London

Chinesischer Alptraum

Das Royal Albert Dock sollte von der Industriebrache zum dritten Geschäftszentrum der britischen Hauptstadt werden. Doch dem chinesischen Immobilienentwickler ABP ging vorher die Puste aus.

Chinesischer Alptraum

Das Royal Albert Dock neben dem Londoner City Airport hat sich vom Hoffnungsträger zur Geisterstadt entwickelt. Nachdem der weltweite Siegeszug der Containerschifffahrt dazu geführt hatte, dass Schiffe ihre Fracht bereits in Tilbury loswerden konnten, sollte auf der Industriebrache im Osten des Bankenviertels Canary Wharf ein weiteres Geschäftsviertel entstehen. Eigentlich sollte es 2023 fertig werden und die Firmenzentralen von chinesischen und anderen Unternehmen beherbergen. Bislang ist aber lediglich der erste Bauabschnitt des 14 Hektar großen Geländes nahezu fertiggestellt. Vom Rest ist nicht viel zu sehen. Seit April 2019 ruhen die Bauarbeiten.

Boris Johnson, damals noch Bürgermeister der britischen Metropole, hatte das Projekt dem bis dahin wenig bekannten Pekinger Immobilienentwickler Advanced Business Park (ABP) anvertraut. ABP-Chairman Xu Weiping arbeitete angeblich einmal mit Wang Qishan zusammen, dem Vizepräsidenten der Volksrepublik. Das würde erklären, wie Xu ohne große Erfahrung im Immobiliengeschäft das Technologiezentrum Zhongguancun am Rande Pekings bauen konnte, das den Anspruch hatte, zum Silicon Valley der chinesischen Hauptstadt zu werden. Vorwürfe des Fernsehsenders Channel 4, es sei bei der Vergabe des Londoner Projekts gemauschelt worden, ließen sich nicht erhärten. Der Deal wurde bekanntgegeben, als Chinas Staatschef Xi Jinping 2015 das Vereinigte Königreich besuchte. Das milliardenschwere Projekt sollte Zehntausende von Arbeitsplätzen schaffen.

Es war die Zeit, die man als Honeymoon der britisch-chinesischen Beziehungen bezeichnen könnte. Die City erhielt via Hongkong etwas mehr Zugang zu den Finanzmärkten der Volksrepublik. Allenthalben machte man sich große Hoffnungen, was künftige Geschäfte mit dem Wirtschaftswunderland in Fernost angeht. Investoren aus dem Reich der Mitte kauften überteuerte Bürotürme und alle möglichen Firmen. George Osbornes Tochter Liberty lernte sogar Mandarin, um auf die vermeintlich goldene Zukunft vorbereitet zu sein, wie der ehemalige Schatzkanzler bei einem Chinabesuch stolz ausplauderte. ABP war nicht der einzige Interessent für das Royal Albert Dock aus dem Reich der Mitte. Die Shaanxi Tianhe Enterprise Group wollte in Zusammenarbeit mit The Mountbatten School eine Mandarin-Sprachschule eröffnen und den Lernwilligen Konversationsfähigkeit innerhalb von vier Wochen garantieren. Die Chongqing Taizheng Group hatte ein „chinesisches Venedig“ mit Anlegemöglichkeit für Kreuzfahrtschiffe im Sinn. Ein weiterer Interessent wollte lieber eine Skihalle bauen. Auch ein Motorradhersteller aus der Volksrepublik war im Rennen. Doch am Ende ging das Projekt an ABP.

Mittlerweile hat sich der chinesische Traum, dem neben David Cameron, George Osborne und Boris Johnson einst viele andere nachhingen, als Alptraum erwiesen. Denn den Immobilienentwicklern aus dem Reich der Mitte geht die Puste aus. Im Umfeld der vom Stararchitekten Norman Foster wiederbelebten Battersea Power Station lud R&F Properties aus Guangzhou ein Luxuswohnungsprojekt zum symbolischen Preis von einem Pfund beim Hongkonger Rivalen Far East ab – samt Schulden von 96 Mill. Pfund. Johnson hatte die Bauvorhaben rund um das ehemalige Kraftwerk einst „das letzte Teil des Puzzles“ bei der Entwicklung des Londoner Stadtzentrums genannt. Auch dort wirkt viel unfertig und wird es voraussichtlich auch noch lange Zeit bleiben.

Die Londoner Stadtverwaltung bemühte sich eine ganze Weile, ABP das Projekt Royal Albert Dock zu entziehen. Doch das Unternehmen meldete schneller Zahlungsunfähigkeit an, als sie zur Tat schreiten konnte. Seit Anfang des Monats werden sechs Gebäude auf dem Gelände des Projekts vom Immobilienmakler Savills zum Kauf angeboten. Wenn sie einmal fertiggestellt sind, bieten sie 437 000 Quadratmeter Fläche für eine Mischnutzung in unmittelbarer Nähe des Flughafens und der neuen Schnellbahn Crossrail. Man darf gespannt sein, wer an die Stelle der chinesischen Investoren treten wird. London hat seine Strahlkraft noch nicht verloren. Aber vielleicht würde es sich auszahlen, beim nächsten Mal genauer zu prüfen, mit wem man Geschäfte macht.