Hyperinflation

Kann sich 1923 wiederholen?

Durch die Hyperinflation nach dem 1. Weltkrieg verlor das Geld praktisch komplett seinen Wert. Doch was sind die Ursachen der Hyperinflation, und welche Lehren können wir heute noch aus diesem Desaster ziehen?

Kann sich 1923 wiederholen?

Ein junger Mann will Anfang der 1920er Jahre in einem Dorf im Spessart ein neues Eigenheim bauen. Um dieses zu finanzieren, verkauft er sein altes Haus. Damit begeht er aber einen schwerwiegenden Fehler. Denn nach dem Ersten Weltkrieg hat sich die Inflation stetig beschleunigt. Die massive Teuerung endete dann 1923 in einer Hyperinflation, in der die Reichsmark völlig ihren Wert verlor.

In diesem Krisenjahr büßte das Geld schließlich in der Endphase der Hyperinflation im Laufe eines einzelnen Tages massiv an Wert ein. Die Umlaufgeschwindigkeit der Banknoten erhöhte sich dramatisch, die Geldscheine erreichten Milliarden- und Billionenbeträge. Viele Kommunen gaben Notgeld heraus, und der Naturaltausch blühte regelrecht auf. Allein: Das Geldvermögen der Deutschen, wie auch das des jungen Manns aus dem Spessart, war nichts mehr wert. Breite Bevölkerungsschichten verarmten, während Sachwertbesitzer profitierten.

Die Hyperinflation konnte erst im Herbst 1923 mit der Einführung der Rentenmark gestoppt werden. Eine Rentenmark entsprach damals einer Billion Mark. Dies verdeutlicht das Ausmaß der Geldentwertung.

Im kommenden Jahr liegt die Hyperinflation 1923 genau 100 Jahre zurück. Zugleich hat sich in Deutschland und in der Eurozone die Inflationsrate in diesem Jahr massiv erhöht. Im August lagen die Verbraucherpreise hierzulande 7,9% höher als im entsprechenden Vorjahresmonat. Und für den Herbst schließt selbst Bundesbankpräsident Joachim Nagel zweistellige Teuerungsraten nicht aus. Da stellt sich dann schon die Frage, ob 2023 eine deutliche Beschleunigung der Inflation, gar eine Hyperinflation möglich oder wahrscheinlich ist?

Doch noch einmal zurück in die Historie. Die Deutschen haben im 20. Jahrhundert zweimal ihr Geldvermögen weitestgehend verloren: Nicht nur nach dem ersten Krieg, sondern auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn auch zu dessen Finanzierung wurde reichlich Geld gedruckt, so dass es zu einer „zu­rückgestauten Inflation“ und einer Blüte des Schwarzmarktes nebst Zigarettenwährung nach dem Zweiten Weltkrieg kam. Erst durch die Wirtschafts- und Währungsreform vom Juni 1948 gelang es, den Geldüberhang zu beseitigen und ein funktionsfähiges Geldwesen herzustellen.

Erfolgreiche Bundesbank

In den Nachkriegsjahren waren dann die Bank Deutscher Länder und ihr Nachfolger, die Bundesbank, sehr darauf bedacht, die Stabilität der D-Mark zu wahren. Dies ist der Bundesbank auch gelungen. Zwar ist die Inflationsrate in Deutschland infolge der Ölkrise 1973 um 7,1% und 1974 um 6,9% gestiegen. Dies waren aber im Vergleich zu anderen Ländern relativ niedrige Teuerungsraten. Auch nach der zweiten Ölkrise bliebt die Teuerung mit 6,3% im Jahr 1981 moderat. Und auch nach der Wiedervereinigung gelang es der Bundesbank, die Inflation durch massive Leitzinserhöhungen im Zaum zu halten. So erreichte die Teuerung 5,1 % im Jahr 1992, ermäßigte sich dann in den Folgejahren aber deutlich.

Auch die Europäische Zentralbank (EZB) war als Nachfolger der Bundesbank bis 2020 sehr erfolgreich bei der Bekämpfung der Inflation. Die Teuerungsraten fielen durchweg recht niedrig aus, noch niedriger als zu Zeiten der Bundesbank. Das wirtschaftliche Umfeld war in diesen Jahren allerdings weltweit nicht von einer hohen Teuerung geprägt. Im Jahr 2021 lag die Inflationsrate in Deutschland dann bei 3,1%. Für das laufende Jahr wird sie merklich höher ausfallen.

Doch warum kam es zur Hyperinflation 1923? Wesentlicher Grund sind der Erste Weltkrieg, die Finanzierung des Kriegs über die Notenpresse sowie die Folgen des Kriegs, die auch wiederum über die Notenpresse finanziert wurden. „Zwei Tage vor Kriegsbeginn, am 31.7.1914, stellte die Reichsbank die Einlösung ihrer Banknoten in Gold ein“, schreibt Otmar Issing in seinem Standardlehrbuch, der Einführung in die Geldpolitik. Aus einer durch Gold gedeckten Währung wurde eine Papierwährung. „Die Reichsbank übernahm in der Folgezeit als ‚Kriegsbank‘ die Kriegsfinanzierung, indem sie dem Reich, vor allem über die Diskontierung von Schatzanweisungen, direkt Kredit gewährte“, erläutert Issing. Und Otto Pfleiderer stellt in einem Aufsatz zur Reichsbank in der Zeit der großen Inflation fest: „Entscheidend für die Entstehung einer inflatorischen Konstellation war ohne Zweifel der finanzpolitische Entschluss, die Kriegskosten fast ausschließlich durch Kreditaufnahme über den außerordentlichen Haushalt zu finanzieren.“

Das Inflationspotenzial war daher am Ende des Kriegs bereits enorm. Hinzu kamen jetzt nach dem verlorenen Krieg große Lasten für das Deutsche Reich. Und auch diese wurden weiterhin von der Reichsbank über die Notenpresse finanziert. Als es dann Anfang 1923 zur Besetzung des Ruhrgebiets und zum Ruhrkampf kam, wurden die Lasten für das Reich noch größer. Die Notenpresse lief, und die Inflation beschleunigte sich ähnlich einer Abwärtsspirale.

Hyperinflationen gibt es übrigens in der Geschichte des Öfteren. Und sie sind meist auf Staatsfinanzierung mittels Notenpresse zurückzuführen. Durchaus häufig spielt dabei auch die Finanzierung von Kriegen eine Rolle.

„Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kriegsführung durch die Staatsverschuldung bei der Notenbank und eine damit starke Geldmengenausweitung finanziert“, stellt die Bundesbank im Aufsatz „Inflation – Lehren aus der Geschichte“ fest. „Preisstopps, Lohnfestsetzungen, Rationierungen und Bezugsscheine verhinderten, dass die Inflation sichtbar wurde.“ Doch folgte auch nach dem Zweiten Weltkrieg ein böses Erwachen für Sparer und Besitzer von Geldvermögen. Denn es kam 1948 zur Währungsreform, bei der Reichsmark im Verhältnis 10:1 in D-Mark eingetauscht wurden. Doch zurück zur Frage, ob eine Hyperinflation wie 1923 heute noch möglich oder wahrscheinlich ist. Viele Volkswirte und Geldpolitiker halten es zwar für praktisch ausgeschlossen, dass es noch einmal zu einer Entwicklung wie 1923 kommt. Festzustellen ist aber, dass auch der Euro, wie übrigens alle modernen Währungen, nicht durch Gold gedeckt ist, sondern eine reine Papierwährung darstellt. Gut, es gibt Währungsreserven, aber das ist natürlich keine direkte Deckung. Vor diesem Hintergrund ist eine Beschleunigung der Teuerungsrate durchaus immer möglich.

Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass es in Deutschland und in der Eurozone in den kommenden Jahren zu einer Hyperinflation wie 1923 kommt. Denn es gibt natürlich Lehren aus der Geschichte. „Aufgrund solcher Erfahrungen wurden Zentralbanken in den vergangenen Jahrzehnten als unabhängige Institutionen geschaffen und auf das Sichern des Geldwerts verpflichtet, um die staatliche Vereinnahmung der Geldpolitik zu verhindern“, stellt die Bundesbank fest. Staatsfinanzierung über die Notenpresse dürfte dadurch nicht mehr funktionieren. Auch wurde das Statut der EZB nach dem Vorbild der Bundesbank gestaltet. Die EZB hat somit auch den klaren Auftrag, „die Preisstabilität zu gewährleisten“.

Große Inflationsgefahren

Das alles heißt aber nicht, dass die Inflationsrate in den kommenden Monaten und Jahren nicht relativ hoch bleiben könnte und wesentlich höher als die von der EZB angestrebten 2% im Jahr ausfallen könnte. Denn die Gefahren an der Inflationsfront sind derzeit ausgesprochen groß. Da sind zum einen die massiv gestiegenen Energiepreise, die auch kurzfristig nicht deutlich zurückgehen dürften. Hinzu kommt die wachsende Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale, weil die Wirtschaftssubjekte natürlich auf die gestiegenen Teuerungsraten reagieren.

Zudem haben die Notenbanken und die EZB in den vergangenen Jahren über ihre unkonventionelle Geldpolitik mit dem Aufkauf von Anleihen die zur Verfügung stehende Liquidität stark erhöht. Der Geldmantel ist also sehr weit geschnitten, was Inflation eher befördert.

Um die Teuerung in Zaum zu halten, muss die EZB jetzt liefern und zeigen, dass es ihr mit der Inflationsbekämpfung ernst ist. Nun erfolgt der Härtetest für die Eurobanker! Dies sollte deutlich höhere Leitzinsen zur Folge haben, zumal auch die Fed derzeit deutlich strafft und Inflation auch über eine schwache Währung importiert werden kann. Bei der Frage, wie die EZB sich entscheiden sollte, kann ein Blick auf 1923 nicht schaden. Inflation gilt es immer möglichst frühzeitig zu bekämpfen. Ist nämlich eine massive Teuerungswelle bereits im Gange, fällt es immer schwerer zu bremsen.

Von Werner Rüppel, Frankfurt

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.