Kraftwerkshersteller

Abgespannte Energie

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine schüttelt den weltweiten Handel mit Energie durch. Dies trifft die Hersteller von Kraftwerken in einer kritischen Phase. Eine Branche steht unter Stress.

Abgespannte Energie

Energie ist in diesen Kriegsmonaten das Top-Thema des Wirtschaftens. Dies zeigt sich erneut in wenigen Tagen. Angesichts der Preissteigerungen entlastet die Bundesregierung ihr Wahlvolk in beispielloser Art an Zapfsäulen und Bahnhöfen. Die Verkäufer von Öl und Gas profitieren von derartigen Subventionen, denn die Nachfrage dürfte einen Schub erhalten. Die Rohstofflieferanten verdienen sich sowieso schon eine goldene Nase. Eigentlich sollte man angesichts des Energiehungers der ganzen Welt denken, auch die Hersteller von Kraftwerken und Windparks lebten in paradiesischen Zuständen. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Die Branche steht doppelt unter Stress. Erstens muss sie eine gewaltige Transformation managen: von einer Stromerzeugung auf konventionellem Weg zu erneuerbaren Energien. Weil der Markt für Gas- und Ölkraftwerke schrumpft, steigt der Wettbewerbsdruck bei immer noch hohen Produktionskapazitäten. Ein Komplettrückzug ist für die Spezialisten dennoch ausgeschlossen, denn die Gaskraftwerke bleiben das Rückgrat der Stromerzeugung. Zweitens: Es herrscht ein ruinöser Wettbewerb unter den Herstellern von Windkraftanlagen. Die einst indirekt subventionierten Unternehmen, die als Oligopol mit Augenmaß wirtschaften könnten, haben kein Gleichgewicht gefunden. Gestiegene Materialkosten führen zusätzlich zu Verlusten der Hersteller. Die Windräder verschlingen Unmengen an Stahl und Metallen.

Beispielhaft lässt sich dieser Zangengriff der Märkte bei dem seit September 2020 eigenständigen Konzern Siemens Energy beobachten. Die Tochter Siemens Gamesa, die nun komplett übernommen werden soll, reiht Gewinnwarnung an Gewinnwarnung. Aktuell legt sich das neue Management des Windkraftspezialisten lieber mal auf gar keine Prognose fest. Das Geschäft mit konventionellen Kraftwerken war vor Jahrzehnten ein Gewinn-Schwergewicht, als es noch zur Siemens AG gehörte und der Kohle- und Gaskraftmarkt boomte. Mittlerweile müssen Kosten gesenkt und Personal abgebaut werden, um die Margen zu stützen. Das Management macht hier mit Umsicht einen guten Job: Die Marge ist von 1,4% im Geschäftsjahr 2019/2020 auf 5,9% in der ersten Jahreshälfte 2021/22 gestiegen. Aber steigende Kosten in der Lieferkette und der mögliche Rückzug aus Russland werden die Marge bis Ende September wieder stark drücken. Das Umfeld hat immer wieder negative Überraschungen parat.

Dementsprechend unerfreulich ist die Lage aus Sicht der Aktionäre. Die Aktie notiert ein Fünftel unter dem Kursniveau, mit dem sie vor eineinhalb Jahren in den Handel gestartet war. Die Dividendenzahlung war schon bisher überschaubar, nach der milliardenschweren Inte­gration von Siemens Gamesa könnten Ausschüttungen auch komplett entfallen. Denn das Rating liegt mit einer Ein­stufung von „BBB“ mit negativem Ausblick sowieso am unteren Rand einer Investment-Grade-Einstufung. Diese muss der Konzern jedoch mit allen Mitteln verteidigen, um den Zugang zu bezahlbarem Fremdkapital zu erhalten und Eigenkapitalinvestoren nicht zu verschrecken. Der Kauf der Gamesa-Minderheitsanteile drückt den Konzern vorerst in die Nettoverschuldung. Angesichts dieser zwar vertretbaren, aber keineswegs komfortablen Fi­nanzsituation mag man sich nicht ausmalen, was in einer Rezession passieren würde, die das Unternehmen gar zu einer Abschreibung der Aktivitäten des einst zu teuer eingekauften Unternehmens Dresser-Rand zwänge.

Derartige Fragilitäten sind der gesamten Branche zu eigen. Volkswirtschaftlich und politisch birgt dies Sprengstoff. Der Anfang der Wertschöpfungskette Energie muss funktionieren, sonst kann man den Umbau der Stromerzeugung gar nicht erst anpacken. Nur wer finanziell gut aufgestellt ist, der wird Innovationen vorantreiben. Die Ingenieurskompetenz des Kraftwerksbaus ist unersetzbar. Es sollte auch der Politik eine Warnung sein, wie das Geschäft mit der Fertigung von Solarpanels komplett nach China abgewandert ist.

Kassandrarufe sind bisher trotzdem fehl am Platz. Die Produktion von Elektrizität wächst schneller als das Bruttoinlandsprodukt. Nicht nur Elektroautos dürsten nach Strom. Auch die Produktionsprozesse in der Industrie müssen elektrifiziert werden, wenn der CO2-Ausstoß auf null gesenkt werden soll. Außerdem gilt es, den Strom mittels neuer Leitungen europaweit zu verteilen. Die Chancen sind da. Sie zu nutzen, ist allerdings unter diesen Rahmenbedingungen eine Kunst, die über normale Managementanforderungen hinausgeht.

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