Quartalszahlen

Europas Banken hängen US-Rivalen nur scheinbar ab

Die überraschende Erkenntnis der bisherigen Bilanzsaison ist, dass die europäischen Banken sich aktuell besser entwickeln als die US-Wettbewerber. Der Grund hierfür ist allerdings eine divergierende Bilanzierungspraxis.

Europas Banken hängen US-Rivalen nur scheinbar ab

Nachdem die Wall-Street-Banken vor zwei Wochen die Bilanzsaison in den USA mit massiven Gewinnrückgängen eröffnet haben, gewähren dieser Tage die europäischen Wettbewerber einen Einblick, wie ihre Geschäfte im zweiten Quartal gelaufen sind. Bei dem Versuch, eine vorläufige Bilanz zu ziehen, drängt sich zunächst der überraschende Eindruck auf, dass es diesmal nicht die übermächtigen amerikanischen Finanzkonzerne sind, die in allen Dimensionen besser dastehen als die europäischen Geldhäuser. Natürlich ändert ein Quartal nichts an grundsätzlichen Parametern wie Größe, Heimatmarkt, Zinsumfeld und technologische Ausstattung. Gleichwohl ist nicht zu leugnen, dass es in diesem Quartal vor allem europäische Banken waren, die mit starken Zahlen aufwarten konnten, die beiden Schweizer Großbanken einmal ausgenommen.

Während die Gewinne der US-Banken auf breiter Front zurückgingen, weil das Geschäft mit Börsengängen, Übernahmen und Fusionen aufgrund der steigenden Zinsen ins Stocken geraten ist, spiegelten die Zinsergebnisse einiger europäischer Institute wie etwa der Deutschen Bank die viel diskutierte, aber bislang ja lediglich angedeutete Zinswende bereits wider. Das weckt Begehrlichkeiten in der Politik, die sich wie etwa durch die sogenannten Credit Holidays in Polen oder die spanische Sondersteuer auf Kosten der Finanzbranche Wählerstimmen sichern will. Es steht zu erwarten, dass die zur Inflationsbekämpfung erforderlichen Zinserhöhungen den hiesigen Instituten den Rücken weiter stärken werden.

Natürlich ist diese Entwicklung auch in den USA zu beobachten, wo die Zinsen schon länger und vor allem auch stärker steigen als in Europa. Alle fünf Großbanken verzeichneten einen starken Anstieg der Zinserträge und einen Einbruch des Provisionsgeschäfts. Überlagert wird dieser Effekt jedoch von ungleich hohen Rückstellungen für faule Kredite, mit denen sich die Banken für den wahrscheinlicher werdenden Fall wappnen müssen, dass die straffe Zinspolitik nicht nur der Inflation den Garaus macht, sondern auch die Konjunktur abwürgt und Unternehmen wie Privatleute dann nicht mehr in der Lage sind, ihre Kreditraten zu bedienen. Das passiert natürlich auch in Europa, wo die Gefahr einer Rezession wegen der geografischen Nähe zum Ukraine-Krieg, vor allem aber wegen der ausgeprägten Abhängigkeit von russischen Energieträgern noch viel höher ist.

Trotzdem macht sich die Entwicklung der Risikovorsorge in den Quartalsberichten der US-Banken viel stärker bemerkbar. Der Grund hierfür ist eine divergierende Bilanzierungspraxis. Kurz gesagt sind die US-Banken sehr schnell dabei, sehr hohe Rückstellungen zu bilden, sobald sich eine Bedrohung für das Wirtschaftswachstum am Horizont abzeichnet. Das ist auch gut so, weil die US-Unternehmen­ bei nachlassender Nachfrage wenig Hemmungen haben, in sehr kurzer Zeit sehr viel Personal auf die Straße zu setzen. Auch sind großangelegte staatliche Rettungspakete für – aus welchen Gründen auch immer – angeschlagene Unternehmen in den USA anders als in Europa eher unüblich. Um auch in einem solchen Szenario bestehen zu können, belasten die US-Institute ihre Ergebnisse mit sehr hohen Summen, die damit dem Zugriff der Aktionäre entzogen sind. Sobald die Wolken vorüberziehen, werden die Rückstellungen jedoch nicht minder schnell wieder aufgelöst, was zu der für die USA typischen volatilen Entwicklung der Bankengewinne beiträgt.

Besonders deutlich wurde dies, als die Corona-Pandemie begann sich über den Globus zu verbreiten. Damals, im ersten Quartal 2020, bildeten allein die fünf Banken Wells Fargo, J.P. Morgan Chase, Citigroup, Goldman Sachs und Bank of America Rückstellungen in Höhe von 24 Mrd. Dollar, was dem Sektor einen spektakulären Gewinneinbruch bescherte. Als sich Arbeitsmarkt und Konjunktur im vergangenen Jahr viel schneller als erwartet erholten, wurde dieser Klingelbeutel rasch wieder umgestülpt, was die Gewinne der US-Banken in dem aufgrund der M&A-Bonanza ohnehin schon starken Vorjahreszeitraum noch erhöhte. In europäischen Ländern hingegen, in denen konjunkturelle Schwankungen nicht ganz so ungebremst an Unternehmen und Konsumenten weitergegeben werden, waren weit weniger Rückstellungen gebildet worden, die zudem auch nur zum Teil aufgelöst wurden. Der Effekt dieser unterschiedlichen Vorsorgekultur ist so groß, dass er maßgeblich ist für die oftmals scheinbar asynchrone Entwicklung von europäischen und amerikanischen Banken.(Börsen-Zeitung, 29.7.2022)

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