Nachhaltigkeit

ESG-Ratings unter Regulierungs­druck

Der Bedarf an Nachhaltigkeitsdaten und -ratings ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. In der Branche wird Kritik laut und der Ruf nach Regeln für die Branche unüberhörbar.

ESG-Ratings unter Regulierungs­druck

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Der Bedarf an ESG-Ratings und -Daten ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. ESG-Informationen spielen aufgrund der zunehmenden nachhaltigkeitsbezogenen Ausrichtung vieler Unternehmen eine immer wichtigere Rolle. „ESG-Bewertungen haben eine zunehmende Bedeutung für die Steuerung der Kapitalanlagen“, sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen.

Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) hatte kürzlich festgestellt, dass derzeit 59 Anbieter von ESG-Ratings in der EU tätig sind. Die mangelnde Vergleichbarkeit der einzelnen Ratings führt jedoch zu Problemen. „Entscheidet sich ein Unternehmen für einen Anbieter, kann der Anbieter nur noch schwer gewechselt werden. Bei einem Anbieterwechsel würden Unternehmen die Bewertung ihres Kapitalanlageportfolios über den Haufen werfen“, so Asmussen.

Die Vielfalt der ESG-Anbieter bedingt, dass Nutzer sich nicht auf ein Rating verlassen. „Das liegt auch an der je nach Ratinganbieter lückenhaften Abdeckung des Marktes. Bei den größeren Assetmanagern fließen dann viele Bewertungen in einer hauseigenen ‚ESG-Engine‘ zusammen und werden dann mit weiteren Informationen zu einem internen ESG-Score verdichtet“, berichtet Christoph Betz, Partner Financial Services bei KPMG. Die Umfrage der ESMA ergab auch, dass mehr als 75% der Befragten mindestens zwei ESG-Anbieter nutzen.

Unter Marktteilnehmern herrscht weitgehende Einigkeit, dass es zu wenig Transparenz gibt. ESG-Ratings unterscheiden sich außerdem stark von Kreditratings. „Es fehlt ein objektiver Maßstab, ob diese Ratings zuverlässig sind. Bei Kreditratings gibt es viele Kriterien wie Ratingmigration, Ausfallraten oder Volatilität. Das gibt es bei ESG-Ratings nicht“, sagt Oliver Everling, Geschäftsführer der Beratungsfirma Rating Evidence.

Neben grundsätzlichen Fragen geht es auch um praktische Themen. Für die bewerteten Unternehmen führt Donato Di Dio, Referent beim Deutschen Aktieninstitut an, dass ESG-Ratingagenturen umfangreiche Fragebögen verschicken, was die Firmen vor große Herausforderungen stelle. „Häufig erhalten die Unternehmen vorausgefüllte Fragebögen verbunden mit einer Frist, die Angaben zu prüfen.“

Die Nutzer kritisieren zudem die enorme Marktmacht und die hohen Preise der ESG-Datenanbieter. „Wichtig wäre es daher, nicht nur die Ratings zu regulieren, sondern auch den Weiterverkauf der Daten durch Tochtergesellschaften. Das ist ein Fehler in der Regulierung von Kreditratings“, sagt Asmussen.

Ein mittelgroßer bis großer Fondsmanager müsse zwischen 200000 und 400000 Euro pro Jahr für einen umfassenden Satz von ESG-Daten ausgeben, berichtet der Fondsverband BVI. Die zusätzlichen Kosten für die Beschaffung von Taxonomie-relevanten Daten werden auf 50000 Euro geschätzt. „Diese Kosten stellen insbesondere für kleine und mittlere Vermögensverwalter und Asset Owner wie Pensionsfonds eine erhebliche Belastung dar“, so Rudolf Siebel, Geschäftsführer des BVI. „Mehr Wettbewerb auf dem ESG-Datenmarkt wäre hilfreich, um sowohl die Effizienz als auch die Produktqualität zu steigern und die Kosten zu senken.“ Der Branchenverband geht von einer erwarteten Wachstumsrate der ESG-Datenumsätze von 23% pro Jahr aus.

Seit der Überarbeitung der Sustainable-Finance-Strategie ist klar, dass die EU über Regulierungsmaßnahmen zu ESG-Ratings nachdenkt. Zu dem Komplex hatte schon die ESMA Leitlinien entwickelt und vorgestellt, wie ESG-Faktoren durch Ratingagenturen offengelegt werden sollen. Bislang gibt es für ESG-Rating­agenturen keine speziellen regulatorischen Vorgaben. Um den Prozess der Regulierung voranzutreiben, hatte die EU zuletzt eine Konsultation gestartet. Die Kommission hat mehr als 100 Stellungnahmen von Unternehmen und Organisationen erhalten, die nun ausgewertet werden. Gerechnet wird mit einem Gesetzentwurf Anfang 2023.

Vereinheitlichung schwierig

Strittig ist in der Branche, wie stark sich ESG-Ratings angleichen lassen und wie weit die Regulierung in diesem Punkt gehen sollte. „ESG-Ratings kann man im Gegensatz zu Kreditratings nicht vereinheitlichen. Das wäre auch nicht sinnvoll, da es viele ESG-Investmentansätze gibt, die unterschiedliche Anlageziele verfolgen“, so die Position von Siebel vom BVI. GDV-Chef Asmussen meint dagegen: „Langfristig sollten die Methoden bei den ESG-Ratingagenturen so angepasst werden, dass die wesentlichen regulatorisch geforderten Bewertungen vergleichbar sind. Ein ESG-Score für ein Unternehmen muss bei Anbieter A ähnlich aussehen wie bei Anbieter B.“

Ungeachtet dieser Schwierigkeiten sind praktisch alle Investoren und Beobachter einig, dass eine Regulierung von ESG-Ratings kommen muss und wird. „Das Interesse im Markt ist groß und durch das Greenwashing-Thema besteht ein erheblicher Druck“, sagt KPMG-Manager Betz.

Die Anbieter von ESG-Daten stehen einer Regulierung in der EU zurückhaltend gegenüber. Die Firmen halten Wettbewerb und Marktstrukturen für effizient und plädieren für einen freiwilligen Verhaltenskodex. „Angesichts des im Entstehen begriffenen ESG-Marktes sollten diese Grundsätze auf nichtlegislativem Wege eingeführt werden“, sagt Neil Acres von Marktführer MSCI. „Die Anleger erwarten von den ESG-Anbietern eine Meinungsvielfalt.“

Aber auch in der Branche gibt es grundsätzliche Bedenken. Der subjektive Faktor beim Thema Nachhaltigkeit stelle die geplante Regulierung vor große Herausforderungen, meint Everling. „Man muss immer bedenken, dass es sich bei ESG-Ratings um Meinungsäußerungen handelt.“ Es sei ein hoher Anspruch, ethische Vorstellungen in Sachen Nachhaltigkeit in die Bewertung von Unternehmen zu transformieren. Angesichts der Hürden ist der Ratingfachmann zurückhaltend: „Aus jetziger Sicht ist offen, wie man das bei ESG-Ratings schaffen will. Wenn man keinen Maßstab hat, um die Ratings zu beurteilen und zu vergleichen, halte ich eine Regulierung für gefährlich.“

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