Luftfahrt

Die mühsame Erholung von Europas Flughafen­betreibern

Trotz Chaos und der Auswirkungen der Kapazitätsbegrenzungen sind Europas Flughafenbetreiber auf gutem Wege, sich von der Pandemie zu erholen. Sie müssen nun die Weichen für die Zukunft stellen.

Die mühsame Erholung von Europas Flughafen­betreibern

Von Gesche Wüpper, Paris

Optimismus und höhere Prognosen auf der einen Seite, Negativschlagzeilen und Chaos auf der anderen: Die Lage der europäischen Flughafenbetreiber ist paradox. Denn trotz fehlenden Bodenpersonals, Streiks, gestrichener oder verspäteter Flüge und verloren gegangenen Gepäcks sind sie auf dem besten Wege, wieder zum Vorkrisenniveau von 2019 zurückzufinden. Nachdem sich die Zahl der Passagiere im ersten Halbjahr 2022 um 247% erholt hat, geht der Branchenverband ACI (Airports Council International) davon aus, dass die Flughäfen in Europa Ende des Jahres wieder 78% des Vorkrisenniveaus von 2019 erreichen werden. Trotz einer möglichen Verlangsamung in diesem Herbst und Winter dürften sie sich 2024 komplett von den Corona-Auswirkungen erholen, meint er.

Für diese Zeit bringen sich Flughafenbetreiber nun in Stellung. Vinci Airports aus Frankreich hat sich gerade in Mexiko und auf den Kapverden verstärkt und so die Zahl der Flughäfen in ihrem Portfolio auf mehr als 70 erhöht. Ferrovial Airports aus Spanien wiederum hat Mehrheitsbeteiligungen an dem Betreiberkonsortium des neuen Terminals One am New Yorker Flughafen JFK und dem Dalaman International Airport in der Türkei erworben. Der Heathrow-Großaktionär, dem auch AGS Airports (Aberdeen, Glasgow und Southhampton) gehört, könnte sich im Gegenzug dafür von seiner 25-%-Beteiligung an Londons größtem Flughafen trennen.

Kapazitäten weiter begrenzt

Dabei haben sich die Ergebnisse von London-Heathrow, dem vor Ausbruch der Pandemie vom Passagieraufkommen her größten Flughafen Europas vor Paris-Charles de Gaulle, trotz Flugchaos im ersten Halbjahr deutlich verbessert. So ist die Zahl der Passagiere mit 26 Millionen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 578% gestiegen, auch wenn sie immer noch 33% unter dem Vorkrisenniveau liegt. Der Umsatz des Flughafens verdreifachte sich auf 1,28 Mrd. Pfund. Für das Gesamtjahr 2022 rechnet London-Heathrow nun mit 54,4 Millionen Passagieren, nachdem die Prognose im Juni angehoben wurde.

Dabei hat der Flughafen im Juli die Zahl der abfliegenden Passagiere auf 100000 pro Tag beschränkt. Die Maßnahme, wegen der Fluggesellschaften zahlreiche Flüge streichen mussten, soll noch bis zum 11. September weitergehen. Mindestens, denn auch eine Ausweitung ins kommende Jahr ist im Gespräch.

Der niederländische Flughafenbetreiber Royal Schiphol Group wiederum will die Kapazitätsbegrenzungen auf jeden Fall bis in den Herbst verlängern und sogar ausweiten. Im September begrenzt er die Zahl der Passagiere, die ab Schiphol abfliegen dürfen, auf 67500 pro Tag, im Oktober dann auf 69500. Diesen Monat beträgt die Obergrenze noch 72500. Als Begründung für die Ausweitung der Begrenzung führt der Airport an, dass Sicherheitskontrollen länger dauerten, wenn Passagiere im Herbst Jacken und Mäntel trügen.

Sorge vor Sammelklage

Die Royal Schiphol Group, die auch die Airports in Eindhoven und Rotterdam-Den Haag betreibt und letztes Jahr einen Nettoverlust von 105 Mill. Euro verbuchte, hat gerade zugesagt, Passagiere für Flüge zu entschädigen, die sie wegen langer Schlangen an der Sicherheitskontrolle verpasst haben. Damit will Schip­hol einer Sammelklage entgehen, wie sie eine niederländische Verbraucherschutzorganisation in Be­tracht gezogen hatte. Dem Flughafenbetreiber könnten jedoch weitere juristische Schritte drohen. So denkt KLM darüber nach, rechtlich gegen die auferzwungene Kapazitätsbegrenzung anzugehen. Easyjet-Chef Johan Lundgren überlegt , von Flughafenbetreibern Entschädigungen dafür einzufordern, dass die Airline diesen Sommer ihretwegen weniger Flüge anbieten kann als geplant.

Das ist nicht der einzige Ärger, der die Flughafenbetreiber erwartet, denn auch Gewerkschaften dringen auf mehr Geld – vor allem für das Bodenpersonal. Um ihre Forderung nach besserer Bezahlung für das Sicherheitspersonal durchzusetzen, haben sie bereits an zahlreichen Flughäfen gestreikt. An diesem Wochenende wollen sie in Lyon die Arbeit niederlegen, Ende nächster Woche dann an den zehn von ANA Aeroportos (Vinci Airports) in Portugal betriebenen Flughäfen, darunter Lissabon, Faro und Porto.

Der Markt müsse verstehen, dass mehr gezahlt werden müsse, meint Analyst Andrew Lobbenberg von HSBC. Branchenkenner sehen in der schlechten Bezahlung von Sicherheitsleuten und Bodenpersonal einen der Gründe für den Personalmangel an Flughäfen, der zu Beginn der Sommerferien an vielen Flughäfen für Chaos sorgte.

Um fit für die Erholung zu sein, müssen die Airport-Betreiber investieren. Der Branchenverband ACI schätzt den Investitionsaufwand europäischer Flughäfen bis 2040 auf 360 Mrd. Euro. Er warnt, dass es zu einer Investitionskrise kommen könnte, da die Erholung kostenintensiv ist und sich wegen der hohen Inflation verteuert, während europäische Airports in den letzten zwei Jahren Vorsteuerverluste von mehr 20 Mrd. Euro eingeflogen haben und ihre Schulden im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie um 60 Mrd. Euro gestiegen sind.

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