Währungskrise

In der Türkei sind Lira-Saboteure am Werk

Was in der türkischen Wirtschafts- und Währungspolitik vor sich geht, ist aus dem Präsidentenpalast verordnetes Harakiri.

In der Türkei sind Lira-Saboteure am Werk

Spiel mit dem Feuer, Schock-Beschluss, nächste Währungskrise: Die Zinssenkung in der Türkei hat ein kollektives Raunen an den Märkten ausgelöst. Und sie wirkt nach: Der Wechselkurs hat die Schwelle von 18 Lira zum Dollar passiert. Im Dezember 2021 war die Lira schon einmal für kurze Zeit auf dieses Tief gestürzt, ehe sie sich vorübergehend vom freien Fall erholte. Das wird diesmal anders sein. Denn es handelt sich nicht um eine Panikreaktion wie vor acht Monaten. Vielmehr ist der Lira-Verfall die logische Folge einer Erosion von Geldwert und Vertrauen, die ihresgleichen sucht.

Seit Jahren fährt die Türkei auf Weisung von Staatschef Recep Tayyip Erdogan eine Geldpolitik, die man wohlwollend-neutral als unorthodox bezeichnen könnte. Das wäre verharmlosend. Was in der Türkei passiert, ist Harakiri. Die Inflation ist außer Kontrolle: Offiziellen Angaben zufolge liegt sie bei 80%. Tatsächlich dürfte sie ins Dreistellige davongaloppiert sein. Im Herbst 2021, als die Notenbank ungeachtet lostrabender Preise zu einer Serie von Zinssenkungen ansetzte, war die Lira das Doppelte wert. Vor fünf Jahren das Fünffache.

Statt mit einer Notfallzinserhöhung wie in früheren Währungsturbulenzen zumindest einen Anschein von Glaubwürdigkeit zu wahren, tut die Notenbank das Gegenteil: Sie hat den Leitzins von 14 auf 13% gesenkt. Erdogans Kalkül ist ein unverminderter Wirtschaftsboom, der seine Landsleute über immense Kaufkraftverluste hinwegsehen lässt und ihn zu einer Mehrheit bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in einem Dreivierteljahr trägt. Die Entscheider der Geld- und Fiskalpolitik weiß er auf seiner Seite. Mehrmals hat Erdogan unbotmäßiges Spitzenpersonal von Notenbank und Finanzministerium einfach entlassen und Kritiker mundtot gemacht. So hat er an den Schaltstellen der Macht die Reihen geschlossen – dank einer auf ihn zugeschnittenen Verfassungsreform 2017 im Übrigen völlig legal.

Auf das Ansehen der Türkei an den globalen Finanzmärkten pfeift Erdogan. Ja, er hat seine Bevölkerung sogar auf einen wirtschaftlichen Unabhängigkeitskrieg eingeschworen. Das kann Erdogan sich – auch das gehört zum Mysterium Türkei – sogar bis zu einem gewissen Punkt leisten. Der Standort Türkei gewinnt für europäische Unternehmen an Attraktivität im Bestreben, Wertschöpfungsketten zu verlagern. Außerdem ist eine Weichwährung für ein Land wie die Türkei nicht nur von Nachteil: Sie verschafft Unternehmern Vorteile auf den Weltmärkten, weil deren Waren und Dienstleistungen in Lira günstiger werden. Der Tourismus boomt. Bosporus statt Balearen lautet beispielsweise das Motto vieler Russen, die trotz Sanktionen nicht auf ihren Sommerurlaub verzichten wollen. Auch Deutsche und Briten reisen in Scharen in die Türkei.

Erdogan scheut sich nicht, aus dem Ukraine-Krieg buchstäblich Kapital zu schlagen. Den westlichen Sanktionen gegen Russland hat sich das Nato-Mitglied Türkei nicht angeschlossen. Sein Land hat die Ölimporte aus Putins Reich verdoppelt, wie offizielle Statistiken zeigen. Analysten spekulieren, dass Russland auch an anderer Stelle behilflich ist: Die Zentralbank in Moskau unterstützt die Kollegen in Ankara offenbar dabei, die Devisenbestände aufzufüllen. Die türkische Notenbank ist auf ausreichende Fremdwährungspuffer angewiesen, weil sie mit deren Einsatz diskret den Lira-Kurs stützt.

Überhaupt setzen Regierung und Notenbank auf Kunstgriffe und Taschenspielertricks, um die Landeswährung vor dem totalen Kollaps und die Bürger vor den schlimmsten Folgen der Inflation zu bewahren. Sparer mit eigens eingerichteten Lira-Konten sichert der Staat gegen Wechselkursverluste ab. Den Mindestlohn hat die Regierung stark angehoben. Zinsen auf Studentenkredite entfallen. Und weil das alles natürlich nicht ausreicht, um Inflation und Wechselkurs in Schach zu halten, kommt sanfter Druck auf die Unternehmen hinzu: Firmen mit hohen Fremdwährungsbeständen kommen neuerdings schwerer an Kredite. Wahrscheinlich müssen die Kapitalverkehrskontrollen demnächst noch verschärft werden.

Die eigentliche Ursache von absurd hoher Inflation und kalkulierter Währungsabwertung – zu niedrige Zinsen – übergeht der erklärte Zinsfeind Erdogan geflissentlich. Stattdessen lässt er bei den ersten Anzeichen für eine nachlassende Kreditvergabe die Zinsen weiter senken. Wachstum um jeden Preis, lautet das inoffizielle Motto Erdogans und seiner Währungs-Saboteure. Die 18-Lira-Marke ist lediglich eine Durchgangsstation. Eine Kehrtwende scheint nur möglich, falls Erdogan nächstes Jahr abgewählt wird.

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