen soll.

Bei heimischen Banken, Unternehmen und Sparern setzt die Regierung auf Druck oder gar Zwang, um sie zum Umstieg auf Lira zu bewegen. Beobachter rechnen mit weiteren solchen makroprudenziellen Maßnahmen. Die Augen der Analysten sind deshalb auf den jährlichen Bericht zu Geldpolitik und Wechselkurs gerichtet, der im Dezember erscheint. Denn darin wird die Zentralbank ihre für das kommende Jahr geplanten Schritte umreißen.