Milliardenhilfen

Die ungenutzten Potenziale des EU-Aufbaufonds

Erst knapp 10% der Milliarden aus der Aufbau- und Resilienzfazilität sind ausgezahlt. Sie sollten eigentlich die Folgen der Pandemie abfedern. Aus aktuellem Anlass erhält der EU-Hilfsfonds eine zusätzliche Funktion.

Die ungenutzten Potenziale des EU-Aufbaufonds

Von Andreas Heitker, Brüssel

Als vor zwei Jahren die ersten Überlegungen für einen gewaltigen europäischen Hilfsfonds aufkamen, der die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abfedern sollte, konnte sich in Brüssel noch niemand vorstellen, dass dieses Geld auch nach einem russischen Angriffskrieg in der Ukra­ine noch gute Dienste für die Konjunktur leisten würde. Dies ist nun aber möglich, da von den im Endeffekt beschlossenen Mitteln von 723,8 Mrd. Euro für eine Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF – Recovery and Resilience Facility) aktuell erst knapp 10% an die EU-Mitgliedstaaten ausgezahlt worden sind. Die Sorgen einiger Ökonomen, dass das Geld aus dem Corona-Wiederaufbaufonds so spät fließen wird, dass es im Endeffekt prozyklisch wirken wird, haben sich angesichts des aktuellen Umfeldes in Luft aufgelöst.

Dass bislang so wenig ausgezahlt worden ist – zuletzt hat die EU-Kommission am Freitag 3,6 Mrd. Euro für Griechenland freigegeben –, liegt nicht daran, dass der RRF-Motor stottert. Es liegt vielmehr daran, dass die Mittel in mehreren Tranchen und abhängig vom Erreichen von Zwischenzielen bei den zu finanzierenden Projekten bewilligt werden. Die eigentliche Konzeption des Hilfsfonds, die Einigung der Mitgliedstaaten und der sich anschließende Gesetzgebungsprozess verliefen ja in einer für Brüsseler Verhältnisse rasenden Geschwindigkeit – vor allem vor dem Hintergrund, dass es sich hier um ein für die EU völlig neues und auch noch schuldenfinanziertes Instrument handelt.

In der nächsten Woche ist es genau ein Jahr her, dass Portugal den ersten nationalen Aufbauplan zur Genehmigung in Brüssel eingereicht hat. Viele weitere Anträge folgten bis zum Sommer. Aktuell fehlt nur noch der Aufbauplan der Niederlande, was mit der langen Regierungsbildung in Den Haag nach der Parlamentswahl im vergangenen Jahr zu tun hat. Ein Entwurf des niederländischen Plans liegt nun seit zwei Wochen vor, über den in Kürze Zuschüsse über 4,7 Mrd. Euro abgerufen werden sollen.

Sorgenkinder Polen, Ungarn

Für 24 der 26 eingereichten nationalen Aufbaupläne hat die EU-Kommission bislang grünes Licht gegeben. In der vergangenen Woche hat sie zuletzt das 6,3 Mrd. Euro teure Programm Bulgariens durchgewunken. Lediglich Polen und Ungarn wurde noch kein Geld aus dem RRF bewilligt. Grund sind die Probleme mit Rechtsstaatlichkeit und Korruption in diesen Ländern, und eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. In Polen stehen immerhin 35,5 Mrd. Euro an nicht rückzahlbaren Zu­schüssen im Feuer, was 6,7% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Bei Ungarn geht es aktuellen Zahlen zufolge um 7,2 Mrd. Euro beziehungsweise 4,9% des BIP. Lösungen sind weder in dem einen noch im anderen Fall in nächster Zeit absehbar.

Bei den Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs im März hatten insbesondere Frankreich und Italien bereits einen neuen Hilfstopf ins Spiel gebracht, um damit sehr breit auf die zusätzlichen Belastungen durch den Ukraine-Krieg zu reagieren – insbesondere im Energie- und Verteidigungssektor. Dass Präsident Emmanuel Macron und Regierungschef Mario Draghi mit ihrem Vorstoß nicht so richtig erfolgreich waren, lag zum einen daran, dass die konjunkturellen Folgen des Kriegs noch immer schlecht prognostiziert werden können. Die EU-Kommission will Mitte Mai ihre Erwartungen hierzu vorlegen. Zum anderen lag dies aber sicher auch an den noch immer ungenutzten Potenzialen des Corona-Hilfstopfes.

Die 24 genehmigten Aufbaupläne entsprechen nämlich erst Auszahlungen von 455 Mrd. Euro. Und von diesem Geld sind bis heute erst 70 Mrd. Euro konkret ausgezahlt worden. Ein Großteil davon waren Vor­finanzierungen von Projekten. Doch noch immer gäbe es für die EU-Staaten die Möglichkeit, ihre Investitionspläne zu überarbeiten und Gelder beispielsweise noch stärker in die Energiewende umzuleiten. Und selbst wenn noch Ansprüche von Polen, Ungarn und den Niederlanden beachtet würden, schlummern noch mehr als 200 Mrd. Euro an günstigen, über die EU-Kommission finanzierten Darlehen im Corona-Hilfstopf, die bis heute gar nicht abgerufen worden sind.

In den bisherigen nationalen RRF-Plänen sind rund 40% der Mittel für Investitionen angesetzt, die zum Erreichen der Klimaziele beitragen sollen. Mehr Energieeffizienz und der Ausbau erneuerbarer Energien gehören dabei auch jetzt schon zu den wichtigsten Feldern, die mit Blick auf die Abhängigkeit der EU von russischen Energieimporten jetzt noch einmal eine ganz neue Priorität erhalten haben.

Die EU-Kommission hat in ihrem jüngsten, ersten Jahresbericht zur Aufbau- und Resilienzfazilität noch einmal bekräftigt, dass das Wiederaufbauinstrument – im Brüsseler Jargon „Next Generation EU“ genannt – im Zeitraum 2021 bis 2026 ein Wachstum des realen BIP in der EU von 1,3% bis 1,5% generieren wird. Die Behörde geht zugleich von positiven Spillover-Effekten aus. Alle Mitgliedstaaten profitierten schließlich aufgrund der steigenden Nachfrage von erheblichen grenzüberschreitenden Ausstrahlungseffekten.

Kleiner Stabilitätsanker

„Der Mehrwert des Instruments ist bereits spürbar“, heißt es im Jahresbericht. Das wäre dann wohl ein kleiner weiterer Stabilisierungsanker im aktuell wegen des Krieges so unsicheren Konjunkturumfeld.

Nach Ansicht von Ökonomen könnten grundsätzlich auch noch die Anleiheemissionen stabilisierend wirken, mit denen die EU-Kommission den Wiederaufbaufonds finanziert. Denn diese werden als eine Art „safe asset“ angesehen, woran es zumindest der Eurozone immer gemangelt hatte. Die Brüsseler Kommission hat ja das Mandat erhalten, bis 2026 gut 800 Mrd. Euro für den Aufbaufonds an den Märkten auf­zunehmen. Bis heute hat sie schon 78,5 Mrd. Euro an Anleihen begeben sowie 33 Mrd. Euro an kurzfristigen Finanzierungen, von denen 12 Mrd. Euro bereits wieder fällig wurden.

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