Madrid

Eiszeit zwischen Berlin und Madrid ist lange her

Beim Antrittsbesuch in Madrid zelebrierten Spaniens Ministerpräsident Sánchez und Bundeskanzler Scholz die neue Stärke der Sozialdemokratie in Europa, trotz Differenzen über den Stabilitätspakt. Zu Beginn der Währungsunion standen die Vorzeichen noch ganz anders.

Eiszeit zwischen Berlin und Madrid ist lange her

Vielleicht war es tatsächlich den Vorsichtsmaßnahmen wegen der Pandemie geschuldet, dass die Journalisten und Regierungsmitarbeiter beim Antrittsbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz beim spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez am Montag reichlich frieren mussten. Statt im Pressesaal oder einer anderen Räumlichkeit des weitläufigen Moncloa-Palastes, dem Sitz des Regierungschefs am Stadtrand von Madrid, traten die beiden Politiker vor dem Haupteingang des Komplexes vor die Kameras. Es ist denkbar, dass die Berater von Sánchez auf einen feierlichen, institutionellen Rahmen im Lichte der winterlichen Sonne über der spanischen Hauptstadt aus waren. Denn für den Chef der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens ist der Erfolg seines SPD-Kollegen ein großer Schub, mit dem sich auch innenpolitisch punkten lässt.

So feierten der „liebe Pedro“ und „mi amigo Olaf“ die Wiederauferstehung der oft totgesagten Sozialdemokratie in Europa. Auf diesem ersten Treffen der beiden Politiker, die sich schon länger kennen und verstehen, war man sich denn auch in fast allen Bereichen weitgehend einig, ob bei der Digitalisierung, dem Ukraine-Konflikt oder Energiewende und Umweltschutz. Lediglich bei der Debatte über die zukünftige Gestaltung des europäischen Stabilitätspaktes liegen die Positionen auseinander. Spanien wünscht sich eine flexiblere Gestaltung der Regeln für Haushaltsdefizit und Staatsschulden, die nach Meinung von Sánchez „zu komplex und schwierig einzuhalten sind“. Scholz blieb ausweichend und verwies darauf, dass man mit den Milliarden aus dem europäischen Wiederaufbaufonds ja erst einmal genug habe, um die großen Aufgaben anzugehen.

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Vor gut zwanzig Jahren standen die Vorzeichen in den deutsch-spanischen Beziehungen ganz anders. Die Jahre des konservativen José María Aznar (1996 bis 2004) und des Sozialdemokraten Gerhard Schröder (1998 bis 2005) sind mit Abstand der frostige Tiefpunkt im ansonsten immer recht guten diplomatischen Verhältnis beider Länder. Das lag zum einen am Irak-Krieg, bei dem sich Aznar auf die Seite von US-Präsident George Bush schlug, während Schröder mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac das Lager der Gegner der Intervention anführte. Schröder sorgte 2000 für große Verstimmung in der spanischen Regierung, indem er auf einen Besuch im Baskenland bestand, als die Spannungen zwischen Madrid und den baskischen Nationalisten auf einem Höhepunkt waren. Der Kanzler hatte dem Künstler Eduardo Chillida, dessen Skulptur vor dem Berliner Kanzleramt steht, versprochen, bei der Eröffnung seines Museums im baskischen Hernani dabei zu sein.

Zuvor, 1999 auf dem EU-Gipfel in Berlin unter deutschem Vorsitz, hatte der Spanier den Bundeskanzler zur Weißglut gebracht, als er die Verhandlungen über den neuen Finanzplan mit Blick auf mehr Zuschüsse für sein Land bis zum Morgengrauen hinzog, mit dem berühmten Satz „ich gehe mal eine Zigarre rauchen“. In Spanien be­gann dank der Gelder aus Brüssel und der Niedrigzinsen der neuen Europäischen Zentralbank ein nie da gewesener Wirtschaftsboom, der letztlich in der Immobilienblase endete. Deutschland rutschte da­gegen in die Krise und die rot-grüne Regierung strebte eine Aufweichung des Stabilitätspaktes an. Auf hämische Kommentare Aznars giftete Schröder in Richtung Madrid, dass es ja nicht so schwer sei, ein solides Wachstum zu haben, wenn die EU-Hilfen 1% der Wirtschaftsleistung ausmachen. Zum Ende seiner Amtszeit kam Aznar seinem deutschen Kollegen in der Debatte um den Stabilitätspakt dann schließlich zu Hilfe.

Heute steht Spanien wieder schlechter da als Deutschland, da die Pandemie das Land besonders hart getroffen hat. So erhält Spanien nach Italien das meiste Geld aus dem neuen europäischen Wiederaufbaufonds, bis zu 140 Mrd. Euro. Sánchez dankte am Montag vor dem Eingang seines Amtssitzes dem vorherigen Finanzminister für dessen „Schlüsselrolle“ bei der Erstellung des Next-GenerationEU-Fonds. Die Debatte über eine Reform des Stabilitätspaktes wurde an diesem frostigen Wintertag in Madrid erst einmal auf Eis gelegt.