Übernahme

Im Gaming werden die Karten neu gemischt

Microsoft tritt mit der Übernahme von Activision Blizzard nicht nur im Online-Gaming-Markt an, sondern unternimmt auch einen neuen Anlauf, Anschluss an die Plattform-Ökonomie zu finden, indem sich der Softwareriese im App-Store-Streit an die Seite der Entwickler wie Electronic Arts stellt.

Im Gaming werden die Karten neu gemischt

Von Martin Fritz, Tokio

Mit dem Kauf des Entwicklers Activision Blizzard („Call of Duty“, „World of Warcraft“) durch Microsoft für 68,7 Mrd. Dollar ist das Spielegeschäft ins Rampenlicht des Aktienmarktes zurückgekehrt. Wenige Tage zuvor hatte Take Two Interac­tive („Grand Auto Theft“) den Game-Produzenten Zynga („Farmville“) für 12,7 Mrd. Dollar erworben und damit ein Signal für die Konsolidierung dieses fragmentierten Marktes gesetzt. Auf den Microsoft-Schritt reagierten die Anleger nervös: Die Titel von Sony fielen in Tokio nach der Nachricht um 13%. Zugleich kletterten die Kurse von unabhängigen Spieleentwicklern, da sie im Fall eines Größenwettlaufes ebenfalls gekauft werden könnten. Diese verbreitete These schien sich zu bestätigen, als Sony nur zwei Wochen später ihrerseits das US-Studio Bungie („Halo“, „Destiny“) für 3,6 Mrd. Dollar schluckte.

Doch Analysten sind sich in ihrer Bewertung keineswegs einig: Amir Anvarzadeh von Asymmetric Advisors sieht Sony vor einer „gewaltigen Herausforderung“ und sagt einen „Zermürbungskrieg“ mit Microsoft vorher. Dagegen macht sich Serkan Toto von Kantan Games „keine Sorgen“ um Sony: „Microsoft hat die Lücke zu Sony in puncto Software ein großes Stück weit geschlossen, aber so schnell werden sich die Playstation-Studios nicht geschlagen geben.“ Noch vor zehn Jahren waren die Konsolenhersteller das Maß aller Dinge. Bis heute steht hier Sony mit ihrem Playstation-Imperium unangefochten vorn, gefolgt von Microsoft und ihrer Xbox sowie Nintendo mit der tragbaren Switch. An dieser Reihenfolge dürfte sich trotz des Paukenschlags mit Activision Blizzard wenig ändern. Einerseits hat Sony großen Vorsprung und dazu viele Exklusivspiele für die Playstation in der Pipeline. Zudem können die Japaner ihre Spielerechte über ein eigenes Film- und Fernsehstudio versilbern.

Flucht nach vorn

Andererseits muss Microsoft nicht unberechtigte Kartellbedenken ge­gen die Mega-Übernahme ausräumen. Inzwischen versicherte der US-Softwaregigant­, dass die Spiele von Activision Blizzard auch nach Auslaufen der bisherigen Verträge nicht für Sonys Playstation gesperrt würden. Deshalb dürfte es nicht zu der „gegenseitigen garantierten Vernichtung“ bei Spielerechten zwischen Sony und Microsoft kommen, wie sie der unabhängige Analyst Pelham Smithers vorhersagte. Hinzu kommt allerdings, dass Microsoft – wohl nicht nur aus kartellrechtlichen Gründen – an den Grundpfeilern der geschlossenen App-Store-Imperien rührt. Der Windows-Hersteller hat angekündigt, alternative Zahlungsmethoden für seinen Store zuzulassen, ein Wink an die Entwickler-Comunity, die unter Führung von Elec­tronic Arts darüber mit Apple und Google im Clinch liegt. Microsoft hofft so endlich Anschluss an die Plattformökonomie zu finden und den Rivalen Paroli zu bieten.

Denn die klassischen Konsolenhersteller leiden unter dem Siegeszug der Smartphones, die jedermann das Spielen unterwegs ermöglichen. Inzwischen generiert Mobile Gaming rund 60% des Weltumsatzes, Konsolen und PCs teilen sich den Rest. Mobil liegt der chinesische Spiele­riese Tencent unangefochten vorn, gefolgt von Apple und Google mit ihren App Stores. Allerdings führt diese Auflistung insofern in die Irre, als die Stores der beiden Platzhirsche vor allem Spiele von unabhängigen Entwicklern vertreiben. Dass es auch anders geht, beweist Nintendo: Trotz hoher Erwartungen von Analysten und Anlegern macht das Mobile Gaming bei Nintendo nur 4% des Umsatzes aus. Auch will der Spezialist aus Kyoto laut Präsident Shuntaro Furukawa nicht in Übernahmeschlachten ziehe.

Parallel gräbt das Cloud Gaming dem Konsolengeschäft das Wasser ab. Womöglich sind die heutigen Modelle von Playstation, Xbox und Switch die letzten ihrer Art. Denn mit der zunehmenden Verbreitung der schnellen 5G-Netzwerke können Smartphone- und Tablet-Nutzer in Echtzeit spielen und bräuchten keine Konsolen mit hochgezüchteten Prozessoren mehr. „Die Verbindungs­geschwindigkeit hemmt noch, aber langfristig wird das Computing zu Datenzentren abwandern, so wie es bei der Software von Unternehmen passierte“, meint Stephen Ju von Credit Suisse.

Daher betreiben viele große Namen teilweise schon länger eine Plattform fürs Sofortspielen, um diese Welle rechtzeitig zu reiten: Google Stadia (seit 11/2019), Amazon Luna (seit 10/2020), Facebook Gaming (seit 6/2018) sowie Nvidia Geforce (seit 2/2020). Dazu kommen Microsoft Project xCloud (seit 9/2020) sowie Sony PS Now (seit 1/2014). Auch Apple wird ein Markteintritt zugetraut.

Damit nehmen die Disruptionen jedoch kein Ende: Auch das wachsende Metaverse bedroht die Machtverhältnisse in der Gaming-Branche. Microsoft-Chef Satya Nadella be­gründet seinen bisher größten Zukauf explizit damit, dass das nächste Internet in der „verkörperten Anwesenheit“ bestehe: „Beim Metaverse geht es darum, Leute, Orte, Dinge in einem Physikmotor aufeinander zu beziehen. Sie und ich sitzen an einem Konferenztisch mit unseren Avataren oder Hologrammen. Und was sage ich Ihnen? Der Ort, wo wir das schon immer gemacht haben, ist – Gaming“, sagte Nadella in einem Interview.

Allerdings geht diese Reise lang­samer voran als gedacht, die körperlosen Welten sind Zukunftsmusik.

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