KommentarImmer extremere Protestformen

Bahnstreik und Bauernproteste bedrohen den Rechtsstaat

Politisch geduldete und gerichtlich akzeptierte immer extremere Protestformen bleiben nicht folgenlos für das Parteiensystem und die Attraktivität des Investitionsstandorts Deutschland.

Bahnstreik und Bauernproteste bedrohen den Rechtsstaat

Protestformen

Bedrohter
Rechtsstaat

Von Stephan Lorz

Wieder einmal hat es ein Gericht unterlassen, einer einflussreichen Spartengewerkschaft gesellschaftliche Grenzen aufzuzeigen. Daher kann die Lokführergewerkschaft GDL jetzt den Bahnverkehr quasi stilllegen. Millionen Pendler müssen sich bis Freitag mit dem Auto auf den Weg zum Job machen, sofern Homeoffice nicht möglich oder die Strecke mit dem Rad zu weit ist und andere Verkehrsträger nicht greifbar sind. Es ist nicht die Bahn, der hier unmittelbar geschadet wird, wie in vielen anderen Tarifkonflikten, stattdessen sind es ihre Kunden, die hier in Geiselhaft genommen und quasi „freigepresst“ werden sollen.

Anders wird das in Japan gehandhabt: Wenn hier Streik angesagt ist, fahren die Bahnen wie immer, nur werden die Fahrgäste vom Personal nicht auf Fahrkarten überprüft. Freifahrten für alle! Die Kunden werden also geschont, sie erhalten kostenfrei sogar Getränke an Bord, dem Unternehmen, von dem man höhere Löhne, mehr Urlaub oder anders möchte, wird direkt geschadet. Vielleicht ist die deutsche Herangehensweise dem alten Gewerkschaftsspruch geschuldet: Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will. Eine proletarische Machtdemonstration eben. Das Berufs- und Zivilleben stilllegen. Oder gleich den ganzen Staat lahmlegen, wie auf den Bauernprotesten bekundet. Fackelzüge, Blockaden, Provokationen von Politik und Polizei samt rechtlicher Grenzüberschreitungen.

Doch das in jüngster Zeit immer extremere Protestverhalten nicht nur der Lokführer oder Bauern, sondern etwa auch von Umweltaktivisten und radikalen Bekennergruppen hat natürlich gesellschaftliche Folgen. Denn sie bedrohen letztendlich den Rechtsstaat, weil zu viel auf Einzelrechte (Streikrecht, Versammlungsfreiheit) Rücksicht genommen wird, zu wenig auf das Gemeinwohl aller im Staat. Den Gerichten fehlt hier vielerorts die nötige staatsrechtliche Weitsicht. Und es macht sich das Gefühl breit: Die Lauten lässt man gewähren, die Leisen haben keine Lobby und jeder noch so kleine Parkverstoß wird geahndet. Damit verliert die Masse in der Bevölkerung das Vertrauen in die Regelungskompetenz der Politik und ihrer demokratischen Institutionen. Wohin die Sorge vor einem Kontrollverlust führt, zeigen die politischen Verschiebungen im Nachgang zur ersten großen Migrationswelle. Zugleich sind weder die Stärkung der extremen Rechten noch die Protestwellen auf den Straßen eine Werbung für den Investitionsstandort Deutschland. Das hätte dann auch noch ökonomische Nebenwirkungen.

Politisch geduldete und gerichtlich akzeptierte immer extremere Protestformen bleiben gesellschaftlich nicht folgenlos.